Schnuller und Daumen – Fluch oder Segen?

vonPatricia Pomnitz | Logopädin und Therapiewissenschaftlerin 
Baby nuckelt an einem Schnuller
© Pexels/ taskiran

Was passiert beim langfristigen Schnullern und Daumenlutschen? Sprachtherapeutin Patricia Pomnitz gibt dir Antworten auf deine Fragen. Außerdem: Tipps für den Schnullerkauf.

Inhalt verfasst von Patricia Pomnitz, Logopädin und Therapiewissenschaftlerin

Der Säugling saugt

Dein Baby hat ein angeborenes Saugbedürfnis. Saugen ist ein natürlicher Reflex, ermöglicht das Trinken, aktiviert das Verdauungssystem, es reduziert Schmerzen und gibt Babys und Kleinkindern ein Gefühl der Sicherheit.

: weitere Infos

Auch nicht-nahrhaftes Saugen setzt Endorphine frei, die beruhigend wirken und Stress reduzieren.

Es ist also vollkommen okay, dass dein Baby seinen Daumen gefunden hat oder hin und wieder einen Schnuller benötigt.

Aber spätestens ab dem zweiten Geburtstag wird es Zeit den Schnuller und Daumen loszuwerden, um langfristige Folgen zu vermeiden! Tipps zur Schnuller-Entwöhnung haben wir hier für dich gesammelt.

Schnullern und Daumenlutschen entspricht nicht dem Saugen an der Brust! Beim Saugen an der Brust wirken Kräfte nach Außen, beim Saugen am Schnuller und Daumen wirken sie nach innen.

: unser Überblick

Dies hat eine grundlegend unterschiedliche Wirkung auf die Physiologie und Anatomie des kindlichen Kopfes. Der Daumen ist zudem eine harte Struktur und übt damit deutlich stärkeren Druck auf Kiefer, Gaumen und die Zähne aus, als der Schnuller.

Einen kiefergerechten Schnuller gibt es allerdings auch nicht!

Prof. Dr. Rolf Hinz – deutscher Professor für Kieferorthopädie bezeichnet dies als reines Marketingargument.

Was passiert beim langfristigen Schnullern und Daumenlutschen?

  • Forschungen zeigen, dass der Schnuller den Stillstart und die Milchbildung anfangs schwieriger machen kann. Daher wird empfohlen, den Schnuller in den ersten 4-6 Wochen, also bis das Stillen etabliert ist, nicht zu geben.
: was kann ich tun?
  • Die orale Phase des Kindes ist u.a. für das Erleben der Umwelt wichtig. Es erfährt seine Welt durch alle Sinne. Dazu gehört, dass es Dinge in den Mund nimmt und ertastet (Sensomotorik). Dabei lernt es auch die Augen und Hände zu koordinieren. Wenn ein Kind häufig schnullert, fällt diese Stimulation des Gehirns leider weg, da es in dieser Zeit keine anderen Dinge oral erkunden kann.
  • Zudem hat das Saugen am Schnuller oder Daumen eine Wirkung auf das Schlucken, denn es provoziert ein sog. „infantiles Schluckmuster“, wobei die Zunge an oder zwischen die Zähne drückt. Kiefer- und Zahnfehlstellungen (z.B. ein offener Biss) sind häufige Folgen.
  • Das Kind kann schnullernd oder daumenlutschend den Mund nicht richtig schließen. Ist der Schnuller im Mund liegt die Zunge schlaff am Mundboden, wodurch ihr muskuläre Grundspannung fehlt und sie ihre formende Funktion am Gaumen nicht ausüben kann.
  • Die falsche Ruheposition der Zunge führt zu einer nichtphysiologischen Kieferstellung; der Mundschluss fehlt, Wangen- und Lippenmuskulatur erschlaffen, die Kinder atmen häufig durch den offenen Mund, statt durch die Nase.
  • Die Mundatmung erhöht wiederum das Infektionsrisiko (bakterielle Infekte, Mittelohrentzündung, Bronchitis, Mandelentzündungen, Polypen etc.) da die Luft ungefiltert in den Organismus strömt.
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Auswirkungen auf die Sprachentwicklung

Sind Zungen-, Lippen- und Wangenmuskulatur in ihrem Zusammenspiel gestört, beeinflusst dies natürlich auch das Sprechen. Denn für die Bildung von Sprachlauten müssen Lippen, Zunge, Wangen präzise und koordiniert miteinander arbeiten.

: zur Sprachentwicklung

Die häufigsten Sprachprobleme sind beispielsweise ein Sigmatismus oder Schetismus = Fehlbildung der Zischlaute (s, z, sch, ch), im Volksmund auch „lispeln“ genannt.

Was du auch bedenken solltest: Kinder, die ständig etwas im Mund haben, sprechen weniger! Das bedeutet, es entstehen weniger Dialoge, in denen das Kind neue Worte und unsere Grammatik lernen kann.

Denn wenn ein Kind ruhig ist und weniger die Initiative zur Kommunikation ergreift, spricht auch das Umfeld weniger mit ihm. Dadurch geht dem Kind wichtige sprachliche Anregung verloren.

Wie gehe ich nun als Mama und Papa damit um?

Es ist wie so oft: Der richtige Weg liegt in einem reflektierten und ausgewogenen Umgang!

Reduziere also die Nutzung auf ein Minimum und achte darauf, dass der Schnuller oder Daumen nicht zur Routine werden.

Betrachte beides als Medikamente, die nur in best. Situationen eingesetzt werden sollten! Gewöhne deinem Kind nicht an, dass es immer und zu jeder Zeit einen Schnuller an der Hand hat. Denn sonst wird aus einem vorübergehenden Bedürfnis eine (schlechte) Angewohnheit.

Vermeide es, deinem Kind den Schnuller einfach in den Mund zu schieben, wenn er rausgefallen ist. Vielleicht braucht es den Schnuller gerade gar nicht. Lecke den Schnuller nicht ab (Kariesgefahr!).

Tipps für den Schnullerkauf

Du kannst dich an folgenden Richtlinien orientieren:

  • Das Saugteil sollte klein, flach/abgeschrägt und weich sein, damit er sich dem Babymund anpassen kann und so wenig Platz wie möglich im Mundraum einnimmt!
  • Der Schaft des Schnullers sollte schmal, weich und leicht sein, denn die Lippen müssen den Schnuller halten können.
  • Das Lippenschild sollte gerade und flexibel sein, mit einer Nasenaussparung.
Tipp für den Schnullerkauf

© Patricia Pomnitz

  • Wichtig ist auch das Gewicht des Schnullers. Ist er zu schwer, überfordert er die Lippen- und Zungenmuskulatur. Achtung: Schnullerkettchen sind zusätzliches Gewicht!
  • Wähle die kleinste Größe. Ein Schnuller sollte nicht mitwachsen – das tut die Brust auch nicht.

Achte jedoch unbedingt darauf, dass der Schnuller groß genug ist, um nicht im Ganzen in den Kindermund zu geraten, sonst droht Erstickungsgefahr!

Wenn du das Gefühl hast, dass die Aussprache deines Kindes verwaschen und undeutlich ist oder du einen fehlenden Mundschluss, Zahnfehlstellungen, schlaffe Gesichtsmuskulatur, Probleme beim Kauen und Schlucken, fehlende Nasenatmung beobachten kannst, dann wende dich an den Kinderarzt, Zahnarzt und eine Logopädin.

Über die Autorin

Dieser Beitrag wurde verfasst von Patricia Pomnitz (Sprachtherapeutin (B.Sc.), Diplomierte Legasthenietrainerin und Therapiewissenschaftlerin (M.Sc.). Patricia bietet professionelle Unterstützung für Eltern und andere kindliche Bezugspersonen in Form von Online-Videokursen, Beratungen sowie Coachings an. Denn Sprache ist ein Schatz, den es zu entdecken gilt!

Mehr Tipps rund um die kindliche Sprachentwicklung findest du auf www.sprachgold-online.de. Dort kannst du dich auch online beraten oder coachen lassen und lernst, dein Kind alltagsorientiert und natürlich auf seiner Sprachreise zu unterstützen.