Keine Panik auf der Titanic: Vernünftige Schutzmaßnahmen fürs erste Kind

Natürlich möchtest du dein Kind vor allem Unbill bewahren. Aber es gibt auch einen Punkt, an dem „In-Watte-Packen“ anfängt.
Natürlich möchtest du dein Kind vor allem Unbill bewahren. Aber es gibt auch einen Punkt, an dem „In-Watte-Packen“ anfängt.
© fotolia.com / candy1812

Es gibt einen schmalen Grat zwischen einem kindersicheren Zuhause und einem übersicheren Zuhause. Doch wo liegt die Grenze?

Während der ersten Schwangerschaft werden viele Eltern panisch. Da malt man sich aus, wie das Kind in die Steckdose greift oder wie das Köpfchen gegen spitze Tischkanten stößt. Und so werden manche im Verlauf der neun Monate, die die Welt verändern, geradezu paranoid, auch weil es im Internet vor regelrechten Horrorgeschichten nur so wimmelt und die Schwangerschaft so schnell vorbei ist. Dabei ist es absolut nicht notwendig, das Heim samt Neugeborenem überstürzt in Watte zu packen. Auch Kinder brauchen nur grundsätzliche Maßnahmen und vor allem Eltern, die einen kühlen Kopf behalten und sich nicht durch unzählige Schutzmaßnahmen in falscher Sicherheit wähnen. Was du wirklich tun solltest und was nicht, zeigt der folgende Artikel.

#1 Die ganz normale Sicherheit

Auch Sicherheit beginnt irgendwo. Und diese Anfangs-Sicherheit hat zunächst gar nichts mit eurem Kind zu tun, sondern mit dem Heim als solchem.

In Zahlen

Du kennst sicherlich den Spruch „die meisten Unfälle passieren zuhause“. Keine Binsenweisheit, sondern Tatsache. Ja, in Deutschland sterben pro Jahr rund 10.000 Menschen durch Haushaltsunfälle und ja, Kinder sind dabei eine große Risikogruppe – neben Senioren. Aber: Säuglinge sind praktisch gar nicht betroffen. Schon alleine deshalb, weil sie vor dem Krabbelalter kaum die Möglichkeit haben, sich in Schwierigkeiten zu bringen.

Die ersten Monate herrscht Ruhe

Für Erstlingseltern bedeutet das erst mal Entwarnung. Die Wahrscheinlichkeit, dass dem Kind innerhalb der ersten Monate etwas zustößt, weil kindgerechte Schutzmaßnahmen unterlassen wurden, sind verschwindend. Erst wenn das Kleine gelernt hat, sich selbstständig fortzubewegen, ist erhöhte Aufmerksamkeit, jedoch keine Paranoia, angebracht. Vorher genügt zunächst ein „normalsicheres“ Heim.

Schutz für alle

Diese Grundsicherheit beginnt damit, dass Ihr eurem Zuhause die wichtigsten allgemeinen Maßnahmen angedeihen lasst. Sprich:

  • Anständige Schlösser für die Türen, die du immer abschließt, sobald du auch nur für fünf Minuten das Haus verlässt
  • Keine versteckten Schlüssel draußen
  • Sicherheitsschlösser oder -riegel für die Türen und Fenster im Parterre und Keller
  • Rauchmelder – und zwar nicht nur an den Orten, in denen sie in deinem Bundesland verpflichtend sind (meist nur Schlafzimmer und Treppenhäuser), sondern auch in der Küche und dem Wohnzimmer, den beiden Räumen, in denen die meisten Brände entstehen, vor allem durch menschliches Fehlverhalten und Problemen bei der Elektrik
  • Anständige Hausrat- und Wohngebäudeversicherungen, die alles abdecken.

Passt du dann noch mit offenem Feuer (Stichwort Kerzen) auf, kannst du dich schon damit rühmen, in einem statistisch sehr sicheren Umfeld zu leben, in dem auch deinem Kind nur wenige zusätzliche Gefahren drohen.

Klettern, umstoßen, herabziehen

Mama, 1,60 m, reckt sich, weil sie nicht an die oberste Regalebene kommt. Auf Zehenspitzen hält sie sich an den Brettern fest und reißt das Regal um. Ein Unfall, wie er oft vorkommt und leicht vermieden werden kann. Sorge einfach dafür, dass alle Möbel, die (durch Erklettern) umfallen können, mit der Wand verbunden sind.

Dazu reicht es schon, wenn du diese an der Oberseite mit Winkeln festschraubst. Für die Vorbereitung aufs Kind solltest du auch jetzt schon alles Unnötige auf dem Boden wegräumen, Stichwort Vasen. Achtest du jetzt noch darauf, dass Tischdecken und ähnliches, dass, wenn man daran zieht, eine Kettenreaktion in Gang setzen kann, durch doppelseitiges Klebeband gesichert sind, bist du auf dem besten Weg.

Stecker, Stöpsel und Kabel

Hmm, leckere Quark-Osterhasen. So leicht zu machen. Doch weil es schnell gehen soll, bleibt Papa im Kabel des Handrührers hängen und stolpert. So reißen Papas 82 Kilo das Kabel samt Unterputz-Steckdose aus der Wand, er landet auf dem gläsernen Küchentisch.

Was vielleicht wie eine Szene aus einem Roadrunner-Comic anmutet, passiert im Alltag schneller, als man glaubt. Denn auch als Erwachsener kann man an Kabeln hängenbleiben, kann versehentlich Wasser in Steckdosen spritzen. Sorge deshalb dafür, dass:

  • Kabel, auch von Geräten, die du nur kurzfristig nutzt (etwa Staubsauger) „aus dem Weg“ gebracht werden. Notfalls helfe dir, indem du das Kabel spiralförmig mit grellem Elektro-Klebeband umwickelst und es so auffälliger machst.
  • Stecker, die auch nur theoretisch mit Wasser in Kontakt kommen könnten (nicht nur im Bad) mit federgestützten Schutzklappen verschlossen sind.
  • Kabel niemals so straffgezogen werden, dass sie wie ein Stolperdraht von der Steckdose quer durch den Raum gespannt sind. Besser zweimal umstecken als einmal stolpern.

Gewöhne dir schon während der Schwangerschaft ab, unübersichtliche Strecken im Haus mit vollgepackten Armen oder womöglich im Dunkeln zu gehen. Mache immer das Licht an, habe immer eine Hand am Geländer und ein Auge auf den Boden vor deinen Füßen. Umso leichter fällt es dir auch später, wenn du den Nachwuchs im Arm hast.

#2 Die spezielle Kindersicherheit

Mit den genannten Maßnahmen ist dein Heim für alle sicher. Aber jetzt kommen die Dinge, die du wirklich fürs Baby vorbereiten solltest.

Giftschrank und Schloss

Das beginnt damit, dass du dir einen Schrank in Küche oder Bad aussuchst. In den kommen sämtliche Reiniger, Spülmittel und ähnliche Gifte. Die Türen sollten am besten mit einem Schloss gesichert werden. Den Schlüssel hängst du einfach so hoch, dass selbst du weit nach oben greifen musst.

Kleines gehört ganz nach oben

Babys analysieren auch mit dem Mund. Zwar ist das selbst dann nicht zwingend eine Gefahr, wenn das Kind etwas verschluckt. Trotzdem solltest du die Risiken minimieren. Packe im Haus alles, was kleiner als eine Kinderfaust ist, in die höchstmöglichen Regale, Schränke oder Schubladen. Nutze Tüten oder Boxen, um viele Kleinteile zu einem großen zusammenzufassen und gewöhne dir an, niemals etwas auf dem Boden herumliegen zu lassen und auch in den Ecken gut zu saugen, krabbelnde Babys haben ein unglaubliches Talent dafür, Verschollenes zu finden.

Kantenschutz und Türstopper

Wenn Kleinkinder herumlaufen, besteht naturgemäß die Gefahr, dass sie irgendwo anstoßen. Einfach, weil ihre Koordinationsfähigkeit noch nicht vollständig entwickelt ist. Für dich bedeutet das, dass du Eckenschützer anbringen solltest, allerdings nur an den „Hot Spots“, die maximal einen Meter hoch sind, also beispielsweise Tische und Ähnliches. Höher Gefahrenstellen musst du zunächst nicht berücksichtigen. Bis das Kind groß genug ist, dort anzustoßen, erkennt es selbst die Gefahr.

Glastüren und -fenster

Falls im Haus Terrassentüren, Innentüren aus Glas oder bodentiefe Fenster vorhanden sind, solltest du dir einige bunte Aufkleber besorgen. Sie kommen auf Kinder-Augenhöhe an die Scheiben, damit es beim fröhlichen Toben dank des blitzblanken Glases nicht zu Gegenrenn-Unfällen kommt.

Schöne Blume, giftige Blume

Du bist ein Pflanzenfan und hast dein Heim in eine grüne Oase verwandelt? Dann heißt es Botanik büffeln. Denn viele Zimmerpflanzen, die wir uns ins Eigenheim holen, sind für Menschen unverträglich bis hochgiftig. Wer nimmt alles in den Mund? Ganz recht! Aber wegwerfen musst du die Zierpflanzen nicht unbedingt. Es reicht auch, wenn sie so hoch positioniert werden, dass dein Sprössling unter keinen Umständen drankommt.

Augen und Haut: UV-Strahlung

Als letztes achtest du dann noch darauf, dass die Zonen, in denen du später mit dem Kind im Arm sitzen wirst, wo du es wickelst usw., nicht direktem Sonnenlicht ausgesetzt sind. Versuche immer, Abschattung zu gewährleisten, um die empfindliche Haut und die Augen deines Neugeborenen vor UV-Strahlen zu schützen. Wenn du beispielsweise eine Terrasse mit transparentem Dach hast, spanne ein Sonnensegel. Vor Fenstern sollten Lamellen, Plissees oder ähnliches installiert werden.

#3 Sicheres Verhalten im Alltag

Bis zu diesem Punkt hast du wirklich alles getan, damit realistische Unfälle verhindert werden. Mehr wäre schon wieder übertrieben. Doch alle festgeschraubten Schränke, hochgestellten Blumen bringen nichts, wenn du dich nicht richtig verhältst und alle, die in euren vier Wänden ein- und ausgehen.

Heißes Wasser in der Leitung

Wenn heißes Wasser läuft, bleibt es auch nach dem Abdrehen in der Leitung für einige Minuten noch heiß. Egal welchen Hahn man dann aufdreht, es kommt zunächst dieses Wasser und das kann schmerzhaft werden. Trainiere dir deshalb an, das Wasser danach kurz kalt laufen zu lassen.

Kochen: Gewusst wie

Kochen ist immer mit ziemlich kinderunfreundlichen Temperaturen verbunden und zudem damit, dass der Kochende sich auf Töpfe und Pfannen konzentrieren muss. Gerade, weil die meisten dort vorkommenden Kinderunfälle in den Sekunden passieren, in denen man vielleicht gerade ins Kochbuch schaut, solltest du die Griffe von Töpfen und Pfannen künftig grundsätzlich zur Wand ausrichten.

Schnüre sind kein Spielzeug

Schnüre und Kordeln üben auf Kinder eine faszinierende Anziehungskraft aus und sind ein unheimliches Risiko zur Selbststrangulation. Überprüfe, wie viele es in eurem Haus gibt: Vorhänge, Sonnen-Rollos, vielleicht irgendwelche lange Deckenfransen. Sie alle können für dein Baby gefährlich sein. Doch du musst sie nicht abschneiden. Es genügt bei den Vorhängen beispielsweise, wenn du in deiner Augenhöhe einen Nagel daneben in die Wand schlägst, die Schnur fachmännisch knotenfrei aufrollst und daran aufhängst.

Tür zu genügt schon

Auch dieser Punkt ist unglaublich einfach, wenn man es sich erst mal angewöhnt hat. Nämlich, die Tür hinter sich zu schließen, wenn du einen Raum betrittst oder verlässt. Bis Kinder soweit sind, dass sie hochgreifen und die Klinke betätigen können, vergehen mindestens 20 Monate. Vorher verhindert „Tür zu“ jegliche Risiken, dass euer Sprössling sich unkontrolliert aus dem Staub macht.

Die Welt aus Kinderaugen

Für den letzten Unterabschnitt dieses Kapitels bitten wir dich, nachdem du alles andere getan hast, dich auf die Knie zu begeben. So tief wie möglich. Jetzt hast du den richtigen Blickwinkel, um dein Heim mit Kinderaugen zu betrachten.

Es mag komisch klingen, aber erst wenn du die gesamte Wohnung mal in dieser tiefsten Gangart durchquert hast, bekommst du wirklich ein Gefühl dafür, wo noch Schwachpunkte lauern und bemerkst vielleicht auch erst Dinge, die du vorher übersehen hast. Nimm dir dazu Zeit und krabble durch alle Räume, blicke in jede Ecke, nicht anders macht es auch euer Kind.

 

#4 Achtung, Paranoia-Gefahr – bitte nicht nachmachen

Schon in der Einleitung haben wir dir versprochen, in diesem Artikel auch Dinge aufzugreifen, die du nicht tun solltest. Klar, die folgenden Sachen sind auch alle „irgendwie sicher“. Gleichsam sind sie jedoch schon recht paranoid und erhöhen kaum die Sicherheit, sondern machen dein Haus zu einem Mini-Überwachungsstaat.

Handschuhe fürs Kaninchen?

Wir sind uns einig: Haustiere sind sehr gute Erziehungshelfer. Egal um welche es sind handelt. Das genaue Gegenteil sind jedoch Eltern, die nach der Regel „Tier, KEIME“ agieren (passiert häufig bei Stall-Zwergen wie Kaninchen und Meerschwein) und dem Kind den Kuschelkontakt nur gestatten, wenn es Handschuhe trägt. Dies ist wirklich übertrieben. Es handelt sich um Tiere, keine Biowaffenlabore. Nach dem Kuscheln Hände waschen reicht völlig.

Angeschnallt am Esstisch

Diesen Punkt kann man noch halbwegs nachvollziehen: Viele Eltern nutzen die Gurtfunktion des Hochstuhls, um die Kleinen davon abzuhalten, beim Essen zu viel herumzuzappeln. Bei Babys und Kleinkindern mag das noch ein Sicherheitspunkt sein. Aber wenn der Spross erst mal den zweiten Geburtstag hinter sich hat, muss er am Esstisch nicht wie ein Rennfahrer angeschnallt werden.

 

Kontraproduktive Keim-Panik

Reinigungsmittel gibt es viele. Immer mehr davon versprechen nicht nur porentiefe Reinheit, sondern chemische Säuberung, die „99% aller Viren, Bakterien und Keime“ abtötet.

Toll sind diese Reiniger, wenn man einen OP-Saal säubern möchte. In einem normalen Haushalt und außerhalb des Bades eingesetzt sorgen sie jedoch nur dafür, dass das Immunsystem deines Kindes, wenn der Nestschutz beendet ist, nicht trainiert wird. Experten sind sich einig, genau dieser Mangel an Training ist es, der dafür sorgt, dass Kids heute schneller krank werden und viel häufiger Allergien entwickeln.

Nein, du musst dich nicht in einen Messie verwandeln und die Wohnung zumüllen. Aber benutze einfach normalen Reiniger, ohne Viren-Killer-Zusätze. Bade dein Kind auch nicht jeden Tag, das wiederum belastet die natürliche Schutzschicht ihrer Haut.

Gutes Webforum, schlechtes Webforum

Viele Eltern nutzen das Internet, um sich Informationen zu verschaffen, die dabei helfen, bessere Eltern zu sein. Das ist auch gut und wertvoll. Allerdings solltest du dich vor einem hüten: Webforen, auf denen lediglich normale User schreiben. Nicht dass sich da nicht auch gute Ratschläge finden lassen. Oftmals werden dort aber auch die haarsträubendsten Unfall-Stories verbreitet. In Masse konsumiert können solche Artikel für einen Overload sorgen. Obwohl das alles echte Einzelfälle sind, glauben dann einige, dass auch der eigene Nachwuchs in riesiger Gefahr schweben könnte und verunsichern sich so selbst.

Bleibe ruhig, besonnen und nehme nicht alles für bare Münze, was andere ins Internet schreiben. Viele nehmen sich auch selbst hinter anonymen Nicknames ein bisschen wichtig und übertreiben vielleicht, damit die Story noch dramatischer klingt. Hier ist vor allem der gesunde Menschenverstand gefragt.

Mama und Papa als NSA

Sämtliche großen Internet-Shops sind voll davon: Kameras, Mikrofone und andere Überwachungsutensilien. Sie versprechen brillante Aufnahmen bei geringster Größe. Fürwahr, was man heute bekommt, würde jeden Spion aus dem Kalten Krieg vor Neid erblassen lassen. Das Problem ist: vieles davon wird tatsächlich an Eltern offeriert. Kinderzimmerkameras mit Bewegungssensor, die automatisch mitschwenken. Nachtsichtfunktionen, alles Dinge, die man eher bei der NSA vermuten würde.

Klar, Babyphones sind wichtig. Solange dein Kind noch im Altersbereich ist, an dem ein irgendwie geartetes Risiko für den plötzlichen Kindstod besteht, macht auch eine Atemüberwachung noch Sinn. Aber wenn das Kind aus dem Gröbsten heraus ist, solltest du die Überwachung bis auf das Mikrofon zurückfahren.  Nach 18 Monaten gibt es bei einem normalgesunden Kind keinen Grund mehr, es übermäßig zu überwachen.

Fazit

Ja, ein Baby unterliegt größeren Risiken für Unfälle. Nein, das bedeutet nicht, dass du von nun an in Dauer-Anspannung leben musst. In einem normal-gesicherten Haus hast du bereits alles Mögliche getan, um dein Kind vor Alltagsgefahren zu bewahren. Je mehr man darüber hinausgeht, desto schlechter wirkt der eigentliche Sicherheitsgarant: Wache, reaktionsschnelle Eltern, die sich nicht in trügerischer Sicherheit wiegen, nur weil alle Steckdosen mit Blindstopfen versehen sind.