Mein Kind hat ein zu kurzes Zungenbändchen – häh?!
Ein verkürzts Zungenbändchen ist bei Babys nicht leicht zu erkennen. Es kann sich zum Beispiel durch Stillprobleme äußern. Ist die Zunge in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt, kann das Saugen an Mamas Brust problematisch werden. So war das auch bei Mama und Hallo:Eltern-Kolumnistin Jenn. Drei Monate nach der Geburt bemerkte sie zum ersten Mal, dass etwas nicht stimmte, konnte die Ursache jedoch zunächst nicht erkennen:
Das Kind schrie mehrmals bis zu einer Stunde lang am Tag – und zwar so laut, als ob ihr eine wichtige Lebensgrundlage fehlen würde. Ich versuchte verzweifelt, damit umzugehen und das Rätsel zu lösen, was ihr fehlen könnte, weil aus meiner Sicht alles „normal“ war. Die Schwangerschaft und die Geburt waren gut gelaufen, das Wochenbett gut überstanden, das Kind trank und schlief – eigentlich müsste doch alles ok sein…
Von ihrer Hebamme bekam Jenn die Nummer einer bekannten EEH (Emotionelle Erste Hilfe) Beraterin.
Beim ersten Treffen mit der EEH-Beraterin, die gleichzeitig Stillberaterin und Mitautorin des GU Buchs „Stillen“ war, habe ich gleich neue Information über mein Baby bekommen: Ihre Gewichtsentwicklung sei besorgniserregend und beim Schreien sei ziemlich deutlich zu sehen, dass das Kind ein zu kurzes Zungenbändchen habe.
Zungenbändchen: Was ist das und wozu ist es da?
Das Zungenband (auch frenulum linguae) ist eine mit einer Schleimhaut überzogene Falte, die die Unterseite der Zunge mit dem Mund verbindet. Tatsächlich handelt es sich dabei nicht, wie der Name vermuten lässt, um ein Band, sondern um eine Membran des Mundes. Wenn du deinen Mund weit öffnest und deine Zunge gegen deinen Gaumen drückst, kannst du dein Zungenbändchen sehen.
Das Bändchen hat eine wichtige Aufgabe: Es gibt der Zunge halt, wird aber auch für Bewegung der Zunge gebraucht. Das Zungenband sichert also, dass der Mund seine Aufgaben wie Schlucken, Trinken und Essen optimal erfüllen kann. Im Normalfall behindert das Band die Funktion der Zunge nicht.
Verkürztes Zungenbändchen – Was ist das?
In manchen Fällen ist das Zungenband nach der Geburt jedoch verkürzt (auch Ankyloglossie genannt) – dadurch wird die Zunge oft massiv in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt. Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Ausprägungen:
- Das Zungenband reicht so weit nach vorne, dass es die Zungenspitze in ihrer Beweglichkeit einschränkt (anteriore Ankyloglossie)
- Das Zungenband sitzt zwar tief genug im Mund, ist aber so straff, dass der hintere Bereich der Zunge nicht angehoben werden kann (posteriore Ankyloglossie)
Tatsächlich kommt die anteriore Ankyloglossie weitaus häufiger vor – optisch kann diese so aussehen:

© Gzzz, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Laut der La Leche Liga haben zwischen drei und zehn Prozent aller Babys ein zu kurzes Zungenbändchen. „Manche Stillberaterinnen […] vermuten, dass sogar noch mehr Babys betroffen sind.“ In Studien varriiert die Inzidenz zwischen einem und 15 Prozent. Vor allem, weil es keine einheitliche Definition gibt, entsteht eine solch breite Streuung.
Mehrere Studien kamen außerdem zu dem Ergebnis, dass Jungen häufiger betroffen sind als Mädchen.
Ist bei Babys das Zungenbändchen zu kurz oder zu straff, kann das zum Beispiel zu Problemen beim Stillen führen. Die Zunge ist dann in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt – vor allem das Saugen an Mamas Brust kann da problematisch werden.
„Später kann das Kind möglicherweise Probleme damit haben, mit Brei und Löffel umzugehen oder sogar unter einer Verzögerung der Sprachentwicklung leiden“, wurde auch Mama Jenn von den Experten erklärt.
Márta Guóth-Gumberger und A.Univ.-Prof. Dr. Daniela Karall – beide vom IBLCE, dem International Board of Lactation Consultant Examiners – haben gemeinsam eine dreiteilige Artikel-Serie zum Thema „Zu kurzes Zungenband“ veröffentlicht. Darin schreiben sie:
„Auch bei Problemen mit Essen, Aussprache, Schlucken oder Zahnstellung kann eine eingeschränkte Zungenbeweglichkeit durch ein zu kurzes Zungenband eine Rolle spielen, da dadurch die erforderlichen Lernprozesse für die Bewegung der Zunge behindert werden.“
Verkürztes Zungenbändchen: Wie erkenne ich es?
„Wieso hatte mein Kinderarzt das nicht erkannt?“, war Mama Jenn’s erste Frage nach der Diagnose – hätte sie sich und ihrer Tochter vielleicht lange Schreistunden und -Tage sparen können, wenn das verkürzte Zungenband früher entdeckt worden wäre?
Tatsächlich wurde Jenn von der Beraterin erklärt, dass viele Kinderärzte wenig Erfahrung damit haben. Und auch Experten scheinen das zu bestätigen. So schreibt das Europäische Institut für Stillen und Laktation zum Beispiel:
„Das Bewusstsein für die mögliche Problematik eines zu kurzen Zungenbands ist in den englischsprachigen Ländern in den letzten Jahren deutlich angestiegen und es gibt verschiedene frei zugängliche Informationsseiten von engagierten und renommierten Still- und LaktationsberaterInnen und/oder ÄrztInnen. […] Im deutschsprachigen Raum gibt es bisher nur wenige frei erhältliche Informationen, die Liste wird aber stetig erweitert und ergänzt.“
Da es nicht bei jedem Baby mit einem verkürzten Zungenband zu Problemen und Beeinträchtigungen kommt, wird das zu kurze Zungenband oft auch nicht im Babyalter erkannt.
Eigentlich lässt sich das kurze Zungenband jedoch sehr leicht feststellen – meistens ist es optisch sogar zu erkennen:
Optische Anzeichen:
Wenn das verkürzte Zungenband nicht optisch zu erkennen ist, gibt es auch andere Verhaltensweise, die darauf hindeuten können. Es können mehrere oder sogar alle dieser Zeichen vorkommen – die letztendliche Diagnose sollte aber immer ein Arzt stellen.
Dein Baby…
- …stillt sehr oft oder sehr selten.
- …hebt seine Zunge nicht zum Gaumen an.
- …streckt seine Zunge nicht über die Unterlippe hinaus.
- …macht beim Saugen Schnalzgeräusche, weil es die Brust verliert.
- …kann seine Zunge nicht auf beide Seiten bewegen.
- …schafft es nicht, lange an deiner Brust zu saugen
- …scheint nicht genug Muttermilch zu bekommen (oft zeigt sich das durch Gewichtsverlust).
- …ist angestrengt, unruhig und quengelig.
- …verliert Milch im Mundwinkel.
- …verschluckt sich beim Stillen oft.
Wie das Europäische Institut für Stillen und Laktation erklärt, sind allerdings nicht nur Verhaltensweisen des Babys mögliche Anzeichen für ein verkürztes Zungenband. Auch an der Brust der Mutter lassen sich oft Symptome erkennen – zum Beispiel:
- verformte Mamillen nach dem Stillen
- Schmerzende oder wunde Brustwarzen
- Brust fühlt sich nach dem Stillen noch prall an
- wiederholte Milchstaus
- Vasospasmus-Symptome
Zum Nachlesen:
Kinderarzt Dr. James Murphy hat einen einfachen Trick für Eltern: Schiebe dafür deinen kleinen Finger in den Mund deines Kindes – an den Punkt, wo die Zunge und der Gaumen verbunden sind. Streiche dann sanft unter der Zunge von der einen Seite auf die andere Seite und beobachte, was du fühlst:
- Wenn du auf keinen oder nur sehr wenig Widerstand stößt, gibt es mit ziemlicher Sicherheit kein Problem.
- Wenn du auf Widerstand stößt oder gar nicht von einer Seite zur anderen streichen kannst, ohne deinen Finger leicht aus dem Mund zu ziehen, dann ist das ein Anzeichen für ein kurzes Zungenband.
Márta Guóth-Gumberger und Dr. Daniela Karall haben gemeinsam einige Checklisten erarbeitet, die zur Einschätzung für Fachkräfte dienen sollen. Aber auch unsichere Eltern können einen Blick auf die Listen werfen:
- für Neugeborene
- für Babys & Kinder
Wenn du das Gefühl hast, dass dein Baby ein verkürztes Zungenbändchen haben könnte, solltest du natürlich immer mit deinem Arzt oder einem Berater darüber sprechen.
Aber: Nicht jedes kurze Zungenband verursacht auch Probleme
In manchen Fällen bleibt das verkürzte Zungenband lange unerkannt. Denn nicht jede Ankyloglossie verursacht auch merkbare Probleme. Studien zufolge treten bei 25 bis 80 Prozent der Säuglinge mit einem kurzen Zungenband Stillprobleme auf.
Zu kurzes Zungenbändchen – was kann ich tun?
Stillprobleme, die durch das kurze Zungenband ausgelöst werden, kannst du vielleicht durch eine andere Stillposition kurzfristig lösen. Versuche zum Beispiel mal das Stillen in der zurückgelegten Position. Dabei liegst du und dein Baby liegt auf deinen Bauch und robbt selbst zu deiner Brustwarze.
Wenn du aber nach einer langfristigen Lösung suchst, solltest du dich mit der Durchtrennung des Zungenbands beschäftigen.
Zungenband durchtrennen? Pro und Contra
Das kurze Zungenband festzustellen ist der erste Erfolg. Die Diagnose dauert manchmal einige Wochen oder Monate. Wenn dann endlich feststeht, dass dein Baby wirklich ein zu kurzes Zungenbändchen hat, steht die nächste Schwierigkeit bevor.
Die Frage, ob eine sogenannte Frenotomie – also das Durchtrennen des Zungenbändchens – durchgeführt werden soll.
Hier gibt es verschiedenste Techniken.
- Schnittfrenotomie (mit oder ohne Lokalanästhesie – ohne Naht)
- Laserfrenotomie (mit Lokalanästhesie – ohne Naht)
- Operation (Vollnarkose – mit Naht)
Meistens kommt eine Schnittfrenotomie zum Einsatz.
In einem Statement schreibt das Europäische Institut für Stillen und Laktation über die Laserfrenotomie:
„In jüngster Zeit wird die Laserfrenotomie im deutschsprachigen Raum an einigen Stellen, häufig auch in Social Media Kanälen, stark propagiert. Hier ist große Vorsicht geboten, da im Gegensatz zur klassischen Schnittfrenotomie, die meist eine Kassenleistung ist, die Laserbehandlung privat getragen werden muss. Auf die Eltern kommen dadurch oft erhebliche Kosten zu.“
So läuft die Schnittfrenotomie ab
Tatsächlich geht das Durchtrennen des Zungenbändchens recht schnell und komplikationslos – der Eingriff dauert nur einige Sekunden und kann ohne Narkose durchgeführt werden. Da das Zungenband kaum durchblutet ist, blutet dein Baby auch nicht stark – es kann direkt danach wieder trinken.
Mama Jenn machte die Vorstellung von einer solchen Behandlung natürlich trotzdem Angst:
„Ich war sehr skeptisch: Sie wollte also eine Schere in den kleinen Mund meines unschuldigen Babys stecken, um einen Teil ihrer Zunge ohne Betäubung durchzuschneiden? Was war das, mittelalterliche Folter? Waren die verrückt?“
Befürworter und positive Erfahrungen
Viele Stillberaterinnen, wie auch die von Jenn, raten ganz klar zu dem Eingriff – zum Beispiel erklärt die La Leche Liga:
„Ein unbehandeltes zu straffes Zungenbändchen kann später zu Schwierigkeiten mit den Zähnen, dem Sprechen, dem Putzen der Zähne mit der Zunge, dem Schlucken von Tabletten, dem Lecken von Eistüten und dem Küssen führen.“
Auch Jenn war überzeugt: „Ich war mir sicher, dass diese Behandlung die ultimative Lösung des Schrei-Rätsels war. Also habe ich einen Termin mit der Ärztin ausgemacht!“
Die Behandlung selbst hat laut Jenn nur circa fünf Sekunden gedauert.
„Die Ärztin hat mit einer sterilen Schere einen kleinen, genauen Schnitt unter der Zunge meines Kindes gemacht. Geschrien hat sie natürlich trotzdem, aber auch gleich spürbar besser von meiner Brust getrunken.“
Jenn konnte also einen der positiven Aspekte der OP direkt spüren.
Zu den weiteren Vorteilen des Eingriffs gehört:
- Das Saugverhalten des Kindes normalisiert sich meist unmittelbar: Probleme wie schlechte Gewichtszunahme werden dadurch gelöst.
- Der Eingriff traumatisiert dein Baby nicht: Laut der La Lache Liga ist der Eingriff in etwa mit einer Impfung zu vergleichen.
- Durch ein frühes Durchtrennen kann ein größerer Eingriff im Kindesalter verhindert werden: Bei älteren Kindern wird ein kurzes Zungenbändchen von einem Mund- oder Kieferchirurgen durchgeführt. Hier ist eine Betäubung notwendig.
Mit ihrer positiven Erfahrung ist Mama Jenn übriges auch nicht allein. Eine Schweizer Studie hat ergeben, dass ein Großteil der Mamas eine Besserung bemerkt haben und den Eingriff nochmals bei ihrem Kind durchführen lassen würden.
Kritiker: Ist der Eingriff notwendig?
Tatsächlich sind sich Ärzte, Stillexperten und Stillberater sind sich nicht einig, ob ein kurzes Zungenband wirklich behandelt werden muss.
Einige Kinderärzte halten das Durchtrennen eines verkürzten Bändchens oft nicht für notwendig, sie sehen hier einen unnötigen operativen Eingriff. Denn das Zungenband könnte sich auch von allein dehnen oder reißen.
Wenn dein Kind ein zu kurzes Zungenbändchen hat, solltest du dir deswegen auf jeden Fall mehrere Fachmeinungen einholen und deine Entscheidung genau abwägen.
Mama Jenn zieht ein Fazit
Der Eingriff war bei Mama Jenn leider nicht das erhoffte Allheilmittel:
Es wäre schön gewesen, wenn ein kleiner, medizinischer Eingriff unser Leben verändert hätte, aber im Fall meines Babys war es etwas komplizierter.
[Von dem Eingriff] an konnte mein Baby besser trinken und die Zunge war schnell wieder verheilt. Auch die Gewichtszunahme hat sich sofort verbessert, obwohl wir immer noch kleine Probleme mit dem Andocken und dem Stillen hatten. Das Stillen war zwar immer noch etwas mühsam, aber nun konnte ich zumindest sicher sein, dass mein Kind genügend Milch kriegt.
Aber: Trotz allem ging das endlose Gebrüll weiter.
Das verkürzte Zungenband war also nicht das einzige Problem. Anscheinend war ihre Tochter wohl mehr ein High-Need-Baby. Den Eingriff bereut Jenn trotzdem bis heute nicht:
Ich bin heute immer noch dankbar, dass meine wunderbare Stillberaterin diesen kleinen „Fehler“ entdeckt hat. Zumindest wurde ein wichtiges Teil des Puzzles unseres ersten schwierigen Jahres gelöst und so der Weg nach vorne erleichtert.