Eine simple Erkenntnis macht das Leben leichter
Es wird zwar nicht passieren, aber: mal angenommen, eine junge Mutter oder ein junger Vater käme zu mir und würde mich fragen: „Wir haben gerade unser erstes Kind bekommen – welchen Ratschlag kannst du uns geben?“. Dann würde ich meinen Zeigefinger erheben und mit weisem Unterton antworten: „Denkt immer daran: Die anderen Eltern kochen auch nur mit Wasser.“
Mir zumindest hat diese Erkenntnis sehr geholfen. Und sie hat mich zu einem entspannteren Menschen gemacht. Nicht unbedingt im Umgang mit meinen eigenen Kindern (hüstel), aber zumindest gegenüber anderen Eltern.
Seit mein Sohn in den Kindergarten geht, komme ich zwangsläufig mehr in Kontakt mit anderen Müttern und Vätern. Und nach einer gewissen Zeit habe ich gemerkt: Egal, wie sehr sich andere als perfekte Mama oder Super-Dad inszenieren, egal wie harmonisch die Verbindung zum Kind auch scheint und wie toll alles bei ihnen laufen mag: es gibt immer einen Zeitpunkt, an dem sie vor genau den selben Problemen stehen wie du.
Dann denkt auch ihr Kind nicht daran, sich die Zähne zu putzen. Dann sitzt es bockig am Esstisch und verschmäht ohne den geringsten Grund das Essen, das ihm neulich noch geschmeckt hat. Dann trödelt es im Schneckentempo umher, obwohl Mama und Papa es extrem eilig haben. Dann schubst es andere Kinder, schmollt, weint und nervt.
Und die Eltern stehen entgeistert daneben, wissen nicht weiter und verlieren vielleicht die Beherrschung.
Bei anderen sieht alles leichter aus? Von wegen!
Seit ich mir das klargemacht habe, fällt mir der Umgang mit anderen Eltern bedeutend leichter. Denn tatsächlich litt ich davor oft an der Vergleicheritis und war der Meinung, dass gewisse Erziehungs-Dinge bei anderen Eltern einfach leichter und besser aussehen als bei mir.
Mir kam es so vor, als würden:
- ihre Kinder besser folgen,
- sie selbst immer souverän wirken
- und dabei auch noch entspannter und ausgeschlafener aussehen als ich.
Das machte mir die Eltern unsympathisch, ohne dass ich auch nur ein Wort mit ihnen gewechselt hätte.
Dabei ist das nur die Oberfläche. Viele Eltern sind halt einfach gut darin, sich zu inszenieren. Sie können auf Spielplätzen stundenlang erzählen, was ihr Kind schon alleine kann und wie super bei ihnen alles läuft. Die Tobsuchtsanfälle vor dem Zubettgehen vergessen sie dabei zu erwähnen. Dass sie ihren kleinen Schatz manchmal am liebsten zum Mond schießen würden (und zwar ohne Rückfahrschein), entfällt ihnen auch.
Ich finde plötzlich andere Menschen mit Kindern sympathisch
Seit ich weiß, dass wir alle im selben Boot sitzen, entdecke ich Züge an mir, die ich nie für möglich gehalten hätte: ich empfinde Sympathie für andere Menschen, nur aus dem simplen Grund, dass wir Kinder im selben Alter haben. Der Misanthrop in mir ist zwar nicht verschwunden. Aber wo ich früher einen Mann im Bänker-Outfit aus Prinzip unsympathisch gefunden hätte, kommt er mir jetzt gar nicht mehr so schrecklich vor – wenn an seiner Hand ein Vierjähriger zerrt und schreit, dass er noch drei Stunden auf dem Spielplatz bleiben möchte. Während der Papa verzweifelt flüstert: „Wir hatten doch ausgemacht, dass…“
Da würde ich ihm am liebsten die Hand auf die Anzug-Schulter legen und sagen: „Ich weiß ganz genau, was du gerade fühlst. Es geht vorbei, mein Freund. Glaube mir, es geht vorbei.“
Mache ich natürlich nicht. Auch wenn es ihm vielleicht helfen würde. Mich jedenfalls tröstet der Gedanke, dass meine Frau und ich dieses irre Abenteuer namens „Kinder zu halbwegs passablen Menschen formen“ nicht alleine bestehen müssen. Wie gesagt: Wir kochen alle nur mit Wasser – auch wenn manche etwas großzügiger salzen als andere.