Wutanfall. Es gibt wenige Worte, die von Eltern mehr gefürchtet werden. Wer schon einige der höchst emotionalen Aussetzer seines Kindes in der Trotzphase mitgemacht hat, der kann darin eine gewisse Systematik erkennen. Ein Wutanfall lässt sich daher wunderbar in verschiedene Phasen unterteilen. Wir haben das exemplarisch einmal durchexerziert.
Phase 1: Fehler
Allen Wutanfällen geht ein Fehler voraus. Ein unverzeihlicher Fehler, den wir Eltern begehen und unsere Kinder damit zutiefst verletzen. Zum Beispiel, dass wir ihnen verbieten, Eis zum Frühstück zu essen oder dass wir das Marmeladenbrot mit dem falschen Messer bestrichen haben. Ebenso verhält es sich, wenn wir es unverständlicher Weise nicht zulassen, dass sie bei 30° mit Winterjacke nach draußen gehen, oder – viel schlimmer – dass wir es doch zugelassen haben, dass sie bei 30° mit Winterjacke nach draußen gehen und es jetzt viel zu heiß ist. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen. Der Knackpunkt ist: Du bist schuld!
Phase 2: Wut
Die Unzufriedenheit bei deinem Kleinkind wächst. Die anfängliche Enttäuschung über die absolute Fehlentscheidung der Eltern weicht echter Wut. Sie brodelt und kocht, bis sie sich schließlich in einem lauten Gebrüll den Weg an die Oberfläche bahnt. In dieser Phase fallen gerne die Worte „blöd“ oder „doof“. Ja, die kleinen Wüteriche reden nicht lange drum herum und kommen dir gleich auf die persönlich beleidigende Tour.
Phase 3: Verhandeln
Diese Phase wird auch gerne übersprungen. Doch der Vollständigkeit halber sei sie erwähnt. Auch deswegen, weil das Verhandlungsgeschick der Altersgruppe 3+ schon ziemlich beachtlich ist. Sie suchen nach Schlupflöchern und Hintertürchen, die dein Argument irgendwie untergraben könnte. „Wenn…, dann…“-Konstruktionen lieben sie besonders. Und sie haben außerdem ein Talent dafür, sich deine schwachen Momente zu merken, in denen du vielleicht mal ein Auge zugedrückt hast. Das kommt natürlich auf den Verhandlungstisch. Jetzt heißt es standhaft bleiben und sich auf die nächste unschöne Phase gefasst machen.
Phase 4: Tränen
Auf Knopfdruck kullern bittere Tränen über das wütende Gesicht. Wir geben zu, das zerreißt uns fast das Herz. Aber nur fast, denn wir kennen unsere Trotzkinder. Das ist taktisches Kalkül. Sie packen uns an unsere Schwachstelle, dem Mutterinstinkt.
Phase 5: Drama
Ziehen die Krokodilstränen nicht, dann werden die harten Geschütze aufgefahren – besonders gerne im Supermarkt oder an anderen hochfrequentierten Orten. Dein Trotzkind bricht weinend auf dem Boden zusammen und zieht alle Blicke auf sich. Einige dieser Auftritte sind wirklich Oskar reif und überzeugender als die von Jack Nicholson in Die Wutprobe. Besonderer Dank geht an diese Stelle auch stets an die Nebenrolle: ältere Damen, die ungefragt schlaue Ratschläge gibt.
Phase 6: Resignation
Nach einer gewissen Zeit, die sehr von der Tagesform abhängt, geht auch dem Wutzwerg die Energie und die Motivation aus. Er fügt sich seinem Schicksal und fährt die Systeme zurück auf „normal“. Für dich fühlt sich das ein bisschen wie Gewinnen an… wäre da nicht Phase 7.
Phase 7: Ruhe vor dem Sturm
Auch wenn die Welt wieder in bester Ordnung zu seien scheint, die Stille ist trügerisch. Sobald du dich in Sicherheit wähnst passieren dir wieder unverzeihliche Fehler und wir starten erneut bei Phase 1.