Ich war als Mädchen ziemlich jähzornig. Ich habe mehrmals am Tag kräftig und lauthals geschimpft, wenn etwas nicht geklappt hat oder nicht so geworden ist wie ich es mir vorgestellt habe. Wutausbrüche wurden so erwidert: „Geh ins Zimmer!“, und los bin ich gerannt, habe die Tür hinter mir zugeknallt, und habe in meiner eigenen Zorn-Brühe langsam und heiß geschmort.
Meine Kinder schicke ich auch in ihr Zimmer wenn sie es nach mehreren Versuchen nicht schaffen, auf mich zu hören oder freundlich mit einander umzugehen. Ich schicke sie nicht wegen jeder Kleinigkeit weg – aber wenn sie mehrmals angemessene Anforderungen verweigern oder keine friedliche Lösung haben wollen, muss mindestens eine Partei kurzfristig entfernt werden.
Die Inuit machen es anders
Neulich las ich einen Artikel über die Erziehungsmethoden der Inuit, die es anscheinend gut schaffen, ihre Wut zu beherrschen. Eltern zeigen ihren Kindern ihre Wut so gut wie nie und betrachten Auszeiten wie „ins Zimmer schicken“ oder „auf der Treppe sitzen lassen“ als eindeutige Strafen – die nur Negatives beibringen. Laut dieser Philosophie lernen Kinder so lediglich, dass sie vor ihren Schwierigkeiten weglaufen sollten.
Statt Strafen arbeiten sie mit Geschichten: Sie erklären spielerisch, wieso man Bestimmtes macht oder nicht macht und führen einen Konflikt noch mal vor, um dem Kind die Folgen von ihrem Verhalten zu zeigen, z.B. wenn du Mami haust – „Aua!“ – tut ihr das weh. Sie machen aus unerwünschtem Benehmen pädagogisches Theater, das anscheinend sanft eine soziale Kompetenz und die wichtigen Regeln des Lebens übermittelt.
Ist eine Auszeit eine Konsequenz oder eine Strafe?
Interessant auf jeden Fall, aber ist das überhaupt in unserer Gesellschaft umsetzbar? So ideal wie es sich anhört, ich weiß nicht, ich habe so meine Zweifel.
Zweifel #1: Erstens frage ich mich, ob ich als Mutter die Nerven dafür hätte. Grundsätzlich finde ich es klug und richtig, den Grund für unanständiges Benehmen zu untersuchen, bevor man einfach reagiert. Es ist wichtig herauszufinden, wieso ein Kind plötzlich loskreischt – um eine passende Lösung zu finden und auch natürliche Emotionen wie Frust und Wut zu bestätigen. Manchmal ist mir das aber ehrlicherweise zu viel: Ich bin mitten im Kochen/Telefonieren/Wäsche Zusammenfalten und wenn das eine Kind dem anderen eine Puppe zum zweiten Mal in zehn Minuten wegnimmt ohne erst darum zu bitten, ist die effizientere Art der Streitschlichtung das Kind ganz aus dem Spiel zu nehmen. Von wegen Theater vorführen, es muss einfach Ruhe geben!
Zweifel #2: Zweitens bin ich mir nicht so sicher, ob eine Auszeit unbedingt eine Strafe ist. Sie ist ja keine Belohnung, aber meine Kinder sollten auch verstehen, dass unsoziales Benehmen Konsequenzen hat. Wenn man ruppig in seinem Verhalten ist, schreit, oder einfach unhöflich wirkt, mögen andere Menschen eventuell keine Zeit mit dir verbringen. Man entfernt sich selber quasi damit aus netter Gesellschaft. Und wenn Kinder diese Lektion durch ein paar Minuten in Isolation lernen, bin ich damit einverstanden.
Auszeit als mögliche Option, wenn sonst nichts funktioniert
Ich schicke meine Kinder schon ins Zimmer, versuche das aber sparsam zu machen. Denn am besten lernen sie vor Ort und nicht alleine gut miteinander umzugehen.
Eine Auszeit für Kinder kann aber auch eine nötige Auszeit für Eltern sein. Etwas Abstand von einem Konflikt kann uns allen helfen, runterzukommen, neu zu starten, und insgesamt freundlicher mit einander umzugehen.
Vielleicht sollten wir Auszeiten anders gestalten: nicht als Strafe, sondern als Pause. Wenn es einfach zu heiß wird, brauchen wir alle die Gelegenheit, uns zu erholen.
Wie es in der Meditation heißt, „Begin again.“ Ich frage meine Kinder und auch mich selber: Begin again? Das können wir immer wieder.