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Betreuung 1,5:20 – Betreuungswahnsinn Kindergarten

Mädchen spielen mit Holzspielzeug
Betreuungswahnsinn im Kindergarten
©Pexels/cottonbro

Mit unseren ersten Kindern haben wir unsere Betreuungsgeschichte im kleinen Elternverein gestartet. Das war an einigen Stellen schön. An anderen nicht. Jetzt sind wir im dritten Jahr in einem staatlichen Kindergarten und Krippe und gerade im Winter ist das eine Katastrophe. Notdienste gehören zur Tagesordnung, das Personal ist permanent überlastet und die Kinder schwanken zwischen unausgeglichen und unglücklich. Muss das so sein?

Spontane Betreuungsabsagen

In den letzten zwei Wochen hätte ich eigentlich an vier Tagen spontan nicht arbeiten können. Weil wir Notstand haben und dann um zwanzig vor acht mein Telefon klingelt. Das tut es nicht bei allen Eltern. Ich arbeite von zuhause, war zuvor mit Tochter 2 daheim und bin in dieser Zeit in angespannten Phasen gerne eingesprungen. Dass ich das aktuell nicht mehr leisten kann und wir keine Großeltern haben, die auf Knopfdruck im Alltag einspringen, geht im Notstand unter. Zuverlässige Kinderbetreuung ist eine Notwendigkeit, um Familie und Arbeit vereinen zu können. In Deutschland ist das aktuell an den wenigsten Orten für alle Familien möglich. Das liegt keineswegs am Personal in den Einrichtungen, die oft genug über ihre persönlichen Grenzen hinausgehen. Es liegt an einer katastrophalen Planung und einem fehlenden Konzept für den Ganztag.

Schnipp Schnapp

Vor einigen Wochen holte ich unsere Tochter ab, zog sie rasch an (da Notdienst war und 80 Kinder zum gleichen Zeitpunkt von den gestressten Eltern abgeholt wurden). Die Erzieherin meiner Tochter sprach mich kurz an, dass sie mit einer Freundin und einer Schere ihre Anziehsachen zerschnitten hätte. Dies sei im Sitzkreis geklärt worden. Fazit: Anziehsachen sind teuer. Nicht ganz mein Fazit, aber gut. Als ich Kind 3 zuhause auszog, sah ich das Ausmaß: Fünf lange Schnitte an verschiedenen Stellen des Oberteils, Bänder der Hose abgeschnitten und drei Schnitte am Oberschenkel. Da fragte ich mich, wie lange die zwei dreijährigen Mädchen unbeaufsichtigt mit den Scheren waren. Von einer anderen Mutter erfuhr ich, dass Kind 3 und ihre Tochter an einem anderen Tag ihre Haare geschnitten haben. Wieder unbeaufsichtigt. Nach einem Gespräch mit der Erzieherin werden die Scheren nun sicher aufbewahrt, solange nicht permanent ein Erwachsener im Raum ist. Dass das nicht der direkte Schluss nach einem schnittigen Zwischenfall ist, leuchtet mir nicht vollständig ein.

Kein Toilettengang möglich?

Andere Eltern berichteten, dass ErzieherInnen sie bäten, kurz im Raum zu bleiben, damit sie auf Toilette gehen könnten. Kinder trauen sich nicht, um Hilfe zu bitten, weil die Erwachsenen „eh keine Zeit haben“. Wenn ein anderes Kind den jüngeren Kindern den Popo abwischt, läuft etwas gewaltig schief. Von Konflikten zwischen den Kindern wollen wir mal gar nicht anfangen. Das ist nicht der Normalzustand, aber es ist seit mehreren Monaten der Zustand in unserem Kindergarten. Zwei Langzeiterkrankte ohne zuverlässigen Ersatz erhöhen die Belastung. Unter der hohen Beanspruchung klappen weitere Erzieher weg. Es gibt keine neuen Erzieher, weil der Markt leer ist. Zwar gibt es Kräfte im Springer-Pool, aber diese wollen nicht fest in die Häuser wechseln. Denn dann entfiele der Bonus, den sie erhalten. Inwiefern das die Betreuungssituation aus Kindersicht verbessert, habe ich noch nicht verstanden.

Keine „Basteltanten“ mehr

Das Selbstverständnis der ErzieherInnen hat sich in den letzten Jahren gewandelt – und das zu Recht. Motorische Fertigkeiten sollen im Kindergarten vermittelt werden, aber die sozialen Kompetenzen eben auch. Die Neugier auf Wissen, das spielerische Lernen und die Freude an der Bewegung sind Kernbereiche für die gesunde Entwicklung von Kindern im Kindergartenalter. Die ErzieherInnen möchten den entsprechenden Respekt und eine angemessene Bezahlung für ihre Arbeit. Im Wege stehen ihnen dabei die Bedingungen ihrer Arbeit, die an den Ganztag nicht angepasst wurden. Wer zu anderthalb für 20 Kinder zuständig ist, kann am Ende wenig beschicken. Natürlich ist der Betreuungsschlüssel in den belasteteren Stadtteilen mit ganz anderen Herausforderungen höher. Aber auch bei „Standardkindern“ sind anderthalb ErzieherInnen für 20 Kinder nicht ausreichend, wenn pädagogisch gearbeitet werden soll.

Bitte ein Konzept

Ich vertrete keineswegs die Position, dass eine Ganztagesbetreuung für Kinder nicht geht. Aber die Umsetzung des Ganztages in Deutschland – sowohl in der Schule als auch im Kindergarten – bereitet mir immer mehr Bauchweh. Vereinbarung von Familie und Beruf muss das Ziel sein, aber bitte nicht auf Kosten der Kinder. Eine gute Betreuung ist mit diesem Betreuungsschlüssel nicht möglich. Warum machen wir in diesem Bereich immer so weiter, obwohl wir die negativen Konsequenzen spüren? Warum kombiniert man beispielsweise nicht Logopädie mit frühkindlicher Pädagogik? Warum haben wir keine Vorschulpädagogen? Warum keine Bewegungspädagogen?

Ich bin kein Fan von permanenter Frühförderung und ich denke nicht, dass Kinder vor allen Enttäuschungen und jedem Frust bewahrt werden sollten. Aber diese kinderunfreundlichen Gegebenheiten können nicht gut sein. Wenn die Forschung uns zeigt, dass die frühkindliche Prägung für unsere Kinder entscheidend ist, hört diese Prägung nicht im Elternhaus auf. Sie gibt den Jahren in der Krippe und im Kindergarten eine große Bedeutung.

Gute KiTa – wo denn bitte???

Nach dem in Krafttreten des Gute-KiTa-Gesetzes wurden bei uns die Beiträge für Kindergärten gestrichen. Mit dieser Aktion sollen die Elterngemüter (und Wähler) befriedet werden. Tatsächlich werden sie für dumm verkauft. Denn mehr Qualität geht nur mit Investition. Angeblich hilft Eltern dieses allgemeine Streichen der Gebühren, anstelle einer gerechteren Staffelung der Gebühren (die mehr Zeit kosten würde). Das allgemeine Streichen der Gebühren entlaste und fördere Familien. In der Realität ist es ein weiteres Zeichen für die vollständige Ideenlosigkeit in unseren Bildungsbehörden. Es gibt offensichtlich keine tragfähigen Konzepte im frühkindlichen Bildungsbereich, die eine hochwertige Ganztagsbetreuung in Deutschland etablieren könnten. Also zahlen die Eltern zumindest weniger Geld für die schlechte Aufbewahrung der Kinder. Aber wer will das von uns Eltern? Die Gute KiTa bleibt in Deutschland leider nur der Name eines Gesetzes.

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