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Die fantastische Fantasiewelt meiner Tochter

Mädchen mit Pferdespielzeug
Eine Welt voll von Lebensfreude
©Bigstock/ Krakenimages.com

Bereits Shakespeare erklärte die Welt zu einer Bühne. Meine Tochter setzt Method Acting Tag für Tag und Rolle für Rolle beeindruckend um. In unserem kleinen Garten hinter unserem Stadthaus tummeln sich jetzt beispielsweise drei Pferde. Wer als Eltern die Scham hinter sich lässt, entdeckt eine verzauberte Welt.

Kleiner Drache im Kindergarten

Der Wechsel von der Krippe in den Kindergarten war für Tochter 1 im letzten Jahr eine große Herausforderung. Gut, dass sie ein gefährlicher Tiger werden konnte, um den neuen Raum vorsichtig zu beschnuppern. Aktuell wird sie in gefährlichen Situationen ein Drache. „Mama, ich bin jetzt ein ‚Riesenhafter Alptraum‘.“ (Ob die Macher von „Drachenzähmen leicht gemacht“ vorhergesehen haben, dass ihre Drachennamen zu solchen Selbstbezeichnungen führen würden?) Sie äußert aber auch durchaus charmante Zweifel: „Mama, ich bin mir nicht sicher, ob du wirklich ein guter ‚Brüllender Tod‘ bist.“ Ich wollte offensichtlich zu wenig kämpfen und zu wenig Feuer speien – keine gute Kombination für einen gefährlichen Drachen.

Meine Drachen schlagen immer eher vor, dass wir in einer Höhle liegen und ein bisschen schlafen. Das hat meine Tochter eine Weile beim Spielen behindert, aber jetzt hat sie eine gute Lösung gefunden. Ich bin jetzt meistens die Mutter aller Drachen, die in einer Höhle herumliegt. Allerdings reicht das Rollenspiel nicht so weit, dass meine Tochter alles machen würde, was ich als die Mutter aller Drachen ihr als Riesenhafter Alptraum sage. Auch wenn ich einwende, dass ich sie durch die Macht meiner Gedanken beherrsche. „Durch Gedanken schon, Mama, aber nicht durchs Sagen.“ ist die schlaue Antwort.

Die Pferde sind los

Seit vier Monaten sind es nicht mehr die Drachen alleine, die unseren Alltag versüßen. Mit den Hörbüchern von Bibi und Tina sind die Pferde bei uns eingezogen. Zeitgleich hat Tochter 1 Fahrradfahren gelernt und Tochter 2 fährt jetzt auf dem kleinen Laufrad. Das sind allerdings keine Räder, sondern Pferde. Sie werden gestreichelt und gefüttert. Ihnen wird gut zugeredet, weil sie manchmal Angst haben. Sie brauchen Seile als Zaumzeug und sie müssen gestriegelt werden. Außerdem werden sie in einer durchaus überzeugenden Imitation von Bibi und Tina mit einem „Hoh, Amadeus, langsam mein Guter“ gebremst. Das Fahrrad von Tochter 1 ist Amadeus, das große Laufrad ist Sabrina und das kleine Laufrad ist bei Tochter 2 Wau (weil alle Tiere unter der Kategorie Wau laufen) und bei Tochter 1 Maharadscha.

„Sie müssen doch essen“

Auf unseren Pferden wird fleißig zur Krippe und in den Kindergarten geritten. Dort angekommen werden die Pferde noch versorgt, bevor wir uns verabschieden können. Amadeus macht auch gerne eine kleine Extra-Runde und zeigt uns die neuesten Tricks. So kann er nämlich ausgesprochen fein im Kreis fahren – pardon traben.

Diese Parade ist gewöhnlich notwendig, wenn wir in Zeitnot sind. Denn natürlich sind ja nicht wirklich wir in Zeitnot, sondern ich bin in Zeitnot. Die Kinder spielen ausgesprochen glücklich und selbstvergessen in ihrer Pferdewelt. Wau wird noch einmal vorne angehoben, untermalt von einem lieblichen Wiehern (nein, das Wiehern klingt bei keiner meiner Töchter lieblich, sondern eher wie eine gequälte Kettensäge). Und dann kommt die Suche nach Nahrung. Amadeus frisst gerne Fleisch (!) in Form von altem Holz (!!!). Wau begnügt sich mit Vogelbeeren und wenn Sabrina statt Amadeus geritten wird, gibt es gerne ein paar Blätter. Erst wenn alle versorgt und ein letztes Mal gestreichelt und geküsst wurden, können wir gehen. Bisher ist Tochter 1 nicht aufgefallen, dass Pferde auch trinken müssen. Aber ich sehe mich in Zukunft durchaus mit einer Wasserflasche und einer Schale in der Hand zum Kindergarten gehen.

Ein anderes kleines Mädchen

Meine Tochter hat bei mir Erinnerungen lebendig werden lassen an ein anderes kleines Mädchen, das auf einem roten Plastiktrecker geritten ist. Der Anhänger war die Kutsche und das Trecker-Pferd musste auf einer Wiese weiden. Das waren meine liebsten Stunden im Garten meiner Oma, in denen ich selbstvergessen mein Trecker-Pferd versorgt habe. Es hatte am Lenkrad festgebundene Zügel und wurde oft genug wegen einer Verletzung liebevoll über die Wege gezogen. Ich weiß noch, wie wichtig mir das gewesen ist und wie traurig ich war, wenn ich nicht als erstes am Morgen barfuß zum Schuppen gehen durfte, um mein Pferd aus dem Dunklen zu befreien und auf die Wiese zu führen.

Zuhause war es eine größte Freude, wenn unsere Nachbarin nach unserem Hund gefragt hat. „Unser Hund“ war mein viel geliebter Stoffhund Beppi, der an einer echten Leine überallhin mitkam und für den ich – total überzeugend und keineswegs wie eine Kettensäge klingend – bellte. Ich konnte Ewigkeiten von Beppi erzählen und ihn Tricks zeigen lassen.

Den Schmerz meiner Tochter, wenn Erwachsene sie korrigieren, dass es „nur“ ein Fahrrad sei, kann ich gut nachfühlen. Für sie ist das kein Fahrrad, sondern ihr Pferd Amadeus, mit dem sie echte Abenteuer erlebt.

Manchmal es ist sinnvoll die Welt aus Kinderaugen zu betrachten. Hier erzählt unsere Mama Daniela Kirschbaum, was wir uns von den lieben Kleinen abschauen können.

Mitspielen

Es ist nicht so, dass mir das intensive Spielen meiner Tochter immer gelegen käme. Es gibt Tage, da passt es so gar nicht zu meinem Tempo und zu meinem Termindruck. Ich versuche den äußeren Druck nie so groß werden zu lassen, dass ich gar nicht mitspielen kann. Früher aufstehen ist die simpelste Variante von Zeit schaffen. Manchmal braucht es andere Prioritäten. Einmal nicht geputzte Zähne und kein geflochtener Zopf oder keine gekämmten Haare bringen Kinder nicht um. Aber ein Morgen, an dem wir stattdessen in der gewonnenen Zeit gemeinsam zum Kindergarten geritten sind, verbindet uns innig.

Beim besten Vorsatz klappt es aber nicht immer. Manchmal bin ich genervt und zu sehr in mir und der wichtigen erwachsenen Welt verstrickt. Da fehlt mir die Leichtigkeit, weil ich müde bin und der Stress gewinnt. Aber die Momente, in denen ich mich auf die Fantasiewelt meiner Tochter einlasse, gehören zu den schönsten gemeinsamen Augenblicken voller Lebensfreude.

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