Dürfen Kinder nicht mehr nackt sein?

Zwei Kinder liegen am Strand auf dem Sand
Nackt in der Kindheit – darf man das noch?
© bigstock/ OPOLJA

Am Stand, am Badesee und sogar im eigenen Garten: Nackte Kinder sind mittlerweile zu einer Seltenheit geworden. Auch unserer Autorin Bettina ist das aufgefallen. Sie versucht zu verstehen, wieso Nacktheit bei Kindern heute komisch ist. Lies hier, wie sie damit umgeht!

Dieses Jahr erlebte unser kleiner Mann Oskar, 11 Monate, seine erste Badesaison. Ich freute mich schon wie ein kleines Kind auf das warme Wetter. Sommer, Sonne, Nackedeis. Aber erst als ich öfters in den Freibädern unterwegs war, fiel mir etwas auf: Seit meiner eigenen Kindheit hatte sich einiges geändert. Da rennen keine nackten Kinder mehr über die Wiesen. Selbst im eigenen Garten hüpfen Kinder in Badehosen und Bikinis über Wassersprenkler.

Nacktheit bei Kindern ist heute komisch geworden

Besonders fiel mir das Dilemma auf, als ich mich mit anderen Müttern im Strandbad verabredet hatte. Sobald die Kinder aus dem Wasser waren, wurden sie um- und angezogen. Die einzige Ausnahme war mein kleiner Sohn, der unter dem Handtuch noch nackt blieb. Turnte er von mir weg, zeigte er sich in seiner ganzen, nackten Pracht. Ihm machte das nichts aus. Mir auch nicht. Bis ich eben bemerkte, dass er der einzige Nackedei war.

Etwas verunsichert fragte ich eine befreundete Mutter: „Darf der hier nackt sein?“ Die Mutter lehnte sich vielsagend zu mir herüber und flüsterte schon fast: „Hier am Platz schon, aber wenn wir im Strandbad herumlaufen, ist es besser, wenn er etwas anhat. Du weißt, die Pädophilen …“

Ist es also die Angst vor den Pädophilen, die uns dazu bewegt, die nackten Kinder vor den Blicken Fremder zu schützen? Lauern sie wirklich an jeder Ecke?

Ein anderes Mal war ich mit meiner Mutter, der stolzen Oma, im Strandbad. Nach dem ersten Badegang zogen wir dem Kleinen schnell die nasse Windel aus. Er krabbelte fröhlich um uns herum und über das Gras.

„Irgendwie komisch“, meinte ich zu meiner Mutter, „wenn er so nackt ist.“ Meine Mutter bestätigte, dass es ihr ähnlich ging. „Weil er ein Junge ist“, meinte sie. Bisher gab es nur Mädchen in unserer Familie.

Aber tatsächlich verursachte Oskars öffentliche Nacktheit ein komisches Gefühl bei mir. Ich hatte das Bedürfnis, ihn zu bedecken, ihn zu schützen vor Blicken, die es bei genauerer Beobachtung gar nicht gab. Denn niemand interessierte sich für das nackte Kind, das mit hoch erhobenem Po im Vierfüßlerstand über die Wiese krabbelte. Am wenigstens interessierte seine Nacktheit ihn selbst. Im Gegenteil – er genoss sie in vollen Zügen.

Bei einem Besuch meiner Freundin, Mutter von drei Kindern, wurde das Thema Nacktheit ganz ungezwungen angegangen. Zumindest im eigenen, nicht einsehbaren Garten. Da sprangen die Kinder – wie auch schon in meiner Kindheit – nackt über die Wiese. „Ja, ich habe auch das Gefühl, es hat sich einiges seit unserer Kindheit geändert“, bestätigte sie mir.

Aber warum eigentlich? Warum dürfen Kinder nicht mehr nackt sein?

Gut. Sie dürfen es schon noch. Aber normal ist das längst nicht mehr. Vielleicht wird auch die ein oder andere Mutter mit einem leichten Kopfschütteln zu mir herüberblicken und mich in ihren Gedanken als Rabenmutter abstempeln. Das verunsichert mich natürlich auch.

Heute treibt die Sorge vor Nacktbildern auf den Smartphones wildfremder Menschen die Eltern dazu, die Kinder zu jeder Zeit zu bedecken. Heute vermuten wir Pädophilie an jeder Ecke und gehen dem eigenen komischen Gefühl vielleicht eher nach, als es früher der Fall war.

Und natürlich mache auch ich mir Sorgen um Pädophile, die in meinem Sohn viel mehr als nur ein fröhlich glucksendes Kind sehen könnten. Natürlich habe ich die Sorge, dass mein Kind – beabsichtigt oder nicht – mit nackigem Po im Internet landet.

Ich möchte trotzdem, dass mein Kind nackt sein darf

Und zwar ohne Scham. Denn unbeschwert und nackig über den Rasen zu rennen oder in einem aufblasbaren Pool zu planschen, das gehört zu meinen liebsten Kindheitserinnerungen. Ohne nassen Badeanzug, der unangenehm auf der Haut klebt.

Dafür habe ich meinen kleinen Mann – ob nackig oder nicht – immer im Blick. Eine reale Gefahr durch Kindesentführer existiert nicht.

Das „komische Gefühl“ ist dann letztendlich mein eigenes Problem. Ich alleine verspüre den Drang, meinen Kleinen zu bedecken – er nicht. Vor allem an heißen Sommertagen in der Nähe von Wasser sollte ein nacktes Kind meiner Meinung etwas ganz Normales bleiben. Zumindest in unserer Familie.

Aber natürlich werde ich auch Ausnahmen machen, wenn es die Situation erfordert. Wenn meine Intuition eine Gefahr erahnt, bin ich die Erste, die ihrem Sohn ein langes T-Shirt überstreift.