Erziehung: Wenn edle Vorsätze auf die harte Realität treffen

Vater und Tochter im Superhelden-Outfit
Jedes Elternteil wäre gerne stark wie ein Superheld - das klappt aber nicht immer
© Pexels / Kampus Production

Jeder will sein Kind richtig erziehen. Dabei immer geduldig und verständnisvoll zu bleiben, versteht sich von selbst. Aber was, wenn das manchmal nicht klappt? Eine Kolumne über gute Erziehungs-Vorsätze und ihr Scheitern im Alltag. Und über das schlechte Gewissen danach.

Erziehung? Ein Kinderspiel – dachte ich

Im Grunde ist das mit der Kindererziehung ja ziemlich einfach, nicht wahr? Erklären statt drohen. Konsequenzen aufzeigen, statt sinnlos bestrafen. Frühzeitig Grenzen setzen, statt später einen kleinen Tyrannen im Haus zu haben. Und natürlich: niemals schreien. Denn Schreien ist Schwäche.

Diese paar Regeln lernen wir jetzt auswendig und wenden sie im Alltag an – als Ergebnis haben wir dann niemals Probleme mit unseren Kindern.

Als ob es so einfach wäre.

Natürlich habe auch ich Erziehungs-Ratgeber gelesen. Alles darin klang für mich logisch und leicht umsetzbar. Vor der Geburt meines ersten Kindes war ich sowieso felsenfest davon überzeugt, dass Erziehung – im wahrsten Sinne des Wortes – ein Kinderspiel sei. Ich bin ja grundsätzlich ein entspannter, ausgeglichener Typ, dachte ich. Und wer sich, wie ich, mit seinen Kindern gut verstehen will, der schafft das auch, ohne laut zu werden oder auszuflippen.

Theorie und Praxis sind zwei völlig verschiedene Dinge

Soweit die Theorie. Die Wahrheit ist, dass es immer wieder Situationen gibt, in denen ich diesen Grundsätzen untreu werde.

Habe ich meine Kinder schon mal angeschrien? Ja.

Bin ich stolz darauf? Natürlich nicht.

Habe ich schonmal fatale Drohungen ausgesprochen? Ja, habe ich. „Wenn du nicht jetzt sofort dein Zimmer aufräumst, dann geht es ohne Gutenachtgeschichte ins Bett!“ Dass das lächerlich ist, weiß ich selber. Hinterher.

Auch wenn niemand gerne darüber spricht: Vielen Eltern geht es gewiss genau wie mir. Gute Vorsätze sind das eine, ihre Umsetzung steht auf einem ganz anderen Blatt. Was im Ratgeber-Buch sehr einleuchtend klingt, scheitert in der Realität an einem bockigen und schlecht gelaunten Kind, das auch nach der sechsten Aufforderung keinerlei Anstalten macht, sein Zimmer aufzuräumen. Oder das seinen kompletten Wortschatz außer „Nein“ vergessen zu haben scheint. Dann platzt einem die Hutschnur. Irgendwie menschlich, aber: auf das schlechte Gewissen hinterher würden wir alle gerne verzichten.

Man entdeckt unbekannte Züge an sich

Klar handelt es sich in meinem Fall nur um einzelne Augenblicke. Mindestens 95 Prozent der Zeit, die ich mit meinen Kindern verbringe, sind von Freude, Spaß und gegenseitiger Zuneigung geprägt.

Mögliche Konflikte regele ich dann so souverän wie ein Fluglotse den Verkehr auf der Startbahn. Entspannt scherze ich mit den Kindern herum, bis sich jeder Ärger in Luft aufgelöst hat. Und das Zimmer wie von Zauberhand aufgeräumt ist. Es wird gekuschelt, gespielt und gelacht und niemand würde im Traum ans Schimpfen oder Drohen denken.

Trotzdem beschäftigen mich die übrigen 5 Prozent immer wieder. Nicht nur die Frage, warum ich manchmal die Nerven verliere. Sondern auch die Tatsache, dass ich mir selbst gar nicht zugetraut hätte, so laut zu werden. Freunde, Familie, Bekannte: bevor ich Kinder hatte, hätten mich alle als jemanden beschrieben, der nicht zu großen Gefühlsausbrüchen neigt und eher rational agiert. Geschrien habe ich in meinem Erwachsenenleben höchstens mal „Zugabe“ beim Konzert. Und jetzt das. Auf diese Art der Selbstfindung hätte ich verzichten können.

Jeder hat seine Schwächen – aber auch Stärken

Aber ich weiß auch: Wir sind alle keine Maschinen. Ich nicht, meine Kinder nicht (was übrigens manchmal schade ist, denn dann gäbe es den berühmten „Aus“-Knopf). Nein, wir sind alle Menschen mit ganz eigenen Stärken und auch Schwächen.

Wenn es nun offenbar zu meinen Schwächen zählt, dass ich nicht immer die allergrößte Engelsgeduld mit widerwilligen Kindern habe – dann weiß ich, dass ich dafür auch viele Stärken habe. Und dass die im Zweifelsfall mehr zählen.

Zum Beispiel kann niemand so gut meine Kinder im Kreis herumwirbeln wie ich. Oder sie aufspüren, wenn sie sich laut kichernd – und für jeden sichtbar – in einem leeren Pappkarton verstecken. Oder beim Vorlesen wirklich jeder Figur in der Geschichte eine eigene Stimme verpassen. Oder mit ihnen als Wolfsrudel auf allen Vieren durch die Wohnung krabbeln.

Abgesehen davon gibt es ja Strategien, um zu verhindern, dass mich meine kleinen Dickköpfe wieder zum Äußersten treiben. Der Ratschlag, einfach mal für ein paar Minuten das Zimmer zu verlassen, hat schon was für sich. Danach sieht die Welt meistens ganz anders aus. Das gilt übrigens für Papa genauso wie für bockige Kinder. Denn auch die sind irgendwann zur Selbstreflektion fähig.