Als ich mit unserem zweiten Sohn schwanger war, waren Sohn 1 und ich beim Kinderarzt. Dort spielten zwei kleine Schwestern miteinander. Die jüngere Schwester konnte sich gerade hochziehen und himmelte ihre große Schwester an. Die große Schwester schnappte sich blitzschnell eine Puppe und haute sie der Kleinen ordentlich auf den Kopf. Die Mutter nahm peinlich berührt die kleine Schwester auf den Arm. Zu der Großen sagte sie: „Das darfst du nicht machen. Dann hat sie Aua am Kopf.“ Die ältere Schwester musterte ihre Schwester und sagte: „Und dann ist sie kaputt und dann schmeißen wir sie auf den Müll.“ Für die Mutter wurde die Wartezeit nicht kürzer und ich dachte bei mir: „Nein, so wird das bei unseren Kindern nicht.“
Freundliches Desinteresse bis Genervt-Sein
Als unser zweiter Sohn auf der Welt war, wurde es auch nicht so. Es wurde anders. Sohn 1 war an seinem Bruder kaum interessiert. Andere Babys fand er großartig, aber seinen eigenen Bruder würdigte er keines Blickes. Der Frust über die Veränderung landete bei mir. Schließlich hatte ich uns diesen Schlamassel eingebrockt und das Baby mitgebracht. Ich durfte in dieser Zeit nichts mehr bei Sohn 1 machen und wurde sogar von den Picknicks mit seinem imaginären Sohn Jutta hinter unserem Kamin ausgeladen. Als Sohn 2 mit neun Monaten das Laufen entdeckte, war er schon interessanter für den Bruder.
„Du bist die Schönste und Klügste“
Als unsere erste Tochter dazu kam, machte ich mir Sorgen. Würden mich die beiden Jungen jetzt ablehnen? Wären sie beide eifersüchtig? Sohn 1 war bereits entrüstet, dass das Baby ein Mädchen sein sollte. „Noch eine Frau im Haus – da ziehe ich aus.“, war sein klarer Standpunkt zu dieser Frage. Aber als die kleine Schwester da war, gewann sie gerade den großen Bruder im Sturm für sich. Jeden Morgen kam er zu ihr, gab ihr einen Kuss und sagte: „Du bist die Schönste und die Klügste und die Wunderbarste.“ Tja, mit weniger wird sie sich wohl für den Rest ihres Lebens nicht zufriedengeben. Für die bis dahin Jüngste im Bunde wurde gesungen, sie durfte mitten in den Bauwerken liegen wie ein dicker Käfer und bekam viele Küsschen. Ansonsten entdeckten die Jungen in dieser Zeit das gemeinsame Spielen immer mehr für sich und verschwanden in ihre eigene Welt.
„Die nervt die ganze Zeit.“
Als die kleine Schwester mobiler wurde, schlug die Begeisterung langsam um. Ja, Küsschen und alles schon noch, aber sie muss seitdem nicht mehr dabei sein. Das sieht die kleine Schwester aber anders. Mit der größten Selbstverständlichkeit werden die Brüder verfolgt. Hören sie ihr einmal nicht anständig zu, ertönt: „Jetzt sabbel nicht, ich rede mit dir.“ Beim alltäglichen Gutenachtsagen ist sie ähnlich renitent, wenn die Brüder ihr Spiel nicht schnell genug unterbrechen: „Verdammt noch mal Jungs, ich will euch gute Nacht sagen. Also nehmt mich in den Arm.“ Die Brüder sind ihr etwas hilflos ausgeliefert, weil Tochter 1 keinerlei Pardon kennt. Dass ich meine kleinen Raufbolde gegen ihre Schwester manches Mal verteidigen muss, überrascht mich dann doch.
Hauen und Kneifen
Als Tochter 2 sich auf den Weg machte, hatte ich keinerlei Sorgen. Aber Tochter 1 fand die Ankunft von Tochter 2 überhaupt nicht gut. Da die Jungs ständig in ihre Zimmer verschwanden, war sie mit mir und dem Baby alleine. Und das Baby war dauernd auf Mamas Arm. Tochter 2 himmelte all ihre großen Geschwister mit ehrlicher Bewunderung an. Aber Tochter 1 haute und kniff sie bei jeder Gelegenheit. Beim vierten Kind ist man zwar ruhiger, weil man weiß, dass diese zarten Geschöpfe robust sind. Trotzdem sind diese Situationen nicht schön. Nach fast zwei Jahren entspannt es sich etwas. Die Schwestern beginnen miteinander zu spielen. Dass Tochter 2 ihre größere Schwester nach wie vor anhimmelt und viele Befehle befolgt, hilft der großen Schwester mit Sicherheit bei der eigenen Begeisterung für das gemeinsame Spielen. Außerdem kneift Tochter 2 mittlerweile zurück und kreischt ziemlich schrill. Das beeindruckt die ältere Schwester durchaus.
„Und dann hat er mir ins Gesicht gepupst“
Eine Zeitlang gab es zwischen den Jungen jeden Tag eine endlose Reihe an Streitigkeiten. Wir nannten sie irgendwann nur noch die „Er hat mir ins Gesicht gepupst“-Streitigkeiten, weil es nie wirklich um etwas ging. Unter den Konflikten suchte jeder seinen Platz und probierte sich eben am Bruder als Sparring-Partner aus. Die Streitigkeiten bei den Jungs nehmen mittlerweile ab und sie klären sie zunehmend friedlich. Das gibt mir für den Familienfrieden etwas Hoffnung. Dabei hat es tatsächlich geholfen, dass ich mich rausziehe. Ich werbe nur noch für den Frieden und versuche beide Seiten wertfrei stehenzulassen. Das gilt nicht nur für ihren Streit. Es gilt auch für ihre Begabungen und ihre Schwächen. Jeder von ihnen ist für mich besonders und sie stehen in meiner Zuneigung in keiner Konkurrenz. Das versuche ich ihnen bei allen Unterschieden und kleinen und großen Hürden jeden Tag zu vermitteln. Manchmal erfolgreicher, manchmal weniger erfolgreich.
Ein besonderes Verhältnis
Auch wenn ich mich an die Streitereien mit meinen Schwestern erinnere, bleiben sie am Ende doch die Menschen, die mich am längsten kennen. Ich fühle mich ihnen anders verbunden als meinen langjährigen Freundinnen. Auch wenn das Verhältnis nicht immer von Nähe geprägt ist, ist eine Verständigung ohne Worte möglich. Das wünsche ich mir für meine Kinder miteinander ebenso. Sie müssen sich nicht immer unkompliziert nahestehen. Manches Mal nerven erwachsene Geschwister tierisch. Aber sie begleiten uns länger als unsere Eltern. Sie können uns ein Sicherheitsnetz und ein Spiegel sein. Und mit ihnen kann man auch Jahrzehnte später noch über die alten Geschichten lachen.