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Darf mein Kind kein Junge mehr sein?! Was geschlechtsneutrale Erziehung wirklich bedeutet

Kind mit blauem T-Shirt und pinkem Hut
Geschlechtsneutrale Erziehung kann ganz unterschiedlich funktionieren
© Unsplash/ Jelleke Vanooteghem

Geschlechtsneutrale Erziehung hat das Ziel, dass Kinder jenseits von Geschlechtsstereotypen aufwachsen. Es ist also okay, wenn ein Junge gerne mit Lastwagen spielt und am liebsten blau trägt – aber es ist auch total okay, wenn er mit Puppen spielen will!

Wie funktioniert geschlechterneutrale Erziehung?

Bei der geschlechterneutralen Erziehung ist es für die Eltern sehr wichtig, ihren Kindern klarzumachen, dass sie sich frei ausleben und ihre eigenen Entscheidungen treffen dürfen. Es geht dabei also absolut nicht darum, eine perfekte Mitte zwischen „maskulin“ und „feminin“ zu finden. Eltern sollten deshalb auch nicht versuchen, bestimmte Verhaltensweisen geschlechterneutral umzuformen. Sie sollten ihrem Kind klarmachen, dass sein Rollenverhalten okay ist – aber auch kein Zwang. Das bedeutet konkret, dass Mädchen, die gerne Prinzessin spielen, nicht davon abgehalten werden sollen. Ihnen soll aber auch die Option auf das Spielen mit Rennautos gegeben werden.

Eltern müssen ein Vorbild sein

Kinder orientieren sich in ihrem Verhalten an dem der eigenen Eltern. Damit Kinder sich unabhängig von Rollenbildern und Stereotypen entwickeln können, sollten Eltern also selbst auch ein gutes Vorbild sein. Es ist quasi unmöglich, sämtliche äußerliche Einflüsse von Kindern fernzuhalten. Aber das sollte auch gar nicht das Ziel sein.

Fakt ist: Kinder werden früher oder später in Berührung mit geschlechtsspezifischen Stereotypen kommen. Eltern haben dann die Aufgabe, ihren Kindern klar zu machen, dass ein bestimmtes Verhalten nichts mit dem Geschlecht zu tun hat. Einem Jungen kann beispielsweise erklärt werden, dass Ballett keine reine „Mädchensache“ ist. Weiter verstärkt wird dieses Denken durch positive Vorbilder: zum Beispiel der Besuch einer Show mit männlichen Balletttänzern.

Es gibt auch Gegenstimmen

Es gibt aber auch einige Kritiker, die sich gegen das Konzept der geschlechterneutralen Erziehung aussprechen. Manche befürchten zum Beispiel, dass dadurch Mädchen zu Jungs, und Jungs zu Mädchen gemacht werden. Aber bei der geschlechterneutralen Erziehung geht es einfach nur darum, dass Kinder sich nicht von den Erwartungen der Gesellschaft in eine bestimmte Rolle gedrängt fühlen.

Ein anderer Kritikpunkt, der oft genannt wird, ist, dass Kinder, die in einem geschlechtsneutralen Umfeld aufwachsen, nie ein richtiges Identitätsgefühl entwickeln werden. Es wird also angenommen, dass Kinder sich mit keinem Geschlecht richtig identifizieren und sich deswegen immer „Anders“ fühlen. Genau darin sehen Kritiker das Problem: Das Gefühl des „Anders“-seins könnte dann zu Problemen in der Persönlichkeitsentwicklung und zu späteren Identitätskrisen führen.

Aber Studien belegen die positiven Effekte

Mittlerweile sind die Unterschiede zwischen geschlechtsspezifischer und geschlechtsneutraler Erziehung auch wissenschaftlich untersucht. Aus den Studien geht hervor, dass eine geschlechtsspezifische Erziehung auch negative Auswirkungen auf das Kind haben kann. Eine Studie im Journal of Adolescent Heath kam nämlich zu dem Ergebnis, dass Kinder, die mit sehr strikten Geschlechtsvorstellungen erzogen werden, während und nach ihrer Jugend ein erhöhtes Risiko für körperliche und mentale Gesundheitsprobleme haben.

Im Unterschied dazu hat eine weitere Studie Kinder in einer geschlechtsneutralen Vorschule in Schweden untersucht. Das Ergebnis: Die Kinder können zwar korrekt das Geschlecht eines unbekannten Kindes bestimmen, aber sie greifen dabei weniger auf Stereotype zurück, um die Person einzuschätzen. Außerdem zeigt die Studie, dass die Vorschüler größeres Interesse haben, mit Kindern des anderen Geschlechts zu spielen.

Geschlechtskreative Erziehung – ein Schritt weiter

Wie weit Eltern in der geschlechtsneutralen Erziehung gehen, ist unterschiedlich und natürlich letztendlich die Entscheidung der Eltern. Manche versuchen einfach, ihre Kinder frei von Geschlechterrollen zu erziehen. Andere gehen einen Schritt weiter und lassen ihr Kind erst einmal ganz ohne Geschlecht aufwachsen. Diese Form der geschlechterneutralen Erziehung nennt sich „Gender Creative Parenting“. Dabei wird das biologische Geschlecht des Kindes in den ersten Jahren geheim gehalten – es bekommt dann meist auch einen geschlechtsneutralen Vornamen. Damit wollen Eltern gesellschaftliche Erwartungen und zum Beispiel geschlechterspezifische Geburtsgeschenke vermeiden. Die geschlechterkreative Erziehung ist noch relativ neu, gewinnt aber vor allem in Amerika langsam an Beliebtheit.

Zoomer – ein Baby ohne Geschlecht

Ein Beispiel für geschlechterkreative Erziehung ist Zoomer, ein Kind, das weder weiblich noch männlich ist. Kyl und Brent Meyer halten das Geschlecht von Zoomer seit seiner Geburt geheim. „Zoomer wird wahrscheinlich im Alter von drei oder vier Jahren ein Geschlecht wählen“, schreibt Kyl auf ihrem Blog „Raisingzoomer“, wo sie über geschlechtsneutrale und geschlechtskreative Erziehung informiert.

Eltern, die sich für eine geschlechtsneutrale oder geschlechtskreative Erziehung entscheiden, wissen durchaus, dass es einige Kritiker gibt und der Erziehungsstil nicht für alle Eltern etwas ist. Trotzdem sind sie selbst von dem Konzept überzeugt und am Ende des Tages ist der Erziehungsstil immer noch eine persönliche Entscheidung.

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