Bei uns wird genau geschaut. Wer hat eine Scheibe Wurst ohne Brot bekommen? Wer saß beim Vorlesen auf dem Schoß? Wer hat das Buch ausgesucht? Wer durfte die Tür öffnen und wer hat als erster Oma begrüßt? Von diesen Fragen gibt es bei uns im Haus viele und sie sind für unsere Kinder phasenweise mehr als launenbestimmend.
Das alles begann für mich vor fünf Jahren mit der Wohnungstür. Die wurde Teil der frühen Morgendiplomatie, bei der es stets darum ging, wer sie am Vortag öffnen durfte. Denn sobald das zweite Kind auch „lleine“ Sachen machen möchte, geht es los. Schließlich werden die „Privilegien“ – ebenso wie das Spielzeug – nicht freiwillig oder immer geteilt. Kneifen, schubsen oder die Treppe herunterjagen – all das gehört zu unserem Alltag.
Tragen „meine“ Schwächen dazu bei?
Ein bisschen kann ich das Problem mit dem Abgeben verstehen. Auch wenn ich mich dafür schäme, aber ich habe „meinen“ Löffel (auf dem steht mein Name und er ist aus meinem Kinderbesteck). Ich kann schon ein bisschen schlechte Laune bekommen, wenn unser ältester Sohn ihn für sein Müsli benutzt (oder mein Mann ihn für die Dosierung des Katzenfutters verwendet). Ebenso habe ich eine Lieblingstasse und eine Lieblingsschale …
Ja, ich weiß kindisch und ein bisschen kleinlich, aber man sucht sich auch den eigenen Charakter nicht aus. Von daher frage ich mich durchaus, ob ich meinen Kindern ein „schlechtes“ Vorbild bin. Allerdings höre ich ähnliche Diskussionen um die Reihenfolge beim Öffnen von Türen, Buchaussuchen, Laufen, auf den Arm kommen, abholen, kuscheln, Essen hinstellen oder Spielen aus so vielen Familien, dass es vielleicht einfach dazugehört. Vielleicht sind wir Menschen an sich ein bisschen kleinlich und besitzergreifend?
Sachliche Grundlage für Entscheidungen
Da unsere Kinder nah beieinander sind, finde ich das Thema Taschengeld schwierig. Zur Einführung haben unsere Söhne den gleichen Betrag bekommen. Mittlerweile sind es unterschiedliche Beträge und es ist in Ordnung. Allerdings musste es lange erklärt werden. Wir orientieren uns an der offiziellen Taschengeldtabelle. Das gibt jeder Diskussion eine sichere Grundlage und führt weg vom Thema: „Vielleicht habt ihr den anderen schlicht lieber als mich.“
Emotionale Verknüpfungen erschweren es den Kindern ebenso wie Vergleiche. So wenig wir Eltern es wollen, leugnen lässt sich Konkurrenz unter Geschwistern nicht. Zusätzliches Füttern möchte ich jedoch vermeiden. Ich glaube, dass Teilen und Gönnen sehr komplex sind. Oft fühlen sich Kinder ungesehen. Ihr Alltag wird viel von anderen bestimmt. Die eigenen Bedürfnisse zu entdecken und zu verteidigen, ist eine große Aufgabe.
Auf die Langzeitwirkung setzen
Wenn mich kinderlose Menschen fragen, wie das Leben mit Kindern ist, sage ich: „Es ist wie ich mir klischeehaft das Leben in einer Alt-68-er-WG vorstelle: Man diskutiert immer wieder über dieselben Dinge, ohne dass man sich sichtbar einer Lösung nähern würde.“
Es braucht viel Vertrauen, dass all das Sprechen fruchtet. Dass die eigenen Kinder durch viele Erfahrungen für sich erkennen, wie schön Teilen ist. Dass einem wirklich nichts fehlt, wenn man abgibt oder etwas ganz verschenkt. Die Schönheit, die in diesen Gesten liegt, lässt sich nicht erklären.
Und vorschreiben auch nicht. Ich kann meinen Kindern keine Großzügigkeit verordnen. Sie müssen sich aktiv dagegen oder dafür entscheiden. Und sie dürfen für sich entscheiden, in welchen Bereichen sie vielleicht nicht großzügig sein möchten. Abgrenzen und Raum für sich beanspruchen können, ermöglicht ehrliche Großzügigkeit vielleicht erst.
Lichtblicke
Ich zweifle viel, ob es reicht. Ob ich nicht doch strenger sein müsste. Ob ich genug hinschaue und jedes meiner Kinder genug im Blick habe. Ob ich als Vorbild tauge oder oft genug auf das abschreckende Vorbild setzen muss. Dann gibt es plötzlich Momente, in denen ich voller Glück bin. Unser ältester Sohn ist 9 Jahre alt und stand im Spielzeuggeschäft neulich plötzlich mit einem Paw Patrol-Auto neben mir. Ob wir das für seine Schwester mitnehmen könnten. Ich habe den Kopf geschüttelt und erklärt, dass ich jetzt eigentlich für niemanden etwas kaufen wollte.
„Aber ich bezahle das von meinem Taschengeld. Sie bekommt ja noch keins und sie wünscht sich so sehr etwas von Paw Patrol. Ich brauche mein Taschengeld gerade gar nicht.“ Wenn man selber vier Euro Taschengeld in der Woche bekommt, ist ein Auto für acht Euro für die Schwester schon sehr großzügig. Am meisten hat mich daran aber die Großzügigkeit unseres Sohnes gefreut, der oft genug das Gefühl hat, nicht genug zu haben.
Hoffnung behalten
Zuhause angekommen, freute sich die Schwester unendlich und umarmte den großen Bruder mit einer seltenen Innigkeit. Die er – noch größerer Seltenheitsgrad – erwidert hat. Als die ganz Kleine dann etwas traurig war, dass sie kein Auto hatte, fragte er mich, ob er noch einmal losdürfte. Er würde mit seinem letzten Geld auch für sie noch ein Auto kaufen. Wir haben den Betrag zwischen uns geteilt und er hat auch die andere Schwester überglücklich gemacht.
Nein, die Harmonie hat nicht ewig angehalten. In einem Streit musste von mir geklärt werden, dass Geschenke nicht zurückgenommen werden und auch nicht ewige Dankbarkeit erwartet werden kann. Dass man sich im Moment des Schenkens über die gegenseitige Freude freut, aber keine darüberhinausgehenden Erwartungen daran knüpft.
Aber dieser große Grundstein freut mich und versichert mir, dass ich nicht vollständig auf dem Holzweg bin. Also rede ich weiter und bewahre die Ruhe, wenn es mal gar nicht klappt mit dem großherzigen Teilen.