Wahrnehmungsstörung – Symptome, Diagnose und Tipps für Eltern

Wahrnehmungsstörung: Kind hält sich die Ohren zu und schreit
Wahrnehmungsstörungen bei Kindern können sich sehr unterschiedlich bemerkbar machen.
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Was, wenn man nicht so riecht, hört, sieht oder motorisch agiert wie die anderen? Eine Wahrnehmungsstörung kann jeden unserer Sinne betreffen und zu größeren Beeinträchtigungen führen. Bei Kindern können ernste Entwicklungsstörungen die Folge sein. Lies hier, welche Wahrnehmungsstörungen bei Kindern es gibt, wie die Diagnose gestellt wird und wie man eine gestörte Wahrnehmung therapieren kann.

Was ist eine Wahrnehmungsstörung?

Betroffene haben grundsätzlich Probleme, äußere Reize, die sie über ihre Sinnesorgane aufnehmen, richtig zu verarbeiten. Das Gehirn ordnet sie falsch zu oder kann ihnen gar keine Bedeutung zuordnen. Bei einer Wahrnehmungsstörung sind also die Sinneswahrnehmungen wie Hören, Sehen, Fühlen, Riechen beeinträchtigt.

Da alle Sinneswahrnehmungen auch von bewertenden Gefühlen begleitet werden, ergibt sich aus der gestörten Wahrnehmung oft auch ein verändertes Verhalten. Das kann bedingt sein durch eine Entwicklungsstörung in der Kindheit. Symptome können aber auch erst nach einer Verletzung des Gehirns, zum Beispiel als Folge eines Unfalls, auftreten.

Wichtig ist: Es handelt sich hierbei nicht um eine Krankheit.

Darum solltest du die Entwicklung deines Kinds beobachten

Regelmäßige Voruntersuchungen beim Kinderarzt kennt jeder. Doch damit dort Auffälligkeiten entdeckt werden, braucht es oft mehr als Maßband, Orthoskop und Spatel. Und auch über die gesundheitliche Entwicklung hinaus sollten sich Eltern aus gutem Grund immer wieder die Frage stellen, wie weit sich ihr Kind bereits entwickelt hat.

Unsere Wahrnehmung beruht zu einem großen Teil auf Erfahrungen. Das bedeutet, wie wir Reize wahrnehmen, ist auch erlernt. Leiden Kinder seit der Geburt unter einer Wahrnehmungsstörung, führt das meist zu einem Unverständnis zwischen dem Kind und seinem Umfeld. Das Kind kann dann den Erwartungen und Anforderungen seiner Umwelt nicht gerecht werden.

>> Wie kann man eine Wahrnehmungsstörung behandeln? Hier einige Ansätze <<

Die Ursachen einer Wahrnehmungsstörung

Viele Eltern stellen sich die Frage: „Warum hat mein Kind Wahrnehmungsstörungen?“ Eine einfache Antwort gibt es darauf leider nicht. Die genaue Ursache für eine Wahrnehmungsstörung bei Kindern ist meist nicht klar zu benennen.

Um die Ursache von Wahrnehmungsstörungen bei Kindern genauer einzugrenzen, sollten die Störungen im Ganzen betrachtet werden. Psychologen der Gemeinschaftspraxis für klinisch-psychologische Diagnostik und Behandlung für Kinder, Jugendliche, Erwachsene weisen darauf hin:

“Wahrnehmungsverarbeitungsstörungen können für sich allein bestehen, aber auch Teilsymptomatik eines anderen Störungsbildes (z.B. Autismus-Spektrum-Störung, ADS, ADHS, Zerebralparesen, Folge einer Hirnhautentzündung usw.) sein.”

Sonstige mögliche Ursachen können sein:

#1 Vererbung
Häufig gibt es eine familiäre Veranlagung. Das heißt, ein Elternteil oder beide haben ebenfalls eine (meist unerkannte) gestörte Wahrnehmung, die an das Kind vererbt wurde.

#2 Frühgeburt
Eine weitere Ursache ist eine Frühgeburt. Bei Frühchen kann in der weiteren Entwicklung eine Wahrnehmungsstörung auftreten. Ein Risiko besteht ebenfalls bei Kindern mit einer Chromosomenstörung, zum Beispiel mit Trisomie 21 oder dem Turner-Syndrom.

#3 Drogen in der Schwangerschaft
Auch Drogen-, Alkohol– und Medikamentenmissbrauch in der Schwangerschaft wird mit Wahrnehmungsstörungen bei Kindern in Zusammenhang gebracht. Umfassende Untersuchungen dazu gibt es allerdings noch nicht.

Eine wirklich verlässliche Antwort auf die Frage: “Warum hat mein Kind Wahrnehmungsstörungen?” kann nur ein medizinisches und psychologisch geschultes Team geben.

Diagnose: Woher weiß ich, dass mein Kind an einer Wahrnehmungsstörung leidet?

Wenn du bemerkst, dass dein Kind Probleme in einem oder mehreren Bereichen der Wahrnehmung hat, solltest du zuerst mit deinem Kinderarzt darüber sprechen. Er kann dir gut ausgebildete Ärzte, Psychologen und Psychotherapeuten empfehlen.

Zuerst muss dann getestet werden, ob es sich um eine Wahrnehmungsstörung oder nur eine kurzzeitige Wahrnehmungsschwäche handelt. Außerdem untersuchen die Ärzte, welche Art der Störung vorliegt.

Der Unterschied zu ADS/ ADHS und anderen Erkrankungen

Es gibt zahlreiche Erkrankungen, deren Begleitsymptome Wahrnehmungsstörungen sein können. Um eine Wahrnehmungsverarbeitungsstörung von anderen Krankheiten, etwa ADS (Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom), ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung) oder Autismus unterscheiden zu können, müssen verschiedene Faktoren der jeweiligen Erkrankungen untersucht werden. Das kann nur durch geschultes medizinisches und psychologisches Personal geschehen.

: Gut zu wissen
Symptom aber nicht Ursache

Wahrnehmungsstörungen können ein Teil des ADS/ ADHS-Krankheitsbildes sein, sind aber meistens nicht der Auslöser. Im Rahmen einer ADS/ ADHS-Therapie werden diese Unterteile der Krankheit individuell behandelt.

Die fünf Ausprägungen einer Wahrnehmungsstörung beim Kind

Es gibt viele verschiedene Arten einer gestörten Wahrnehmung, die oft in unzähligen Kombinationsmöglichkeiten zusammenspielen. Hier stellen wir dir die fünf häufigsten vor, die sich auf den aktuellen Forschungsstand und allgemeinen ärztlichen Leitlinien beziehen.

#1 Auditive Wahrnehmungsstörung: Hören

: Wie lernen Kinder sprechen?

#2 Visuelle Wahrnehmungsstörung: Sehen

#3 Visuell-konstruktive Wahrnehmungsstörung: Räumliche Wahrnehmung

Beispiele für eine visuelle Wahrnehmungsstörung bei Kindern

#4 Körperliche/ taktile Wahrnehmungsstörung: Berührungen

Beispiele für eine taktile Wahrnehmungsstörung bei Kindern

#5 Kinästhetische/ propriozeptive Wahrnehmungsstörung: Kraft-, Bewegungs- und Stellungssinn

Wie kann man eine Wahrnehmungsstörung behandeln?

Wahrnehmungsstörungen können therapiert werden, aber eben nicht geheilt. Grundsätzlich zielt die Therapie darauf ab, die Defizite durch bewusstes Training auszugleichen. Kinder mit einer gestörten Wahrnehmung können zum Beispiel durch Logopädie, Krankengymnastik oder Ergotherapie behandelt werden – je nachdem, welche Sinneswahrnehmung beeinträchtigt ist.

Wichtig ist hier: Je früher die Behandlung beginnt, desto erfolgreicher ist sie. Die Behandlung beim Therapeuten ist viel effektiver, wenn das Kind auch zu Hause viel übt. Mache mit deinem Kind also die Übungen, die der Logopäde oder Ergotherapeut euch zeigt.

Waldemar von Suchodoletz rät bei einer auditiven Wahrnehmungsstörung, das Kind vor „komplexere auditive Anforderungen [zu] stellen“. Damit ist gemeint, das Hören als Übung bewusst zu erschweren. Du kannst zum Beispiel deine Stimme verändern oder dein Kind muss in einer lauten Umgebung ein bestimmtes Geräusch heraushören.

Damit das Üben für dein Kind nicht zu anstrengend wird, kannst du euren Therapeuten auch nach Spielen fragen, bei denen das Kind üben kann und trotzdem Spaß hat. Hier findest du zum Beispiel neun Spiele zur Förderung der Sprachentwicklung.

Wichtig ist außerdem: viel Bewegung – zum Beispiel Spaziergänge auf unebenem Gelände (Wald). Bewegungsspiele, Konzentrationsübungen und Koordinationsübungen sollten spielerisch in den Alltag integriert werden.

Weitere Möglichkeiten, wie du dein Kind unterstützen kannst

Es gibt verschiedene Ausprägungen und Arten von Wahrnehmungsstörungen. So muss zunächst unterschieden werden, ob das betroffene Kind im Sehen, Hören, Riechen oder Fühlen beeinträchtigt ist. Vielleicht liegen auch mehrere Störungen gleichzeitig vor.

Eine weitere wichtige Unterscheidung bei der Wahrnehmungsstörung bei Kindern: Nimmt es zu viele oder zu wenig Reize aus seiner Umwelt auf?

  • Ein Übermaß an Reizen führt zu einer Überforderung des Kindes, welches dann dazu neigt, ängstlich und blockiert zu reagieren und vielleicht ein starkes Bindungsbedürfnis zu den Eltern aufweist.
  • Eine verringerte Wahrnehmung von Reizen lässt Kinder unruhig oder aggressiv werden. Sie suchen ständig nach sehr starken Eindrücken, damit sie vom Kind wahrgenommen werden können. Diese Kinder machen eher einen überaktiven Eindruck und begeben sich häufig in riskante Situationen.

Wie funktioniert Wahrnehmung? Vom Reiz zur Sinnesverarbeitung

Das Gehirn wird jede Sekunde mit einer Vielzahl an Sinneseindrücken konfrontiert. Da es nicht alle Eindrücke auf einmal verarbeiten kann, wählt es nur die Reize aus, die ihm in diesem Moment wichtig und sinnvoll erscheinen. Diese Vermeidung einer Reizüberflutung wird „sensorische Integration“ genannt.

Etwas „wahrzunehmen“ heißt also, dass dein Gehirn einem bestimmten Reiz (akustisch, optisch, etc.) einen Sinn gibt und ihn dich wahrnehmen lässt.

Dabei sind drei Punkte besonders wichtig:

  1. Wahrnehmung ist subjektiv
    Jeder nimmt Reize anders wahr.
  2. Wahrnehmung ist selektiv
    Einige Reize werden als stärker, andere als schwächer empfunden oder gar nicht wahrgenommen.
  3. Wahrnehmung erfolgt bewusst, aber auch unbewusst
    Eigentlich nehmen wir also mehr Reize wahr, als wir bewusst abspeichern. Diese Auswahl verhindert eine Reizüberflutung.

Ist dieser „Filter-Mechanismus“ gestört, kann es zu Wahrnehmungsstörungen kommen.

Wahrnehmungsstörungen bei Erwachsenen

Die Ursache von einer gestörten Wahrnehmung liegt meist in der Kindheit. Wird die jeweilige Störung nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, kann sie sich bis ins Erwachsenenalter hinziehen. In manchen Fällen kann aber auch im Erwachsenenalter Drogenmissbrauch oder eine psychische Erkrankung Wahrnehmungsstörungen auslösen.

Ab wann Betroffene Hilfe suchen sollten, ist laut der Sonderpädagogin Brigitte Pastewka sehr individuell:

“Therapiebedürftig wird jemand, wenn er daran leidet. Oder wenn sein Verhalten gefährlich für seine gesellschaftliche Stellung in Familie und Beruf ist.”

Der erste Ansprechpartner in diesen Fällen sollte der eigene Hausarzt sein, mit dem man die Symptome bespricht und der Betroffene an entsprechende Fachärzte weiterleiten kann.

Quellen