Kinder werden immer dicker
Man kann es nicht bestreiten: In vielen Ländern – besonders in den USA – lernen bereits Kinder und Jugendliche falsches Essverhalten und sind folglich zu dick. Aber auch hierzulande ist Übergewicht bei Kindern ein immer größer werdendes Problem. Laut dem Robert Koch-Institut sind in Deutschland mittlerweile 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen drei und 17 Jahren zu dick. Ungefähr sechs Prozent der Kinder leiden sogar an einer krankhaften Fettleibigkeit.
Das Diät-Unternehmen Weight Watchers, das mittlerweile nur noch „WW“ heißt, hat nun die Abnehm-App Kurbo gelauncht. Sie soll Kindern zwischen acht und 17 Jahren helfen, „ein gesünderes Gewicht“ und „gesunde Gewohnheiten für das Leben“ zu lernen – doch die App stößt bei Eltern und Experten auf massiven Gegenwind.
Ernährung nach dem Ampel-Prinzip
Kurbo funktioniert nach dem klassischen Weight-Watchers-Prinzip. Einziger Unterschied: Anstatt das Essen mit Punkten zu bewerten, zeigt eine Lebensmittel-Ampel, welche Nahrungsmittel gut oder schlecht sind. Mit Grün werden beispielsweise Gemüse und Früchte bewertet. Fast Food, Softdrinks und Süßigkeiten sind dagegen rot markiert.
Um die App benutzen zu können, müssen die Kinder zuerst Alter, Gewicht und Größe angeben, sowie ihre Abnehm-Ziele. Danach wird ihnen ein Coach zugeteilt, der sie per Videochat berät und motiviert. Abnehmerfolge werden in der App getrackt und Kinder erhalten Punkte, wenn sie ihre Ziele erreichen. Die App ruft die Kinder außerdem dazu auf, körperliche Aktivität zu protokollieren – „spielerisch“, wie man betont.
Kurbo ist seit dem 13. August 2019 online – allerdings bisher nur in den USA. Dort können die Jugendlichen die App zwar grundsätzlich kostenlos nutzen, wer aber uneingeschränkten Zugriff auf alle Funktionen haben will, muss 190 Dollar (umgerechnet 172 Euro) für ein Drei-Monats-Paket zahlen.
Schon im Kindesalter liegt der Fokus auf Essen
Gleich nach dem Launch entfachte sich online eine hitzige Debatte um die App. Kritiker werfen WW vor, mit dieser App schon im Kindesalter einen ungesunden Fokus auf das Essen zu legen – der perfekte Nährboden für spätere Essstörungen und folgend auch einen Mangel an Selbstwertgefühl. Vor allem das Video, mit dem die App vorgestellt wurde, erntet heftige Kritik:
We’re excited to introduce @KurboHealth, a science-backed tool uniquely designed for kids and teens who want to improve their eating habits and get more active. Find out more at https://t.co/1hvFKOWAGd! #WellnessThatWorks pic.twitter.com/a5SLVS5wtk
— WW (formerly Weight Watchers) (@ww_us) August 13, 2019
Denn darin ist ein 12-jähriges Mädchen zu sehen, dass das Diätprogramm inklusive Abnehm-Coach benutzt – ein schlankes, auf den ersten Blick gesundes 12-Jähriges Mädchen. Auch auf der Website werden neun weitere Kinder vorgestellt, die erzählen, wie viele Kilos sie bereits abgenommen haben – inklusive Vorher-Nachher-Bilder. Die Jüngsten unter ihnen sind acht Jahre alt.
Viel Kritik geht auch in Richtung der Schwarz-Weiß-Einteilung des Essens und der Tatsache, dass WW Kinder auf Diät setzt, ohne eine medizinische Qualifikation aufzuweisen. Denn viele der Ernährungs-Coaches, die jedem Kind an die Seite gestellt werden, haben keinen Background in der Ernährungswissenschaft, sondern kommen beispielsweise aus der Wirtschaft.
Business, economics, and tourism degrees do not qualify you to “coach” children into a restrictive diet culture #WakeUpWeightWatchers #kurbo pic.twitter.com/T6W7sbkRTl
— Dr. Nika Larian, PhD (@NutritiousNika) August 15, 2019
Twitter-Gewitter: In den sozialen Medien hagelt es Kritik
Fassungslosigkeit und entsetzte Kommentare: Wo man sich im Social-Media-Land auch umschaut, findet man negative Reaktionen auf die App. Twitter-Nutzerin und Psychotherapeutin Emmy Brunner schreibt zum Beispiel:
„Allein die Tatsache, dass ein Team von Menschen Zeit damit verbringt, eine App für 8-Jährige zu entwickeln, um Gewicht zu verlieren, ist schrecklich. Kinder brauchen keine Abnehm-Apps. Weight Watchers, das ist abscheulich.“
Thank you @_LauraHampson and @EveningStandard for including my thoughts on the @weightwatchers #kurbo app. It is reprehensible, dangerous and irresponsible to be producing an app like this for children. #dietculture #mentalhealth https://t.co/J6rMTtnq1l pic.twitter.com/niPL8kl7vL
— Emmy Brunner – Psychotherapist, Speaker, Survivor (@EmmyBrunner) August 15, 2019
Auch die britische Fernsehmoderatorin und Schauspielerin Jameela Jamil spricht sich öffentlich gegen die App aus:
„(…) Zwangsvorstellungen von Gewicht und Kalorien und Essen zu fördern mit… 8? Ich war 11 als meine Essstörung angefangen hat, weil ich auf Diät gesetzt wurde, da ich das schwerste Mädchen in meiner Klasse war. Ich bekam Angst vor dem Essen. Ich habe meine Jugend und meine Zwanziger ruiniert.“
Oh fuck no… are we kidding? Breeding obsession with weight and calories and food at the age of…8? I was 11 when my obsession started, due to being put on a diet for being the heaviest girl in the class. I became afraid of food. It ruined my teens and twenties. https://t.co/9FEfuRPAUl
— Jameela Jamil ? (@jameelajamil) August 14, 2019
Mittlerweile gibt es sogar eine Petition, die WW dazu auffordert, die App vom Markt zu nehmen – mit bisher knapp 82.000 Unterschriften (Stand: 20.08.2019).
Die Frage, die sich viele stellen: Geht das zu weit?
Mit diesem Launch hat man ohne Frage ein hochsensibles Thema eröffnet. Dass Kindern und Jugendlichen die Themen gesunde Ernährung und Sport nähergebracht werden sollten, steht außer Frage. In jungen Jahren wird das Fundament für das Verhalten im restlichen Leben gelegt – deswegen ist es absolut sinnvoll, schon Kinder an die Themen Gewicht und gesunde Ernährung heranzuführen.
Der dahinterstehende Gedanke, ist also gar nicht so verkehrt. Ob eine App mit Punkten für verlorene Kilos das richtige Werkzeug dafür ist, darüber lässt sich allerdings streiten. Bisher hat sich Weight Watchers noch nicht zu der Kritik geäußert.