Homeschooling ist ein wahrgewordener Albtraum!

Zwei Jungs sitzen am Tisch und machen Hausaufgaben.
Wenn die Schulen zu sind gibt es nur eine Möglichkeit: Homeschooling.
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Wie so viele Familien in Deutschland probieren wir uns aktuell im Homeschooling. An guten Tagen läuft es mittelprächtig und an schlechten Tagen möchte ich nur noch heulen.

Vor drei Monaten unterhielt ich mich mit einer kinderlosen Freundin über Homeschooling. Bei allem Frust mit dem Bildungssystem und Zweifeln am Ganztag war meine klare Antwort: „Das wäre mein persönlicher Alptraum.“ Nach acht Wochen kann ich sagen: Die Realität schlägt jede Vorstellungskraft. Die Ferien ließen sich noch organisieren, aber mit den Arbeitsplänen ist bei mir an Arbeit zu normalen Zeiten kaum zu denken. Sohn 1 ist in der dritten Klasse und arbeitet seine Arbeitsblätter so mittel motiviert, aber relativ selbstständig ab. Mit Freude lernt er tatsächlich in einer App. Sohn 2 ist gerade in der 1. Klasse und kommt am Esstisch zu Hause nur schwer in Arbeitslaune. Etwas Erleichterung hatte ich mir von der Notbetreuung für Tochter 1 und 2 erhofft, denn mit ihnen zu Hause war an Arbeit weder bei den Jungen noch bei mir zu denken.

Müde, Pippi, kalt

Wenn wir alle am Tisch sitzen, Frühstück intus, Getränk auf dem Tisch und Unterlagen bereit, dachte ich, ich könne einen kurzen Moment arbeiten. Tatsächlich erkläre ich erst Sohn 1 seine Aufgaben und gehe danach zu Sohn 2. Dieser fragt: „Warum muss ich arbeiten?“ „Weil keine Ferien mehr sind und Schule wichtig ist.“ Sohn 2 verdreht die Augen. „Aber ich habe Durst.“ „Dann trink einen Schluck.“ Ich schiebe das Glas rüber. Der Kopf von Sohn 2 sinkt auf den Tisch. „Ich bin so müde. Muss ich denn jetzt arbeiten?“ „Ja, jetzt sind die Mädchen nicht da und wir haben Ruhe.“ Zumindest theoretisch, nicht wahr?

Ich schaue auf seinen Plan und ziehe die entsprechenden Unterlagen vor mein Kind hervor. Dann schlage ich die Mappe auf und bitte meinen Sohn zu lesen. Es endet immer damit, dass ich die Aufgabe vorlese. Pädagogisch mag das fragwürdig sein, aber auf mich wartet meine Arbeit am anderen Ende des Schreibtischs. Sohn 2 fällt auf, dass sein Bleistift nicht angespitzt ist. Bestimmt ist der Anspitzer voll und muss geleert werden. Das muss er neuerdings bereits, wenn er nur bis zur Hälfte gefüllt ist, weil: „Mama, sonst muss ich zwischendrin aufhören und das nervt richtig.“ Ja, nerven wäre jetzt echt blöd.

Kann ich nicht das andere Blatt machen?

Nach einer laaaangen Zeile räuspert sich Sohn 2. „Muss ich jetzt wirklich alle Aufgaben auf diesem Blatt machen? Kann ich nicht vielleicht das nächste Blatt machen?“ Wir haben das schon eingehend besprochen – wir springen nicht zwischen den Aufgabenblättern, aber klar, das lässt sich von Blatt zu Blatt neu besprechen. Er blättert um. „Oh nöööö, da soll ich etwas ausmalen. Das will ich auf keinen Fall.“ Er trommelt mit den Fäusten auf den Tisch. „Oh Mann, warum muss ich das alles machen? Das ist viel zu viel. Das schaffe ich ja sowieso nie.“ Der Kopf von Sohn 2 sinkt wieder auf den Tisch.

Zwischendrin hat Sohn 1 bestimmt mindestens eine Aufgabe abgeschlossen und ich geschaut. Aber was bedeutet eigentlich ‚schauen‘? Korrigiere ich Fehler oder nicht? Schließlich geben wir die Aufgaben irgendwann ab und die Lehrerin schaut sie an. Da wäre es schön, wenn wir Eltern wüssten, was von uns erwartet wird. Dann erkläre ich Sohn 1 seine nächste Aufgabe und diskutiere mit Sohn 2 weiter. Irgendwie kommen wir nie zu den geregelten Pausen nach der Pomodoro-Technik, weil das Arbeiten gefühlt nie beginnt. Um halb zwölf ist bei den Kindern Schluss und ich mache den Mittagssnack. Danach ist Mittagspause bei den Kindern und ich versuche, konzentriert zu arbeiten. Oft genug merke ich aber, dass ich eher Schreien könnte als mich wirklich an meine Arbeit zu setzen. Aber die Zeit ist kostbar und muss effizient genutzt werden.

Eher Richtlinien als wirkliche Regeln

Da ich zwei schulpflichtige Kinder habe, viele Mütter kenne und eine meiner Schwestern Lehrerin ist, höre ich von vielen Seiten Homeschooling-Erfahrungen, aus der Lehrersicht und manchmal aus der doppelten Sicht als Lehrer und als Elternteil. Ich weiß, dass es theoretisch Vorgaben für die Lehrer gibt. Allerdings scheint das wie bei Kapitän Barbossa im Fluch der Karibik zu sein: „Es sind eher Richtlinien als wirkliche Regeln.“ So sollen Lehrer seit Ende der Ferien persönlichen Kontakt zu ihren Schülern halten. Wie das aussehen soll, weiß offenbar niemand so richtig. Strategien sind nicht zu erkennen. Jeder scheint für sich zu wursteln, einige mit mehr Engagement und technischem Knowhow als andere. Meine liebste Kopie ist bis hierhin ein Bild, wo mein Sohn die Farben der Gegenstände auf englisch ergänzen sollte. Die Kopie war schwarz-weiß.

Viele der Probleme kann Schule alleine nicht lösen und Erlasse fern der Realität helfen nicht. Diese Krise zwingt uns alle auf Neuland und ich möchte nicht alle Lehrer über einen Kamm scheren. Ich kenne Lehrer, die mit Herzblut, vielen Überstunden und tollen Ideen das Leben ihrer Schüler und ihrer Eltern auch in dieser Krise bereichern. Aber jetzt zeigen sich ebenso die Lehrer deutlicher, welche die Sicherheit ihres Beamtenstatus als unantastbar verstehen und das Engagement spätestens nach Ausbildungsende verlieren. Nein, in einer Krise wie dieser kann man nicht stumpf nach Lehrplan vorgehen und zwanzig Jahre alte Kopien wiederauflegen. Die Fragen lauten: Was brauchen Kinder im Moment und was können Familien leisten? Starke Schulleitungen, kreative Ideen, ein tragfähiges Konzept für die Digitalisierung und ja, viele, viele Überstunden sind angebracht. Denn sonst folgt auf Corona eine Bildungskrise. Wenn Eltern sprachlich kaum verstehen, wo sie die Unterlagen für ihre Kinder abholen, wie sollen sie ihren Kindern Wissen vermitteln? Eltern, die beruflich voll eingebunden sind, können nicht über Monate zusätzlich den Lehrplan übernehmen.

Eltern müssen laut werden

An vielen Stellen fließen hohe Summen. Aber wo ist der Milliardenfond für die Bildung in Deutschland? 150 Euro Zuschuss für einen Laptop sind eine Unverschämtheit. Wir Eltern (und Lehrer) müssen an dieser Stelle deutlich werden. Wir müssen das Recht auf Bildung als Grundrecht für unsere Kinder einfordern. Einige Kinder verlieren wichtige Zeit und vielleicht die Lust auf Bildung. Wir müssen die Neugier bei den Kindern wachhalten. Hilfen zu strukturierten Tagesabläufen sind nötig. Die Liebe zum Lesen fördern, ihnen die Möglichkeit zum Ausdruck geben, viel sprechen und gerade bei den Kleinen neue Wege finden, damit sie sich ohne direkten Kontakt als Teil ihres sozialen Netzwerkes verstehen. Kinder und Familien dürfen nicht länger übersehen werden in dieser Krise.