Das klassische Familienmodell
Lange galt das Familienmodell des ausgehenden 19. Jahrhunderts als der absolute Bezugspunkt. Die Nachkriegszeit verstärkte es wieder und machte es zur eigentlich einzigen Möglichkeit: Mann und Frau als Ehepaar und ihre Kind(er) gelten heute noch als klassische Konstellation. Dies ging auch mit der Geschlechterrollenverteilung einher, mit dem Mann als Oberhaupt der Familie und Hauptverdiener und der Frau, verantwortlich für den Haushalt und die Kindererziehung. Doch dieses klassische Familienmodell gerät zunehmend ins Wanken.
Immer häufiger ziehen Elternteile ihre Kinder nicht nur alleinerziehend groß, auch die Patchwork- und die Regenbogenfamilie sind längst keine neuen Begriffe mehr. Scheidungen sind heute genauso selten ein Tabuthema, wie das Zusammenleben und Heiraten gleichgeschlechtlicher Partner. Doch auch das Zusammenleben ohne Trauschein wird immer beliebter.
Doch sieht die familiäre Realität tatsächlich so bunt und modern aus, wie es uns die Medien immer wieder weismachen? Klappt der Rollentausch der Geschlechter reibungslos? Und welche Wunschbilder herrschen im Bezug auf die Familie eigentlich vor?
Wunschbilder, Rollentausch und die Realität
Wie Familien heute leben wollen
Unter Familie verstehen die meisten Menschen heute eine Beziehung zwischen zumindest einem Elternteil und einem Kind. Pärchen ohne Kinder fallen deshalb weg. Das Kind ist das entscheidende Merkmal, das eine Familie zu einer solchen macht.
Allerdings umfasst diese Definition in der heutigen öffentlichen Debatte nicht mehr nur heterosexuelle, sondern auch homosexuelle Paare. In beiden Varianten scheint es gerade jungen Menschen außerdem wichtig, die Berufs- und Familienarbeit egalitär aufzuteilen. Ein Partner, der arbeitet und der andere, der den Haushalt schmeißt – diese Aufteilung ist überholt.
Da Scheidungen, falls überhaupt geheiratet wird, außerdem keine Seltenheit und nicht mehr verpönt sind, gilt eine Patchworkfamilie heute als durchaus harmonisches Modell. Wie in jeder anderen Familienkonstellation sind Elternteile dabei in der Lage, ihre Rechte und Pflichten Kindern und Stiefkindern gegenüber zu wahren und können dementsprechend auch gesunde Beziehungen aufbauen.
Auch der Rollentausch – zumindest in Bezug auf die Verteilung von Arbeit und Haushalt – ist für viele junge Familien heute vorstellbar und mitunter ein erstrebenswertes Ziel. Doch funktioniert das bislang eigentlich auch in der Praxis?

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Warum ein Rollentausch oft schwer fällt
In verschiedenen Studien und Projekten haben die beiden Soziologen Prof. Kai Olaf Maiwald von der Uni Osnabrück und Dr. Sarah Speck vom Frankfurter Institut für Sozialforschung festgestellt, dass die klassische Familie in Deutschland ein Auslaufmodell darstellt. Der Mann als Ernährer und die Frau als Hausfrau, das wollen viele Paare nicht mehr. Doch eine egalitäre Aufteilung oder ein Rollentausch fällt oft schwer. Warum?
Die Erklärung, dass Frauen üblicherweise noch immer weniger Geld verdienen als Männer und diese sich stärker mit ihrer Karriere befassen, greift den Soziologen zu kurz. Auch die Rahmenbedingungen können eine ausgeglichene Aufteilung mitunter verhindern:
- Nicht immer sind Möglichkeiten der Vereinbarkeit über Home‑Office oder eine flexible Arbeitszeitgestaltung möglich.
- Auch Betreuungsmöglichkeiten sind nicht immer vorhanden oder zu teuer, sodass es sich mitunter nicht lohnt, wenn beide Partner arbeiten.
Nach wie vor herrschen hier klassische Attraktivitätsmuster vor. Frauen haben mit ihren Vorstellungen einen großen Einfluss auf das jeweils herrschende Männerbild. Die Männer sehen sich dabei oft im Zwiespalt – wünschen sich die Frauen doch gleichzeitig den starken Beschützer und einfühlsamen Romantiker. Unabhängig vom Milieu gilt der Hausmann sowohl bei traditionell eingestellten, als auch bei hochgebildeten Frauen häufig noch als unmännlich und unsexy.
Diese Ansicht führt dazu, dass Frauen daran interessiert sind, einen Statusverlust des Mannes zu verhindern. Der Partner soll sich zumindest in irgendeiner Form außerhalb der Familie verwirklichen können. Hat die Frau die Ernährerrolle inne, scheint sie das Bild der gleichberechtigten Beziehung nur so aufrecht erhalten zu können.
Die Realität
Die Realität sieht also nicht immer so aus, wie sich viele moderne Paare das erhoffen würden. Die Idee der Gleichheit hat sich zwar auf einer normativen Ebene durchgesetzt (Frauen erobern zunehmend etwa auch Führungspositionen und beteiligen sich immer stärker am Erwerb), dennoch ist vieles beim Alten geblieben. Vor allem, was die Arbeitsteilung bei heterosexuellen Paaren angeht.
- Die Erwerbstätigkeit von Frauen nimmt zwar nach und nach zu, die Hausarbeit bleibt aber noch immer eine weibliche Domäne. So liegt der Anteil der Frauen, die täglich Hausarbeit verrichten, in Deutschland bei noch immer ganzen 72%. Großbritannien und Griechenland liegen mit 85% europaweit an der Spitze.
- Gerade, wenn junge Paare eine Familie gründen, scheint die Frau sich wieder mehr dem Haushalt zuzuwenden, selbst wenn vorher eine ausgeglichene Aufteilung geherrscht hat. Es gibt einen gewissen Traditionalisierungseffekt, der mit der Geburt des ersten Kindes einhergeht. Selbst wenn Männer nach der Geburt in Elternzeit gehen, gibt es Tätigkeiten, wie etwa das Bügeln, die in der Regel eher die Frauen übernehmen.
- Dass Frauen sich nach der Geburt um die Kinder zu kümmern haben, ist ebenfalls immer noch die übliche Ansicht. Würden sie das Kind nach ein paar Wochen in Betreuung geben, ständen sie in Begründungslast. Fragen zur Betreuung und Aufgabenteilung werden in Paarbeziehungen noch immer viel zu selten diskutiert und ausgehandelt.
- Sind Frauen die Hauptverdienerinnen, sprechen sie zwar entschieden mit, wofür Geld ausgegeben wird und selbst bei hochgebildeten Frauen zeige sich unterschwellig ein Machtzugewinn. Dies fand die Darmstädter Soziologin Cornelia Koppetsch heraus. Diese Machtverschiebung werde aber nicht genutzt, um etwa über die häusliche Arbeitsteilung zu bestimmen.
- Selbst in Emotionen und Begehrensstrukturen ist die heterosexuelle Ordnung verankert. Paare, die aus dem traditionellen Schema ausbrechen, führen nur selten ein harmonisches und emanzipiertes Beziehungsleben. Stattdessen scheint das Konfliktpotenzial hoch zu sein. Die Konkurrenz um den Status, das Thema Männlichkeit bei den Rollenbildern, sich unterscheidende Geschlechtereigenschaften, die man sich nicht eingestehen will, machen das Ganze nicht einfach.
Diese Fakten bedeuten nicht, dass der Rollentausch und alternative Familienmodelle nicht auch schon zahlreich gelebt werden. Vor allem befinden sich viele Prozesse noch immer in steter Veränderung. So ist das unverheiratete Zusammenleben eine Option geworden, die trotz vermeintlicher Nachteile für viele Paare erstrebenswerter ist, als eine Heirat.
Unverheiratet zusammenleben – Bis ans Lebensende
Etliche Statistiken belegen, dass auch die Heirat ein Konzept ist, dass immer mehr junge Paare infrage stellen. Die Zahl der Eheschließungen ist in Deutschland stark rückläufig. Statt des verbindlichen Versprechens der Ehe präferiert man Partnerschaften ganz ohne Trauschein.
Trotzdem sind einige Menschen noch überzeugt davon, dass nur eine Ehe eine „echte“ Beziehung bis ans Lebensende besiegelt. Oft steckt ein gewisses Sicherheitsbedürfnis mit der Bedeutung der Hochzeit zusammen. In Zeiten, in denen offene Beziehungen und Polygamie allerdings keine Seltenheit mehr sind, scheint dieses starre Denken doch etwas regressiv.
So haben sich viele Familien und auch ältere Generationen zum Glück bereits von diesem dogmatischen Denken freigemacht. Die Hochzeit wird oftmals eher als Bonus in einer Beziehung verstanden, weil sie beispielsweise einige finanzielle Vorteile bietet. Allerdings wollen nicht alle Paare nur aus diesem Grund den Trauungsprozess durchlaufen. Und das wiederum sanktioniert der Staat noch immer.
Ist ein Paar unverheiratet fallen diverse Vorteile weg:
- in Bezug auf die Steuer
- beim gegenseitigen Unterhalt im Falle einer Trennung
- beim gesetzliche Erbrecht
- beim Abschließen von Versicherungen
Zudem haben sich unverheiratete Paare, die ein Baby erwarten, um die Vaterschaftsanerkennung, die Sorgerechtserklärung und den Nachnamen des Babys zu kümmern. Wie kompliziert und umständlich das alles ablaufen kann, berichten immer wieder Mütter, die sich von der deutschen Bürokratie im Stich gelassen fühlen.
Dennoch gibt es einige Sparmöglichkeiten, von denen auch Unverheiratete profitieren können. So gelten etwa Paartarife bei Versicherungen oft auch für Partnerschaften ohne Trauschein. Ein Partnerschaftsvertrag regelt außerdem, wem bei gemeinsamen Anschaffungen was gehört, wie beide Partner in Bezug auf den Unterhalt abgesichert sind und wer im Todesfall erbt.
Die Regenbogenfamilie
Kommen wir zum derzeit wohl am häufigsten diskutierten und medial präsentesten, Familienmodell – zur Regenbogenfamilie.
Grundsätzlich sind damit Eltern gemeint, die in homosexuellen Beziehungen miteinander leben. Die Kinder können bei zwei gleichgeschlechtlichen Elternteilen von ganz unterschiedlicher Seite kommen:
- Sie können künstlich gezeugt worden sein.
- Oft stammen sie aus vorangegangen Hetero-Beziehungen eines Elternteils.
- Sie können adoptiert sein.
- Sie können als Pflegekinder bei gleichgeschlechtlichen Paaren aufwachsen.
Regenbogenfamilien als solche haben seit der Akzeptanz schwuler und lesbischer Paare in der modernen Gesellschaft ihren festen Platz. Seit deren Selbstbewusstsein gewachsen ist und sie sich begonnen haben aktiv dafür einzusetzen, wie normale Familien behandelt zu werden, hat sich viel getan. 2016 lebten rund 14.000 Kinder in Deutschland in Regenbogenfamilien. Auch der Vorwurf, den man Regenbogenfamilien lange Zeit machte, dass Kinder für eine natürliche und gesunde Entwicklung sowohl Vater, als auch Mutter brauchen, hat sich verlaufen. In der Realität haben sich diese Theorie einfach nicht statistisch bestätigt.

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Das Thema Adoptionen
Adoptionen und Pflegefamilien als modernes Modell
Wenn Frauen nicht in der Lage sind, eigene Kinder zu bekommen, beschließen Paare häufig auch, ein Kind zu adoptieren oder ein Pflegekind aufzunehmen. Zwar hat es Adoptionen wohl zu allen Epochen und in allen Gesellschaften gegeben, in Deutschland wurde das Adoptieren allerdings erst um 1900 mit den ersten Adoptionsvermittlungsstellen von konfessionellen Vereinen offiziell und populärer.
Erst in den 60er- und 70er-Jahren rückte das Wohl des Kindes stärker in den Mittelpunkt: Es ging nicht mehr darum, ein passendes Kind für bestimmte Eltern zu finden, sondern es wurden von nun an geeignete Eltern für ein bestimmtes Kind gesucht. Es wird heute geraten, die Kinder möglichst früh über ihre Adoption aufzuklären. Die Eltern selbst sollten sich möglichst genau über die Herkunft des Kindes informieren.
Heute werden Adoptionen gesellschaftlich zwar kaum noch als etwas Seltsames angesehen, sie kommen aber dennoch nicht mehr so häufig vor, wie früher. Das liegt unter anderem an den Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin. Außerdem sind Pflegekinder keine Seltenheit mehr. Waren es 2008 noch ca. 60.000 Kinder und Jugendliche, ist die Zahl der Pflegekinder bis zum Jahr 2017 auf über 81.000 angestiegen. Der Großteil der Kinder stammt aus einem sozial schwachen Milieu oder Ein-Eltern-Familien.
Doch was sind die wichtigsten Unterschiede zur Adoption?
- Bei einer Adoption ist das Kind gesetzlich das Kind der Eltern. Bei Pflegekindern wiederum bleibt das Kind das rechtliche Kind der leiblichen Eltern.
- Das Pflegekind steht unter Vormundschaft zumeist der leiblichen Eltern.
- Das Adoptionsverhältnis ist prinzipiell auf Lebenszeit angelegt und kann nur in gesetzlich genau geregelten Ausnahmefällen aufgelöst werden. Das Pflegeverhältnis hingegen kann jederzeit abgebrochen werden und endet mit der Volljährigkeit des Kindes. Ausnahme: Das Kind selbst beantragt bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres eine Fortsetzung.
- Nach einer Adoption besteht in der Regel kein Kontakt zu den leiblichen Eltern. Bei Pflegeverhältnissen soll dieser jedoch aufrechterhalten und das Pflegekind in seine Herkunftsfamilie zurückgeführt werden.
Für viele junge Paare scheint das Aufnehmen eines Kindes zur Pflege immer attraktiver zu werden. Das mag auch mit einem wachsenden Bewusstsein für die soziale Ungleichheit und dem stärker werdenden Drang, politisch und gesellschaftlich aktiv etwas zu bewegen, zusammenhängen.
Homosexuelle und Unverheiratete
Am 1. Oktober 2017 wurde das Gesetz der Ehe für alle wirksam. Womit Homosexuelle die gleichen Rechte haben, wie Hetero-Paare. Die Ehepartner dürfen jetzt ebenfalls gemeinsam ein Kind adoptieren. Zumindest, wenn sie die nötigen Voraussetzungen erfüllen. Seit 2004 dürfen gleichgeschlechtliche Paare übrigens auch schon Pflegekinder aufnehmen.
Vor der Verabschiedung des Gesetzes musste einer der Partner in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft ein Kind alleine adoptieren. Der andere Partner hatte dann nur die Möglichkeit, eine Stiefkindadoption zu beantragen. Dieser etwas absurde Prozess hatte somit erst 2017 ein Ende.
Inzwischen gilt allerdings auch der Ausschluss unverheirateter Paare von einer Stiefkindadoption als verfassungswidrig. Nach früherem Recht war die Stiefkindadoption ausschließlich Ehepaaren vorbehalten. Das Bundesverfassungsgericht entschied allerdings am 02.05.2019, dass die Adoption der Kinder des Partners auch in einer stabilen nichtehelichen Beziehung möglich sein müsse. Zur Begründung verwiesen die Karlsruher Richter auf das Wohl des Kindes. Für eine Neuregelung hat der Gesetzgeber Zeit bis Ende März 2020.
Die Zukunft der Familie
Wie divers und bunt die modernen Familienmodelle, die bereits zahlreich gelebt werden, auch sein mögen, sie stellen doch irgendwo immer noch eine Variation der traditionellen Kleinfamilie dar. Viele Experten sind sich sicher, dass sich das in einer schnelllebigen und wirtschaftlich zunehmend unsicheren Welt auch nicht ändern wird. Vielmehr werden solche heutigen Ausnahmen immer mehr zum Standard.
Prinzipiell orientieren sich auch alternative Modelle an der klassischen Aufteilung mit zwei Erwachsenen, die sich um Kinder kümmern, als Paar leben und eine Familie bilden. Sie sind damit im Grunde weit weniger progressiv, als sich viele das vielleicht vorstellen. Mittlerweile findet die Ansicht, dass eine liebevolle Umgebung durch einen oder mehrere Elternteile einen positiveren Einfluss auf das Kindeswohl hat, als das bloße Vorhandensein eines traditionellen Elternhauses – bestehend aus Mutter und Vater.
Die Vielfalt der (Klein-)Familienmodelle anzuerkennen und als normal anzusehen, ist jedoch eine Aufgabe, die sich nicht nur für viele Menschen, sondern auch für die Politik immer noch als große Herausforderung erweist. Das Ziel vor allem der Politik muss es sein, sich daran zu orientieren, was für Kinder wichtig ist und wie sie in Familien gemeinsam mit den Eltern gesund und mit allen Möglichkeiten aufwachsen.
Stigmatisierungen sind dabei tunlichst zu vermeiden. Die finanzielle Sicherheit spielt dabei für jede Familie eine Rolle, die Debatte berührt allerdings auch noch einige andere Bereiche:
- So sollten Bildungs- und Teilhabechancen für alle Kinder gleich sein. Und das unabhängig von sozialer, ökonomischer und kulturell-ethnischer Herkunft.
- Auch die Ausbildung und der Berufsalltag müssen grundsätzlich flexibler werden, wenn Eltern arbeiten und gleichzeitig Kinder erziehen möchten.
- Eine weiter fortschreitende Gleichberechtigung der Geschlechter sollte nicht nur Frauen die Möglichkeit geben, ihrer Arbeit nachgehen zu können, sondern auch Männern die Chance, aktiv in der Vaterrolle zu sein.
Damit der Zugang zu sozialen Dienstleistungen weiter flexibilisiert wird und auch für Personen jenseits der Kernfamilie geöffnet werden kann, muss der traditionelle Familienbegriff also noch weiter aufgeweicht werden. Letztendlich sollte heute allen Familien – ganz egal wie sie sich zusammensetzen – die Zeit und Möglichkeit gegeben sein, in einem gesunden Rahmen für- und miteinander zu leben.