Abtreibung bis zum 9. Monat? Jusos verwirren mit Kongressbeschluss

Frau hält positiven Schwangerschaftstest in den Händen
Nicht immer ist eine Schwangerschaft gewollt: Jusos fordern mehr Recht auf Selbstbestimmung
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Der Antrag der SPD-Jugendorganisation (Jusos) zur Streichung der Paragrafen 218-219b aus dem Strafgesetzbuch hat für viel Aufregung und Verwirrung gesorgt. Aber wollen die Jusos wirklich Schwangerschaftsabbrüche bis zum 9. Monat legalisieren, wie ihnen jetzt unterstellt wird? Und wie ist deine Meinung zu dem Thema? Stimme unter dem Artikel ab!

In diesem Artikel:

„Babymörderfraktion“ – mit diesem polemischen Vorwurf, für den die stellvertretende Vorsitzende der AfD-Fraktion, Beatrix von Storch, in einer aktuellen Stunde im Bundestag gerügt wurde, sieht sich die SPD-Jugendorganisation (Jusos) derzeit konfrontiert. Kritik hagelt es auch von anderen Parteien. Grund dafür ist ein Antrag der Jusos zur Streichung der Paragrafen 218-219b aus dem Strafgesetzbuch. In diesen Paragrafen sind die gesetzlichen Regelungen zu Abtreibungen in Deutschland festgelegt. Eine ersatzlose Streichung ohne Folgeregelungen würde theoretisch einen straffreien Schwangerschaftsabbruch bis zum 9. Monat möglich machen.

Jusos fordern Streichung der §218-219b

Seit eine Ärztin aus Gießen zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, weil sie auf ihrer Internetseite Schwangerschaftsabbrüche als Leistung angeboten hatte, ist die Regierungsdebatte um den Paragrafen 219a, der die „Werbung für Schwangerschaftsabbrüche“ regelt, angespannt wie nie.

Der SPD-Jugendorganisation würde aber selbst eine mögliche Abschaffung des §219a nicht weit genug gehen. Auf dem Juso-Bundeskongress vom 30. November bis zum 2. Dezember in Düsseldorf hat sie daher einen Antrag zur Streichung der Paragrafen 218-219b aus dem Strafgesetzbuch gefordert. Wollen die Jusos wirklich Schwangerschaftsabbrüche bis zum 9. Monat legalisieren, wie ihnen jetzt unterstellt wird?

„Am wichtigsten ist uns Jusos, das Selbstbestimmungsrecht der Frau zu stärken und erst im zweiten Schritt über eine Fristenlösung nachzudenken.“

Als erstes gilt es zu klären, warum die Jusos die Paragrafen 218 und 219a streichen wollen. In ihrem Antrag an den SPD-Bundesparteitag begründen sie ihre Entscheidung mit dem Recht auf Selbstbestimmung der Frau: „Das Recht auf körperliche und reproduktive Selbstbestimmung stellt für uns ein zentrales Menschenrecht dar. Die momentane Gesetzlage in Deutschland schränkt dieses Recht massiv ein. (…) Letztlich führt die aktuelle gesetzliche Regelung in den §§218ff. und §§ 219ff. zu rechtlicher Unsicherheit, Kriminalisierung und gesellschaftlicher Stigmatisierung nicht nur für (ungewollt) Schwangere, sondern eben auch für Ärzt*innen.“


Die stellvertretende Juso-Chefin Katharina Andres beantwortet diese Frage in einem Interview mit der „Welt“ so: „Abtreibungen sind derzeit leider eben per Gesetz illegal und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei. Wir wollen aber, dass Abtreibungen – übrigens als einziger medizinischer Eingriff – nicht mehr im Strafgesetzbuch geregelt sind.“

Es geht den Jungsozialisten also in erster Linie um Entkriminalisierung von Abbrüchen, eine Stärkung des Rechts zur Selbstbestimmung von Frauen und die Stärkung von Ärzten, die diesen Eingriff durchführen. Doch ist dafür die ersatzlose Streichung der umstrittenen Paragrafen der richtige Weg?

Ablehnung der Fristenlösung – und dann?

Gegner des Antrags kritisieren vor allem die von den Jusos geforderte Aufhebung der Fristenlösung. In ihrem Antrag schreiben die Jungsozialisten: „Die sogenannte Fristenlösung (…), dass nur bis zur zwölften Woche nach der Empfängnis ausnahmsweise der Schwangerschaftsabbruch straffrei erfolgen kann, lehnen wir ab.“ Einen einheitlichen Vorschlag zur Neuregelung gibt es allerdings nicht – und genau hier liegt das Problem.

Durch den Wegfall der Fristenlösung wäre also ein Abbruch bis zum neunten Monat möglich. Die stellvertretende Juso-Chefin Katharina Andres nennt diese Option allerdings im Welt-Interview „absurd“ und spricht sich für eine Neuregelung der Fristenlösung aus, die Betroffenen mehr Zeit einräumt, etwa bis zur 22. Schwangerschaftswoche wie in den Niederlanden. Doch es gibt auch andere Stimmen aus der SPD-Jugendorganisation: Die Rednerin Sabrina Simmons (Jusos Berlin) äußerte sich auf dem Kongress deutlich radikaler und erntete für ihre Rede reichlich Applaus: „Wir müssen für etwas einstehen. (…) Für die Lebenden. Für die Frauen. Für ihre Selbstbestimmung. Und nicht für irgendwelche Ungeborenen. (…) Die haben davor einfach kein Recht. Und die Grundrechte, das Menschenrecht, gilt zuerst einmal für die Frau. Und dann für alles andere.“

Der Antrag wurde von den Mitgliedern angenommen. Der Pressesprecher der Jusos wehrt sich allerdings  in einer Stellungnahme bei dem Recherchezentrum Correctiv gegen die Vorwürfe, die Jugendorganisation hätte damit eine Regelung zur Abtreibung bis zum neunten Schwangerschaftsmonat beschlossen: „Wer das behauptet verdreht mutwillig die Tatsachen.“

„Es mag naiv gewesen sein.“

Kevin Kühnert, der Vorsitzende der Jusos, sieht den Fehler vor allem in der fehlenden Ersatzlösung für die Streichung der Paragrafen: „Es mag naiv von uns gewesen sein zu glauben, man könne die Zurücknahme der geltenden Regeln fordern, ohne gleichzeitig einen konkreten Vorschlag zu unterbreiten, wie diese künftig aussehen sollen. Diesen Vorwurf lasse ich gelten. Uns ging es darum, in einer sensiblen ethischen Frage klar Position zu beziehen und gleichzeitig Raum für die notwendige Diskussion zu bieten.“

Dass sich die Forderungen der Jusos nach Streichung der Paragrafen 218-219b durchsetzen, gilt als so gut wie ausgeschlossen.

Einen Kommentar zum Thema liest du hier: „Ihr seid so dumm“ – Wie radikale Sprache jeglichen Dialog zerstört

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Quellen:

Schmüser, Caroline (14.12.2018): Nein, die Jusos haben keine Regelung für Schwangerschaftsabbrüche bis zum neunten Monat beschlossen. In: Correctiv – Recherchen für die Gesellschaft. URL: https://correctiv.org/faktencheck/politik/2018/12/14/nein-die-jusos-haben-keine-regelung-fuer-schwangerschaftsabbrueche-bis-zum-neunten-monat-beschlossen (Abrufdatum: 20.12.2018)

Heimbach, Tobias (06.12.2018): „Ungeborenes Leben sollte nicht schwerer wiegen als der Schutz der Frau“. In: Welt. URL: https://www.welt.de/politik/deutschland/article185090042/Abtreibungen-Juso-Vize-Katharina-Andres-fordert-mehr-Rechte-fuer-Frauen.html (Abrufdatum: 20.12.2018)

Kühnert, Kevin (11.12.2018): Schwangere Frauen werden in Deutschland kriminalisiert – warum dulden wir das?, In: Handelsblatt. URL: https://www.handelsblatt.com/meinung/kolumnen/expertenrat/kuehnert/expertenrat-kevin-kuehnert-schwangere-frauen-werden-in-deutschland-kriminalisiert-warum-dulden-wir-das/23748248.html (Abrufdatum: 20.12.2018)

Trippo, Julia (13.12.2018): Kontroverse Bundestagsdebatte zu Jusos-Beschluss, die Paragrafen 218 und 219a zu streichen. In: zwd Politikmagazin. URL: http://www.zwd.info/hitzige-bundestagsdebatte-zu-jusos-beschluss.html (Abrufdatum: 20.12.2018)

Juso-Bundeskongress, 30. November – 2. Dezember 2018, Beschluss G1 „Für ein Recht auf reproduktive Selbstbestimmung: „Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen“, URL: https://www.jusos.de/content/uploads/2018/12/g1_fuer-ein-recht-auf-reproduktive-selbstbestimmung-legalisierung-von-schwangerschaftsabbruechen.pdf (Abrufdatum: 20.12.2018)