Der Alltag aus Sicht eines Kindes

Kind streckt sich nach einer Blume
Wie meine Tochter die Welt sieht
© Pexels / Allan Mas

Manchmal können wir die Wutausbrüche und Argumentationen unserer Kinder nicht verstehen. Doch ich würde oft gerne nachvollziehen können, was hinter dem Wutanfall meiner Tochter wirklich steckt. Ich habe auf die Worte und Argumentationen meiner Tochter einmal genau gehört und versucht, mich in ihren Alltag und ihre Sicht hineinzuversetzen.

„Der Tag beginnt. Mama weckt mich. Ich habe heute Nacht bei Mama im Bett geschlafen, weil es da so schön kuschelig ist und ich mich geborgen fühle. Gerne würde ich den Moment noch weiter genießen und kuscheln, aber Mama drängt mich zum Aufstehen. Der Kindergarten ruft. Uff, schon wieder Kindergarten. Ich spiele dort zwar gerne mit meinen Freunden, würde aber trotzdem lieber bei Mama und Papa zu Hause bleiben. Mama arbeitet doch von zu Hause aus und Papa ist auch viel im Home Office, warum muss ich dann immer „weggehen“?

Papa bringt mich in den Kindergarten. Das ist mir lieber, denn von ihm kann ich mich besser trennen als von Mama. Ich freue mich aber schon, wenn sie mich heute Nachmittag abholt. Oh, da ist ja auch schon Mia, meine Freundin, ob sie Lust hat mit mir zu spielen? Ich gehe gleich mal hin.

: "Wir sind keine Freunde mehr"

Mama holt mich vom Kindergarten ab. Ich freue mich riesig, wenn sie zur Tür reinkommt. Ob wir heute Nachmittag etwas Schönes zusammen unternehmen? Mama fragt mich, wie es im Kindergarten war. Ich bin so aufgeregt, dass sie mich endlich holt, dass ich nur „schön“ sagen kann. Wir gehen nach Hause. Mama und ich packen meinen Rucksack aus und verräumen erst einmal alles.

Ich weiß, dass Mama noch die Spülmaschine ausräumen muss und eine Ladung Wäsche zu waschen hat. Das der Hund noch Gassi gehen muss und noch so viele andere Dinge auf ihrem Plan stehen. Mama hat irgendwie immer so viel zu tun. Aber ich war bis 15 Uhr im Kindergarten und ich hätte Mama jetzt auch ganz gerne einmal nur für mich alleine. Irgendwann spielt Mama mit mir ein Spiel. Ich freue mich sehr über die Aufmerksamkeit. Dann gehen wir noch zusammen mit dem Hund spazieren. Das ist auch schön. Ich fahre mit dem Fahrrad voraus. Langsam bekomme ich Hunger. Das Essen im Kindergarten war sehr lecker, ob Mama später auch so etwas Leckeres kocht? Vielleicht kann ich ihr beim Kochen helfen. Ich verbringe so gerne Zeit mit Mama.

Am Abend ist Mama genervt von mir, weil ich keine Lust habe meine Zähne zu putzen und weil ich sauer bin, dass ich mir meinen Schlafanzug nicht selbst aussuchen durfte. Aber Mama, weißt du was? Ich hatte auch einen harten Tag! Im Kindergarten darf ich auch nichts selbst entscheiden. Es gibt Regeln und Strukturen und an die halte ich mich. Mich hat wieder ein Junge geärgert und ein anderes Kind hat mir die Puppe weggenommen, mit der ich eigentlich so gerne spiele. Ich habe meinen Ärger und meine Wut einfach unterdrückt und jetzt kommt wieder alles raus.

Sei mir nicht böse, dass ich beim Zähneputzen weine, das hat nichts mit dir zu tun. Ich ärgere mich über alles, was heute in meinen Augen schiefgelaufen ist. Du bist meine Mama, du bist doch immer für mich da. Du bist mein Fels in der Brandung, bei dem ich alles rauslassen kann.

Ist es denn zu viel verlangt, wenn ich jetzt meinen Schlafanzug selbst aussuchen möchte? Denn auch ich mag es, wenn ich in meinem Leben die Dinge selbst bestimmen kann.

Außerdem möchte ich gerade lieber noch spielen, als meine Zähne zu putzen. Ich weiß, dass das wichtig ist, aber es 10 Minuten später zu machen, macht das denn einen Unterschied? Beim Buch vorlesen starte ich auch eine sture Verhandlung darüber, wie viele Geschichten wir jetzt noch lesen. Ich mag es, wenn Mama und Papa am Abend noch mit mir im Bett kuscheln und Geschichten vorlesen. Dann, wenn ich schlafen soll, fallen mir die vielen Dinge ein, die den Tag über passiert sind und die mir am Nachmittag nicht eingefallen sind. Mama hatte doch danach gefragt, wie es im Kindergarten war, deshalb muss ich das doch jetzt noch schnell erzählen!

Aber Mama und Papa sind genervt, weil ich das einschlafen wieder versuche hinauszuzögern. Ich möchte aber so gerne noch was erzählen. Irgendwann liege ich in Papas Armen und meine Augen werden doch sehr schwer. Im Großen und Ganzen war es doch ein schöner Tag, aber jetzt bin ich so müüüüde. Gähn.“

Es ist nicht immer einfach, sich in die Gefühle seines Kindes hineinzuversetzen. Auch mir ist das lange Zeit sehr schwergefallen und ich habe genervt reagiert. Bis mir irgendwann bewusst wurde, dass Kinder eigentlich nie etwas tun, um ihre Eltern zu nerven. Sie tun Dinge, die die Eltern dann vielleicht triggern, weil die Eltern gerade genervt und gestresst sind. Seinen Unmut am Kind auszulassen, ist dann natürlich sehr ungerecht dem Kind gegenüber. Mittlerweile sehe ich das auch alles lockerer und ich habe ein super entspanntes Verhältnis zu meiner Tochter.

Wie ich es geschafft habe, entspannter zu bleiben und nicht mehr so viel zu schreien, erkläre ich hier.