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Delta-Angst – Was die Panik mit uns macht

Mama mit Maske auf im Park
"Ich bin bereit, mich sozial einzuschränken, aber für Kinder, wünsche ich mir andere Regeln."
© Unsplash / Marcin Jozwiak

Hinter uns allen liegen aufregende Monate und ein klares Ende ist nicht in Sicht. Viele von uns haben eine Meinung aus unterschiedlichen Motivationen heraus und oft spielen Ängste dabei eine große Rolle. Was macht das mit uns? Welche Debatten verhindert die Angst?

Keine einheitlichen Lösungen

Diese Pandemie hat auf jedes Leben starke Auswirkungen und erhöht den Druck für die meisten Menschen enorm. Das erschwert zielführende Dialoge leider und lässt damit Lösungen in immer weitere Ferne rücken. Die meisten Menschen haben unterschwellige Angst bis Panik.

Zu Beginn der Delta-Welle war ich als Elternvertreterin bei ein paar Online-Sitzungen. Dabei gab es die unterschiedlichsten Positionen bei den Eltern:

  • alles wieder aufmachen / alles wieder dichtmachen
  • wer nicht testet, darf nicht in den Kindergarten
  • ungeimpfte Erzieher*innen in staatlichen Einrichtungen oder Lehrer*innen müssen suspendiert werden…

All diese Standpunkte werden oft hochemotional vorgetragen und entsprechend untermauert. Seit Corona sind viele Sitzungen deutlich länger und noch weniger ergiebig geworden. Es wird hauptsächlich in Monologen und wenig in echten Dialogen gesprochen.

Was macht Angst mit uns?

Eigentlich soll Angst uns in bestimmten Situationen retten. Sie warnt vor Gefahren und macht uns vorsichtiger. Kurzzeitig ist Angst gut, weil sie uns erlaubt, auf Situationen richtig zu reagieren. Wir schalten auf Autopiloten und reagieren blitzschnell. Das hilft jedoch nur in den kurzfristigen Momenten und nicht in Situationen, die lange anhalten.

: Coronavirus - Angst vermeiden

Wer lange viel Angst in sich hat, muss körperlich mit einem dauerhaft erhöhten Stresspegel auskommen. Das erschwert das klare Denken und Handeln. Es macht empfänglicher für leichte Lösungen, um diesen elenden Zustand zu beenden.

Mehr gesunder Menschenverstand bitte

Wenn die Angst übernimmt, setzt der gesunde Menschenverstand aus. Das erklärt die Hitzigkeit vieler Debatten. Es scheint in den Debatten so viel Schwarz oder Weiß zu geben und so wenig Grauzonen. Wenn ich mich umschaue, sehe ich aber fast nur Grauzonen. Ich sehe so viele Kollateralschäden, bei denen ich mir wünschen würde, dass diese berücksichtigt würden.

Wir müssen den Schutz ernstnehmen, aber zugleich aus der Panik herauskommen. Wir müssen wieder Gespräche führen und agieren, statt nur zu reagieren.

Einheitliche und nachvollziehbare Regelungen

Ob bei Elternabenden oder anderen „Events“ – in den Listen der vermehrt wieder normal stattfindenden Events reicht es oft aus, wenn man sich als geimpft einträgt. Ein Test ist dabei nicht mehr notwendig. Diese Logik leuchtet mir nicht ein. Es muss einheitliche Regelungen und mehr Aufklärung geben.

Wenn wir wissen, dass Impfungen lediglich in den meisten Fällen vor schweren Verläufen schützen, ergibt es keinen Sinn, dass sich Geimpfte nicht mehr testen. (Um Missverständnisse und hitzige Facebook-Debatten zu vermeiden – ich bin geimpft und bin dankbar für diese Möglichkeit.)

Will ich als geimpfte Person verhindern, dass ich andere unwissentlich anstecke, muss ich mich trotz dessen weiter testen. Ob ich das jetzt nervig finde oder nicht und ob es in Instituten Gelder wegfrisst oder nicht. Testungen bleiben trotz Impfungen wichtig.

Ansprüche überprüfen

Ich bin in dieser Zeit immer wieder dankbar, dass meine ältesten Kinder gerade einmal in der Grundschule sind. Denn für die Jugendlichen und die jungen Erwachsenen bedeutet diese Pandemie einen solchen Entwicklungsstopp.

Wer will schon mit dem ersten großen Liebeskummer auf der Couch mit Mutti sitzen? Oder das Studium am Laptop aus dem alten Kinderzimmer heraus beginnen? Oder die ersten Bewerbungsgespräche per Zoom führen?

Für mich stellt sich da die Frage, können wir als mittlere Generation den gleichen Anspruch an Jugendliche und junge Erwachsene stellen? Sind nicht wir es, die sich einschränken müssen und müssen sie nicht eine gewisse Freiheit behalten dürfen? Ist diese Freiheit nicht schützenswert, weil es für die Entwicklung der nächsten Generation wichtig ist?

Ich bin gerne bereit dazu, mich sozial einzuschränken und auf große Treffen zu verzichten. Aber für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene würde ich mir abweichende Regeln wünschen. Sie müssen Mannschaftssportarten machen können. Sie müssen sich in ihren Gruppen treffen dürfen.

Es ist ungerecht, ihnen die gleiche Verantwortung überzustülpen, die nicht einmal alle Erwachsenen bereit sind zu tragen.

Welche „Kollateralschäden“ beziehen wir ein?

Bei Kindergärten und Schulen geht es mit sinkenden Zahlen mehr wieder um das Wohl der Kinder und Jugendlichen. Das muss auch bei steigenden Zahlen so bleiben. Es gibt eine hohe Anzahl von Kindern, die diese Einrichtungen aus ganz unterschiedlichen Gründen brauchen.

Während es in der Öffentlichkeit oft um die wirtschaftlichen Faktoren und den Stress der Eltern geht, wird vergessen, wie wichtig für einige Kinder die öffentliche Kontrolle ist. Die sexuellen Gewalttaten gegen Kinder sind von einem bereits hohen Niveau aus dem Jahr 2019 im Jahr 2020 um 1.000 auf 16.000 Fälle gestiegen. Insgesamt hat die Gewalt gegen Kinder durch die Belastungen der Pandemie deutlich zugenommen.

: Polizei überfordert

Viele Hilfsleistungen waren nicht mehr möglich und zugleich ist der Druck auf die Familien gestiegen. – Das sind bisher mediale Randnotizen und ich wünsche mir, dass sie auf politischer Ebene bei zukünftigen Entscheidungen trotzdem präsent sind.

Falsche Motivationen

Vermutlich werden Schulen und Kindergärten aufbleiben, doch die Gründe hierfür werden mit großer Wahrscheinlichkeit wirtschaftlich motiviert sein.

Vielleicht bin ich hier zu zynisch, aber der Schutz von Kindern hat einen erschreckend geringen Wert in politischen Debatten.

Die Angst vorm wirtschaftlichen Schaden ist zugkräftiger als die Angst vor einer erschreckend hohen Anzahl totgeschlagener Kinder (allein in Berlin waren es laut Arche-Gründer Bernd Siggelkow 152!) in einem Land wie unserem.

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