Warum Kinder nicht für Lebensentscheidungen der Eltern verantwortlich sind

Familie mit Kind am Strand
Als Eltern verschieben sich eben die Prioritäten. Ist das so schlimm?
© Pexels / Ingo Joseph

Kinder sind nicht schuld an unseren eigenen Unsicherheiten, den Problemen in der Paarbeziehung oder der Überforderung im Familienalltag. Hört auf, es auf ihnen abzuladen!

Fieser Trend

Auf Instagram tauchten vor einiger Zeit immer wieder Fotos vom ersten und klassisch vom zweiten Kind auf. Die Untertitel hierzu lauteten: „Das Kind, bei dem wir dachten, wir wollten fünf Kinder“ beim ersten Kind und beim zweiten Kind: „Das Kind, was uns überzeugt hat, keine Kinder mehr zu wollen“. Ein Schelm, wer hier passive Aggressionen entdeckt?

Ein Ex-Freund von mir zitierte in nachhaltiger Wiederholung den Spruch: Lieber einen Freund als eine Pointe verlieren. Es ist dann eine persönliche Lebensentscheidung, wenn man sich am Ende allein über seine Pointen freuen darf, weil man den eigenen Witz über die Gefühle der Mitmenschen stellt. Bei diesem Trend sind den Eltern die Gefühle ihrer Kinder zugunsten einer Internet-Pointe egal.

Drehen wir es einmal um

Es könnte ja auch heißen: „Das Kind, bei dem wir größenwahnsinnig dachten, unsere Nerven sind endlos.“ Und dann: „Das Kind, bei dem wir unsere eigenen Grenzen kennenlernten“. Vielleicht folgt auch in ein bis zwei Jahrzehnten der Trend der Kinder: „Der Moment, als meine Eltern meine Welt waren“ und beim zweiten Bild: „Der Moment, als ich erkannte, ohne meine Eltern lebe ich emotional besser“?

Bitte Humor, aber ohne verletzende Bemerkungen

Humor rettet mich im Alltag mit den Kindern oft genug. Mein eigener Anspruch, meine Ungeduld und meine Fähigkeit zum kreativen Chaos sind oft genug Anlass für Witze meinerseits. Ich möchte keineswegs sagen, dass Eltern sich von Humor befreien sollten. Eher im Gegenteil:

Sinn für Alltagskomik rettet vorm Durchdrehen angesichts des täglichen Spagats. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen einem Witz und einer verletzenden Bemerkung. Generell muss man sich bei Humor auf Kosten von anderen Menschen immer fragen: Warum ist das nötig?

Hypothek für die Eltern tragen?

Es gehört auch zum humorigen Ton einiger Eltern, derartige Äußerungen direkt vor dem Kind zu treffen. Die Nachbarin einer Freundin betont stets, dass sie eigentlich eine ganz große Familie haben wollte. Aber dann bekam sie ihren Sohn und das war das Ende dieses Wunsches. Der sei nämlich als Schreibaby eine derartige Herausforderung gewesen, dass sie das Risiko eines solchen Lebensabschnittes nie wieder eingehen wollte. Einmal saß der mittlerweile junge Mann direkt daneben. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken.

Pläne ändern sich

Die Hypothek für die Lebensunzufriedenheit von Eltern muss kein Kind tragen. Kinder treffen keine Entscheidungen für die Eltern. Natürlich beeinflussen sie die Entscheidungen, ebenso wie die Entscheidung für einen konkreten Partner den weiteren Verlauf des Lebens bestimmt. Aber die Verantwortung für die Entscheidung trifft der Erwachsene und nie das Kind. Vielleicht stellen Eltern fest, dass Elternsein Rollen oder Seiten mit sich bringt, die ihnen zuvor in der letzten Konsequenz nicht bewusst gewesen sind. Und dann passen sie ihren vorherigen Lebensplan an diese neue Erkenntnis oder an ungeplante Umstände an.

Kinder sind nicht verantwortlich für berufliche oder private Probleme von Eltern. All diese Herausforderungen sind Teil unserer gesellschaftlichen Strukturen. Durch die Bedürfnisse von Kindern treten Missstände in Verhältnissen sehr deutlich zutage – die Risse und Unterschiede sind jedoch vorher bereits da und ließen sich vielleicht ohne den Druck besser kaschieren. Das Scheitern einer Beziehung verantworten jedoch immer die Eltern und niemals die Kinder.

Sich neu kennenlernen

Man lernt sich und seine Bedürfnisse als Eltern anders kennen. Ich hätte beispielsweise nie gedacht, dass mich körperliche Nähe überfordern könnte, nur um festzustellen, doch es gibt einen Punkt, da ist mir körperliche Nähe zu viel. Vor den Kindern habe ich mich für einen entspannten Menschen gehalten, nur um dann festzustellen, dass meine Nerven im Dauerchaos ein rasches Ende haben können. Meine Kinder haben diese Aspekte von mir jedoch nicht geschaffen, sondern in Situationen mit ihnen hervorgebracht.

Das sind Seiten von mir, die immer da waren. Und es ist gut, wenn wir als Menschen auf derartige neue Erkenntnisse reagieren und unsere Lebensplanung anpassen.

Prioritäten zeigen sich und ändern sich

Wer ehrlich zu sich selbst ist, findet die Gründe, für seine Lebensentscheidungen in sich und der eigenen Persönlichkeit begründet. Und das meine ich vollkommen wertfrei. Vielleicht stellt ein Elternteil nach einem Kind fest, dass ihm die persönliche Freiheit wichtiger ist, als noch einmal eine Babyphase von A bis Z zu begleiten. Dass die eigene Lebensqualität ohne ausreichenden Schlaf so schnell sinkt, dass es unvorstellbar scheint, noch einmal ein kleines Kind zu haben. Das liegt nicht am „anstrengenden Kind“, sondern an dem, was man über sich selbst erkennt.

Auch Leute, die sagen: „Mit einem anderen Mann/ einer anderen Frau hätte ich mehr Kinder bekommen“ laden die Verantwortung für ihre Entscheidung bei einer anderen Person ab. Ja, vielleicht hätte man mit einem anderen Partner tatsächlich mehr Kinder bekommen. Aber die eigene Priorität lag offensichtlich nicht auf der Kinderanzahl, sondern auf dem Partner.

Verantwortung für das eigene Leben übernehmen

Verantwortlich für das eigene Glück oder das eigene Unglück mit den persönlichen Lebensentscheidungen ist jeder Mensch für sich. Manchmal zeigen uns unsere Entscheidungen vielleicht Grenzen an uns, die wir gerne nicht hätten. Dann ist es leichter, einem anderen die „Schuld“ zu geben. Aber langfristig belastet das nicht nur unsere Beziehung zu der anderen Person, sondern auch unsere Beziehung mit uns.

: Meine Familie geht daran kaputt

Die meisten Menschen in unserer Gesellschaft befinden sich in der luxuriösen Situation, das eigene Leben sehr frei gestalten zu können. Auch die Frage danach, ob man überhaupt Kinder möchte und wie viele es sein sollen. Für eine zu uns passende Entscheidung brauchen wir Mut und Selbsterkenntnis und im Anschluss tragen wir die Verantwortung. Denn mit jeder unserer Entscheidungen müssen wir leben. Unsere Kinder aber bitte nicht. Die übernehmen dann bitte gerne die Verantwortung für ihre Entscheidungen als Erwachsene. Oder posten ein Bild ihrer Eltern auf welcher Plattform auch immer: „Zwei Gründe, warum ich keine Kinder bekomme.“