Ermutigen klar, zwingen nie!
Bei Sohn 2 stand der Ernährungsführerschein in der Schule an. Bei Sohn 1 fiel er wegen Corona aus und ich habe mich sehr gefreut, dass wieder etwas stattfindet. Bis ich mich nicht mehr gefreut habe, weil das Kind nicht mehr hingehen wollte und am Morgen geweint hat, wenn die Landfrau in die Schule kam, um ihnen gutes Essen nahezubringen.
Das Credo der Frau mittleren Alters lautete nämlich: Ich bekomme jedes Kind zum Probieren. Das war ein Zwang, den mein Sohn bis dahin nicht kannte. Denn mir erschließt sich der Gewinn nicht, wenn ich mein Kind zwinge, etwas zu probieren, was es nicht probieren will.
Ich habe als Kind kein einziges Mal meine Überzeugung durch Probieren geändert – was mir zuvor suspekt war wegen der Farbe oder des Geruchs, das mochte ich auch nach dem widerwilligen Bissen nicht. Allerdings habe ich mich gedemütigt und klein gefühlt und es aufrichtig gehasst. Daher bin ich mir sehr sicher: Zwang nützt weder dem Verhältnis zum Essen noch dem zu den beteiligten Erwachsenen.
Wer denkt, das ist in Ordnung?
Auf meine Nachfrage bei den Lehrerinnen erklärten diese, es habe sich eine Gruppe gebildet, die den anderen das Essen verdorben hätte (eine Dynamik, der man natürlich gegenwirken muss, aber die Frage ist doch immer wie). Und sie fänden das Probieren und den Zwang auch schwierig, könnten aber bei einer externen Person nur wenig machen. Bei der Präsentation und dem Servieren konnte mein Sohn mit ihrer Hilfe unter dem Radar bleiben und damit waren schwierige Wochen bei uns zu Ende. Aber mich hat das nachdenklich gemacht: Warum glauben wir, Zwang ist beim Essen bei Kindern in Ordnung?
Unterschiedlich empfindlich
Wie in allen anderen Bereichen des Lebens sind die rein sensorischen Empfindungen bei Essen unterschiedlich. Es gibt Menschen, die riechen weniger und schmecken weniger intensiv. Dann gibt es Menschen, bei denen isst die Fantasie mit und bei anderen gar nicht. Diese Unterschiede – so bin ich mehr sicher – sind bei Kindern eher ausgeprägter als bei Erwachsenen. Natürlich kann es sein, dass ein Kind mit dem Probieren wunderbar umgehen kann. Für ein anderes kann es aber schrecklich sein, etwas in den Mund zu nehmen, was aus seiner Sicht komisch riecht oder aussieht. Wir würden doch nie einen Erwachsenen auffordern, den stark riechenden Käse zu probieren, weil der uns so gut schmeckt.
Bei einem Erwachsenen würden wir diese Grenze akzeptieren, weil wir davon ausgehen, dass er schon weiß, was er mag und was nicht. Bei einem Kind treffen wir diese Entscheidung, weil es das aus unserer Perspektive noch nicht weiß. Es kennt so vieles noch nicht und muss es alles in den ersten Lebensjahren kennenlernen, sonst wird es sich ein Leben lang ausschließlich von Nudeln ernähren. Dieser Dramatik möchte ich schlicht nicht glauben. Vielleicht mutiert ein wählerisches Kind nicht im erwachsenen Alter zum experimentierfreudigen Esser, aber es wird in seinem Rahmen verschiedene Lebensmittel kennen- und schätzen lernen.
Freude am Essen
Als Mutter möchte ich meinen Kindern vor allem eins vermitteln: Freude am Essen und ein entspannter Umgang. Denn das war bei mir lange überhaupt gar nicht der Fall. Und ich möchte ihre Vorlieben berücksichtigen und probieren bei Ekel muss überhaupt gar nicht sein. Ich biete an und dann entscheiden die Kinder. Natürlich gab es Sprüche, dass ich die Kinder verwöhne und dass es für sie nicht gut ist. Ehrlich: ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht möchte, dass meine Kinder sich fühlen, wie ich mich oft vor einem Teller gefühlt habe: Hilflos und ohne eigene Entscheidungen.
Dann gibt es phasenweise fast nur Nudeln, das einzige Obst sind Äpfel oder lediglich Möhre als regelmäßiges Snack-Gemüse. Ich glaube, Kinder kommen mit ihren Vorlieben und ihrem Wesen auf die Welt und ich kann nur über die Funktion von Essen mit ihnen sprechen. So erkläre ich: Geschmack ist das eine, aber Essen ist auch da, um den Körper gut zu ernähren. Dafür ist genug Trinken wichtig, ein Apfel ist gut, eine Möhre prima und Fleisch, Käse oder eine andere Proteinquelle. Das biete ich an und versuche es zu vermitteln. Auch Kochshows sollen dabei helfen, dass Kinder sich gesünder ernähren.
Das eigene Bauchgefühl
Ich finde es gut, wenn Kinder etwas über Essen lernen und ihnen gesunde Ernährung und ein natürlicher Umgang fern von Belohnungs- oder Langeweile-Essen ans Herz gelegt wird. Wenn sie erfahren, welche Lebensmittel gut für ihren Körper sind und bei welchen sie vorsichtig sein sollten. Auch finde ich es richtig, wenn Kinder lernen, selbst etwas in der Küche zuzubereiten. Natürlich nicht ausschließlich in der Schule, sondern auch gemeinsam mit den Eltern im eigenen zuhause.
: Eltern berichten
Meine Kinder sind alle sehr unterschiedlich in ihren Vorlieben – vom Allesesser bis zum sehr wählerischen Esser ist alles vertreten. Das bringt Schwierigkeiten bei den gemeinsamen Mahlzeiten mit sich. Aber irgendwie einen kleinen Nenner gibt es dann doch bei den meisten Mahlzeiten und wenn es eine Portion Reis oder Nudeln pur sind. Und ja, manchmal nervt mich das.
Aber was wäre die Alternative: Sie müssen alles essen, weil ich das so vorgebe? Wie kann mein Ziel sein, dass meine Kinder lernen, auf ihr Bauchgefühl zu hören, wenn ich es in diesem Punkt als unwichtig hinstelle? – Mein Bauchgefühl sagt mir, dass mit Zwang nie etwas Gutes entsteht.
Und umso mehr freue ich mich, wenn plötzlich fast alle Kinder den frischen Salat oder die Sauce mitessen. Obst- und Gemüseteller werden sowieso immer in Windeseile leergegessen und auch das ohne Aufforderung meinerseits. Und wie sie später essen – ich bin gespannt und hoffe, mit Ruhe und Freude.