Vom Vorlesen zum gemeinsamen Lesen

Symbolbild: Mama mit Buch in der Hand
Endlich Schluss mit Kinderbüchern: Jetzt wird richtig gelesen!
© Pexels / Breno Cardoso

Für mich war immer klar, dass ich meinen Kindern viel vorlesen wollte. Bücher sind ein so wichtiger Bestandteil meines Lebens, dass ich meinen Kindern diese besondere Welt früh und viel vermitteln wollte. Wann mit dem Vorlesen und gemeinsamen Lesen Schluss sein könnte, darüber habe ich mir dabei in keiner Weise Gedanken gemacht.

Einige Bücher sind eine Überzeugungsprobe

Die lange Reihe an Bilderbüchern hat mein Verhältnis zu Büchern lange Zeit auf die Probe gestellt. Viele Kinderbücher sind nicht so illustriert, dass es lange eine Freude ist, sie zu betrachten. Und bei Such- und Wimmelbüchern bin ich leider irgendwann auch raus. In der Theorie finde ich sie wunderbar und in der Praxis muss ich mich zusammenreißen, damit ich das gesuchte Eichhörnchen nicht fix zeige.

Auch einige der vermeintlich schönen Vorlesebücher sorgten nur bedingt für Freude bei mir. Sohn 2 entwickelte eine große Vorliebe für die Reihe rund um das magische Baumhaus und die ersten ausgeliehenen Bände musste ich noch vorlesen. Danach las er einfach selbst und ich war raus. Was bei einigen Büchern wirklich gar nicht schade ist, aber gleichzeitig ist es eben doch ein bisschen schade.

Denn bei Büchern lässt sich über so vieles sprechen, was sonst im Alltag keinen Platz findet. Es geht oft genug um Themen, die nah an den Kindern sind und bei denen sie von sich sprechen können, ohne direkt von sich sprechen zu müssen.

Ein wunderschöner Zufall

Jetzt könnte ich schreiben, dass ich deswegen und aus einer großen Überzeugung angefangen hätte, längere Bücher mit meinen beiden großen Kindern zu lesen. Tatsächlich war es jedoch ein Zufall. Als ich den wunderschön illustrierten Band von Harry Potter vor drei/ vier Jahren sah, musste er unbedingt ins Haus. Sohn 2 blätterte ihn interessiert mit mir durch und eigentlich wollte ich nur den Beginn vorlesen. Aber dann war es so schön mit meinen beiden Söhnen den Anfang neu zu erleben und ihre Begeisterung für die Geschichte zu sehen.

Wir begannen über Neville zu sprechen und landeten bei dem Thema Außenseiter in der Schule und dem Anderssein generell. Gemeinsam fanden wir die Dursleys schrecklich und sprachen über übertriebene Geschenkesammlungen und Ungerechtigkeiten.

Es folgten die nächsten Bände und während es dann über eine Zeit eine ruhige Liebe war, nahm es mit dem fünften Band an Fahrt auf. Jeden Abend saßen wir in unserem Urlaub vor einem kleinen Kaminfeuer und ich las vor.

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Sich von Geschichten berühren lassen

Wir lachten gemeinsam und meine Söhne wissen mittlerweile, dass es Szenen gibt, bei denen ich weinen muss und das Vorlesen schwerer wird. „Ok, Wasserpause“, sagt mein älterer Sohn dann und grinst. Wobei das kein gut gehütetes Geheimnis in unserer Familie ist, dass ich nah am Wasser gebaut bin. Bereits bei Lotta zieht aus, muss ich häufiger innehalten und schlucken. Bei den längeren Büchern ging es mit einem Mal jedoch auch meinen Söhnen so, dass die Charaktere sie so eingenommen hatten, dass sie mitlitten.

Die Geschichte rund um den Patenonkel von Harry führte hier zu langen Gesprächen über Ungerechtigkeiten im Leben. Und im letzten Band war einer meiner Söhne überzeugt davon, das Buch nicht zu Ende lesen zu wollen, weil einer seiner Lieblingscharaktere ein Ende fand. Das hatte sich nach zehn Minuten wieder gegeben, aber es hatte ihn wirklich getroffen.

Gemeinsam der Geschichte folgen

Meine Kinder hinterfragten die Motive, waren genervt von pubertären Anwandlungen der Charaktere (woran ich sie eventuell erinnern oder aber in mich hineinschmunzeln werde) und konnten es manches Mal vor Spannung nicht aushalten. Und weil ich vor den jüngeren Kindern nicht vorlesen konnte, begannen sie vermehrt selbst zu lesen.

Mit einem Mal ging das in einem so rasanten Tempo, dass wir von den Herbst- bis zu den Weihnachtsferien die letzten drei Bände der Reihe gelesen haben. Eine der schwersten Prüfungen war für mich, Snape nicht verteidigen zu dürfen, wenn meine Kinder ihn leidenschaftlich gehasst haben. Wobei Sohn 1 hierbei irgendwann anmerkte: „Du bist immer so ruhig, Mama, deswegen glaube ich, dass wir irgendwas über Snape nicht wissen.“

Zusammen Geschichten neu entdecken

An Weihnachten begannen wir Tintenherz zu lesen und sind jetzt bei Tintenblut angelangt. Diese Geschichten kenne ich tatsächlich nicht und es ist spannend, sie mit den Kindern das erste Mal zu lesen. Zu merken, wie ähnlich wir auf einiges reagieren und wie unterschiedlich – oder manchmal auch gleich – wir es bewerten.

Mit meinen älteren Kindern zu lesen, ist wie ein generationenübergreifender Leseclub. Bei bereits gelesenen Büchern sogar mehrfach, da ich auch meine eigenen früheren Leseeindrücke im Kopf habe. Gerade im Sprechen über die Geschichten sind wir uns in einer wunderschönen Weise nah und ich erfahre viel über die Innenwelt meiner Kinder.

Ein besonderer Schatz

Vermutlich ist das eine endliche Phase. Mit etwas Glück werden wir uns in ein paar Jahren gegenseitig Bücher empfehlen und ich kann so noch etwas eintauchen in die Welt meiner Kinder. Wir können dann hinterher über unsere Leseeindrücke sprechen und uns erzählen, was wir geliebt oder auch nicht so geliebt haben. In jedem Fall kann ich das lange Vorlesen bis jetzt nur empfehlen. Es ist nicht nur für die Kinder ein besonderer Schatz voll verbindender Momente.