Großer Bruder, kleine Schwester? – „Hauptsache gesund!“

Mutter, zwie Jungen und ein Hund spielen im Wald
Warum zum Geier gratuliert einem keiner zum zweiten kleinen Jungen?
© Pexels/ VisionPic .net

Wie war oder ist das bei euch mit der Kinderplanung? Erst ein Sohn, dann eine Tochter? Oder andersherum: große Schwester, kleiner Bruder? Mehrere Kids? Zwei Mädchen oder zwei Jungen? Unsere Redakteurin Anja jedenfalls machte vor etwa vier Jahren die Erfahrung, dass die Umwelt teilweise richtig unsensibel bis unverschämt reagiert, wenn auf den ersten Sohn der zweite folgt. Hier der Bericht der Zweifach-Jungsmama.

Beim Ersten ist alles noch ganz anders

Ich erinnere mich noch genau daran: Das Geschlecht meines ersten Kindes war jedem Menschen um mich herum schnurzpiepegal, mir selbst und dem Kindspapa übrigens auch. Ich träumte insgeheim so ein kleines bisschen von einem Jungen, weil ich selbst nur mit Schwestern aufgewachsen war. Genauso träumte ich aber auch von einem Mädchen, denn mit Mädels kannte ich mich ja aus. Damals – vor inzwischen über sieben Jahren – führte ich noch ziemlich akribisch einen Schwangerschaftsblog über die üblichen Umstandswehwehchen: die schönsten Momente und Entwicklungen, die heftigsten Emotionen und Vorstellungen und Ängste über die Geburt.

Noch ohne zu wissen, welchen Geschlechts unser Kind ist, lautete der Arbeitstitel für meinen Blog schon „Paule“. Irgendwie habe ich wohl geahnt, dass mir da ein kleiner Junge fröhlich durchs Fruchtwasser paddelt. Wenn man das überhaupt kann; so manch eine hat sich da ja im Lauf der Geschichte von Ahnungen oder „Gefühl“ aufs Glatteis führen lassen …

Und was haben sich alle gefreut, als sich dann bestätigte, dass tatsächlich ein Sohn zu uns kommen würde. Erste Stricksachen in Blau und Weiß und Rot ereilten uns, Spieluhren, Hygieneartikel sowie viele andere sehr erwünschte (und zugegeben: auch sehr unerwünschte) Kleinig- und Großigkeiten. Im Ernst: Es war sogar schon ein Reflektor für den ersten Schulranzen dabei. (Na okay, heute hängt er tatsächlich an der Tasche …) So aufmerksam und lieb waren alle. Ich fühlte mich – im wahrsten Sinne des Wortes – rundherum wohl.

Großer Bruder, kleine Schwester?

Als sich über zwei Jahre nach der ersten Geburt unseres ersten dann unser zweites Kind ankündigte, war mir das Geschlecht tatsächlich schon wieder egal. Ein kleiner Bruder für P.? Mit dem er tüfteln und toben kann? Super. Eine Schwester, die ihm eine ganz andere, ganz neue Perspektive („Mädchenthemen“ eben) eröffnet? Prima. Für mich fühlte sich beides total schön an, für P. hingegen war es sowieso schon entschieden: Es musste ein „Bruda“ her.

Ich freute mich jedenfalls schon mal insgeheim auf die neuen „Aufmerksamkeiten“ der Verwandtschaft in Vorfreude auf unser neues Baby. (Dass Geschenke während der zweiten Schwangerschaft größtenteils ausbleiben, hatte mir vorher irgendwie keiner verraten.)

In meinem Kopf drehte sich aber sowieso alles um ganz andere Themen: Wird uns noch einmal das Glück eines gesunden Kindes zuteil? Werde ich der Zweifachmama-Rolle gewachsen sein? Wie ist das mit der Liebe, verteilt sie sich auch hübsch gleich auf beide Kleinen? Oder werde ich eines der Kinder bevorzugen? Und so weiter. In meinem Kopf drehte sich ein rasantes Gedankenkarussell.

Wieso war das Geschlecht auf einmal wichtig?

Doch zu diesem Zeitpunkt wünschte mir auf einmal schon jeder eine kleine Schwester zum großen Bruder. „Das sieht immer so schön aus, wenn der Große dann die Kleine beschützt.“ (Ja. Und wenn der ältere Bruder den jüngeren umsorgt, sieht das dann doof aus?)
„Dann kannst Du die Erfahrung machen, ein Mädchen großzuziehen, ein Mini-You.“ (Ja wirklich? Ähm. Eigentlich wollte ich doch einfach nur ein zweites Kind und kein zweites, kleines Ich …
„Nach Deinem stürmischen Buben tut Dir ein ruhiges Mädchen sicher gut.“ (Wieso „danach“? Der ist doch dann immer noch da oder? Und wieso „ruhiges Mädchen“? Sind Mädels nie temperamentvoll? Das kenne ich aber anders …) Und so weiter und so fort.

Bei so viel geballter „Lebensweisheit“ wusste ich zuerst gar nicht, wie ich reagieren sollte. Ich war einfach nicht darauf vorbereitet, dass einem jeder ungefragt nach dem ersten Kind ein Baby des anderen Geschlechts wünscht – und ungefragt seine Meinung kundtut.
Ich jedenfalls entschied mich für die Schweigen-und-Lächeln-Methode. Und ehrlich? Ich war ja sowieso sprachlos.

„Jetzt wird es richtig laut“

Als dann feststand, dass Kind Numero zwo tatsächlich „wieder ein Junge“ werden würde, bekam ich vielsagende, fast schon mitleidige Blicke. „Naja, Hauptsache gesund.“ (Äh, und was, wenn nicht … ?) – „Dann versucht ihr es eben ein drittes Mal. Bestimmt wird es dann ein Mädchen.“ (Zwei Kinder reichen mir eigentlich. Aber klar: Wir können natürlich auch so lange „versuchen“, bis Numero drei, vier fünf oder sechs dann ein Mädchen ist.) – „Dann wird es jetzt richtig laut bei euch.“ (Bei uns ist es bereits jetzt laut, weil Kinder nun mal richtig Krach machen können.)

Die Vorteile von Mädchen gegenüber Jungs oder andersherum aufzudröseln, finde ich so richtig, richtig doof. Weil es das für mich nicht gibt. Und schon gar keine Nachteile. Kinder sind Individuen. Und nicht (nur) Mädchen oder Junge.
Du hast ein gesundes, aufgewecktes Kind? Einfach wunderbar. Klug ist es zudem? Ein wahres Geschenk. Schön auch noch! Was für ein herrlicher Bonus. (Klar, alle Eltern finden ihre Kinder schön, so hat es die Natur eben eingefädelt. Geschickt, oder?) So ein Trara, um die Jungens.

Geht es da reinen Mädchenmamas eigentlich ähnlich? Das würde mich wirklich einmal interessieren. Was ich mich bei all dem aber eigentlich frage: Warum zum Geier gratuliert einem keiner zum zweiten kleinen Kerl, der gemeinsam mit seinem großen Bruder Weltraumraketen aus Eierkartons und Stöckchen zusammentüfteln und Dinosaurierbabys aus dem Eis (Tiefkühlfach) befreien wird?