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„Ich stille mein vierjähriges Kind – Na und?“

Mutter mit Kind auf dem Arm
"Langzeitstillen", was ist denn schon dabei?
©pexels/ taryn elliot

In unserem Elterndasein gibt es sie noch immer, diese Themen, bei denen sich die Gemüter spalten, die Geistern scheiden, Kontroversen von vornherein vorprogrammiert sind. Eines davon ist das Stillen – genauer: das „Langzeitstillen“ (über das Säuglingsalter hinaus). Unsere Autorin Anja Polaszewski kann davon ein Liedchen singen: Ihr jüngster Sohn ist fast vier – und sie stillen immer noch. Was, immer noch?

„Mimi“ heißt bei uns die Muttermilch

„Mama, hast Du Honig gegessen?“ K. schaut mich aus großen Kulleraugen an. Ich runzele die Stirn. Was meint der kleine Kerl? Er erahnt mein Fragen: „Lecker. Die Mimi schmeckt heute nach Honigmilch!“ Ich lache laut auf. Ja, es stimmt, ich habe vorhin einen Teelöffel genascht. Das kann er schmecken …? Ich bin immer noch und immer wieder fasziniert.

K. wird Mitte August vier Jahre alt – und ja, wir stillen noch. Manche werden jetzt denken: Schön, das finde ich toll. Der eine oder die andere wird jetzt aber virtuell die Hände über dem Kopf zusammenschlagen oder sich sogar ein bisschen ekeln.

Warum ist Langzeitstillen so verpönt?

Warum zum Geier „muss man ein Kind in diesem Alter noch stillen?“ Zum ersten Mal wurde mir diese Frage gestellt, als K. noch nicht einmal eineinhalb Jahre alt war. Jemand aus der Familie war schier fassungslos, als er das zufällig mitbekam. („Hast Du ein Problem mit der Abnabelung?“)
Und einmal – K. war noch nicht einmal zwei Jahre alt – war es ein Ehepaar auf einer Spielplatz-Parkbank in Sassnitz auf Rügen. Er: „Boah, die stillt das Kind noch!“ – Sie: „Echt … krass!“
Ernährungsbedingt ist es nicht notwendig, einem Kind, das über achtzehn Monate alt ist, noch die Brust zu geben; so sagt es zumindest die Pädiaterwelt. Wir beide – K. und ich – finden es aber prima. Doch dazu später.

 

Öffentliches Stillen ist unangenehmen geworden

Inzwischen stillen wir nicht mehr öffentlich – ganz einfach, weil es mir weh tut, wenn uns jemand dermaßen entsetzt an- beziehungsweise zuschaut. Nicht direkt mir persönlich tut es weh, es tut mir um meinen Sohn weh: Er liebt seine „Mimi“ und das Kuscheln, das dazu gehört. Seine Mama, die Nähe, der Trost, das zeitweilige „Einssein“ mit seiner Mutter – auch, wenn er natürlich längst weiß, dass er eine eigenständige Person ist, die sich mit einem immensen Selbstbewusstsein durchs Leben spielt und trotzt … Aber: Warum nennt er die Brust eigentlich Mimi?

Codewort für das Stillen

Als K. in das Alter kam, in dem er sprechen lernte, brauchten wir aus oben genannten Gründen eine Art „Codewort“ für das Stillen. „Mimi“ schien mir dafür am geeignetsten.

Zum Fachlichen: Laut der WHO, der World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation), liegt das natürliche Abstillalter eines Kindes weltweit zwischen etwa zwei und sieben Jahren. Das weiß hierzulande aber kaum jemand – Eltern vertrauen oft noch dem Rat wirklich inkompetenter Hebammen oder unerfahrener Familienmitglieder und Freunden. Bei meinem ersten Kind habe auch ich mich da noch ziemlich verunsichern lassen, jetzt vertraue ich nur noch auf meine Intuition, die WHO und die „La Leche Liga“, die sich das Stillen auf die Fahnen geschrieben hat.

Was ist eigentlich schon normal?

Noch immer gilt das Langzeitstillen auch hierzulande leider als „anstößig“ oder aber als „nicht normal“. Dennoch: „Normalität ist nun einmal zu einem guten Teil das Resultat einer kulturellen Konsensbildung. Je nach Gesellschaft, in der Menschen leben, empfinden sie es als normal, ein Kind nur vier Wochen lang oder aber vier Jahre zu stillen“, schreibt der Kinderarzt Herbert Renz-Polster in seinem Buch „Kinder verstehen. Born to be wild – wie die Evolution unsere Kinder prägt.“ Und: Gesellschaft hin oder her: Babys werden erst in die Welt hineingeboren und Kleinkinder müssen sich in sie hineinfinden.

Zum Stillen gehören immer Zwei

K. und ich jedenfalls müssen uns jetzt Sätze wie „Du kannst nicht loslassen“, „So wird er nie selbständig“ oder „Dein Mann wird das nicht ewig hinnehmen“ nicht mehr anhören. Wir werden stillen, solange wir beide es eben noch wollen. Es kann sein, dass ich nächsten Monat keine Lust mehr habe, vielleicht aber auch erst in einem Jahr. Oder aber er hat keine Lust mehr. Zum Stillen gehören nun einmal zwei, und ich finde es wunderbar, dass wir uns da einig sind. 😊 Die Tage des Stillens sind doch von Anfang an so oder so gezählt – und rückblickend werden es wenige gewesen sein …

„Mama, ich bin fertig. Darf ich jetzt eine richtige Honigmilch?“ Ich lache wieder – und gehe mit K. zum Kühlschrank.

Auch Mutter Greta vertritt eine ziemlich kontroverse Meinung, was Stillen angeht.

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