Einmal glücklich und ruhig, bitte!
Es gibt diese Momente im Alltag, wenn meine Kinder meckern und ich es nicht mehr hören kann. Sie beschweren sich über die Schwere der Schultasche, die Länge der Wege, die Ungerechtigkeit bei der Verteilung von AGs in der Schule, das falsche Essen und generell über den „Service“ zu Hause. Auch wenn ich theoretisch weiß, dass all das eine Funktion hat, kann ich es je nach Nervenkostüm nicht immer gut aushalten. Weil ich sie bitte jetzt gerne glücklich und ruhig hätte. Bitte danke jetzt sofort.
Beim Lesen von dem interessanten Buch der britischen Psychologin Philippa Perry „Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen“ wurde diese Reaktion auf Unmut der Kinder als „das Kind glücklich schimpfen“ bezeichnet. Wir Eltern sind überfordert von den negativen Emotionen unseres Kindes und blocken sie ab. Das Kind soll einsehen, dass es ihm eigentlich sehr gut geht. Dass es nun wirklich kein Recht auf schlechte Laune hat.
Manchmal geht es auch tiefer, wenn unser Kind sehr unglücklich in einer Situation ist und wir das schwer aushalten können. Auch hier können Eltern mit Tipps, Aktionismus und teils unwirsch reagieren, damit das Kind endlich wieder zum Sonnenschein mutiert.
Was bedeutet „glücklich schimpfen“?
Glücklich schimpfen bedeutet, in einem Reflex negativen Gefühlen des eigenen Kindes sofort die Berechtigung abzusprechen. Das kann in unterschiedlicher Weise geschehen, beispielsweise moralisch: „Andere Kinder haben nichts zu essen und du beschwerst dich über dieses Essen?“ oder indem wir einen Frustwettkampf mit unserem Kind starten „Ich bin auch müde/ habe keine Lust/ finde auch vieles doof …“ sowie, wenn wir die Gefühle unseres Kindes negieren: „So schlimm ist das gar nicht.“ Egal, welchen Weg wir Eltern hier wählen, die unschönen Gefühle beim Kind sollen verschwinden. Wir motzen unser Kind an, damit es gefälligst sofort wieder glücklich ist.
Wenn man das so liest, hört es sich natürlich lächerlich an. Kein Mensch glaubt ernsthaft, dass er mit Schimpfen die Laune eines anderen Menschen positiv beeinflussen könnte. Und doch passiert das den besten Eltern in Phasen mit vielen Herausforderungen. Dieses Verhalten ist auch keineswegs bösartig oder ein Zeichen für schlechte und wenig liebevolle Eltern.
Warum schimpfen wir unsere Kinder glücklich?
Dieser Reflex passiert, weil wir uns unsere Kinder glücklich wünschen und das am liebsten jederzeit. Umso mehr Druck wir uns an dieser Stelle machen, desto schwerer ist es auszuhalten, wenn das Kind manchmal einfach nicht ganz glücklich ist. Weil es das Essen nicht mag. Ihm beim Laternelaufen kalt ist oder es beim Kindergartenfest hinfällt. Wer vorher eine Stunde in der Küche gestanden hat und zuvor mit sorgfältiger Planung versucht hat, jedes Drama am Küchentisch zu vermeiden, kann das Gemecker des Kindes nicht so gut weg atmen. Wer zwei Minusstunden und eine Nachtschicht auf sich nimmt, um beim Laternelaufen oder Kindergartenfest dabei zu sein, möchte, dass es ein rundum schönes Event ist. (Klar, kann das Kind für diesen erwachsenen Orga-Kram nichts und muss das auch nicht wissen. Aber wer ist da schon in jeder Situation vollständig reflektiert? Und warum muss sich eigentlich Mama immer alles merken?)
Was geschieht mit uns, wenn unsere Kinder unglücklich sind?
Wir Eltern sind unsicher, ob wir an dieser riesigen Aufgabe des Elternseins scheitern. Oft suchen wir nach einer Bestätigung, dass wir das alles richtig machen. Ein glückliches Kind bestätigt scheinbar unsere Bemühungen – wir haben alles richtig gemacht. Während ein unzufriedenes oder unglückliches Kind offensichtlich zeigt, dass bei uns etwas nicht so gut läuft.
Das sorgt für Stress bei uns Eltern, weil wir Emotionen werten. Es gibt die guten Gefühle: Freude, Glück oder Liebe. Dann gibt es die schlechten Gefühle: Wut, Angst, Langeweile, Trauer oder auch Hass. Und die möchten wir bei unseren Kindern verhindern. Unserem Kind soll, nein muss es immer gut gehen. Natürlich ist das absurd und wer selbst über etwas Lebenserfahrung verfügt, weiß natürlich, dass das Leben so nicht läuft. Mit dem Schimpfen grenzen wir uns von den negativen Gefühlen ab. Anstatt uns damit auseinanderzusetzen, wollen wir sie mit Nachdruck ausschalten.
Emotionen werten
Vielleicht haben wir als Kinder gelernt, dass es einige Gefühle gibt, die schöner sind als andere und übernehmen das jetzt als Eltern. Möglicherweise können wir mit einigen Gefühlen auch nicht gut umgehen. Viele Erwachsene glauben, dass sich Gefühle managen lassen, was in vielen Situationen auch so ist. Und natürlich ist es wichtig, dass wir lernen mit Frust, Langeweile und Wut umzugehen. Das lernen aber weder wir noch unsere Kinder, indem wir den Gefühlen ihre Berechtigung absprechen. Gefühle müssen gelebt und ausgehalten werden.
Wer seine Wut und Trauer permanent runterschluckt, hat irgendwann ein großes Problem (und vermutlich seine Umwelt auch, wenn all das eines schönen Tages an die Oberfläche kommt). Der Umgang mit Emotionen beginnt bei sich. Wer als Eltern im eigenen Alltag die Gefühle wegdrückt, wird auch bei den eigenen Kindern schwerlich einen anderen Umgang hinbekommen.
Gefühle sind komplex
Emotionen sind nicht da, um uns zu gefallen – weder bei uns selbst noch bei anderen. Sie zeigen uns manchmal unsere Grenzen oder dass wir etwas ändern müssen. Es ist eine riesige Aufgabe, sie in ihrer Komplexität anzunehmen und nicht zu werten. Mit reflexartigen Schimpfen und Beschämen wird das weder bei uns noch bei unseren Kindern funktionieren. Manchmal haben kleine und große Menschen schlechte Laune, sind unglücklich in einer Situation, traurig oder motzig. Davon geht die Welt nicht unter, wenn wir dann jedoch den notwendigen Raum bekommen, uns zugehört wird oder wir vielleicht in den Arm genommen werden, fühlt sich die Welt oft direkt wieder schöner an.