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Kinder und Trauer: „Es zieht und drückt am Herzen“

Kind sitzt traurig an der Wand
Wie können wir den ersten Verlust verarbeiten?
© Luke / Pennystan

Für viele gehört das Haustier fest zur Familie dazu, so auch bei Mama Saskia. Als der geliebte Kater eingeschläfert werden muss, heißt das für die Kinder den ersten Verlust zu verarbeiten und das machen alle vier ganz unterschiedlich.

Trauer hat auch kein Haltbarkeitsdatum

Trauer wird bei uns oft eher als eine Krankheit gesehen. Sie gilt behandelt zu werden und sollte unbedingt vermieden werden. Zudem scheint sie ansteckend zu sein. Ich denke jedoch, wir können Trauer in unserem Leben nicht vermeiden. Irgendwann trifft sie uns in der einen oder anderen Form. Leben ist endlich und wir Menschen sind verletzlich. Es ist wichtig, dass Kinder dies verstehen und ihre Verletzlichkeit als etwas Menschliches akzeptieren. Trauer hat auch kein Haltbarkeitsdatum und irgendwann muss damit einfach gut sein. Sie kann immer mal wieder kommen und uns treffen.

Bevor ich Kinder hatte, habe ich einen kleinen Kater aus dem Tierheim aufgenommen. Ursprünglich sollte er eine Katze sein, daher nannte ich ihn Emma. Allerdings entwickelte Emma irgendwann sehr ausgeprägte Schamlippen und war wohl doch eher ein Kater. Da er als Freigänger kastriert wurde (und es ihm sowieso nichts ausmachte), blieben wir jedoch bei Emma oder Emmi. Emma hat jeden Umzug mitgemacht und war zufrieden, bis die Kinder kamen. Irgendwann arrangierte er sich mehr oder weniger mit der neuen Lebenssituation. Aber bei jedem neuen Baby schaute er mich an, mit der Frage in seinen grünen Augen: „Ist das dein Ernst? WIR hatten ein gutes und ruhiges Leben.“

„Er stirbt bald“

Die Tierärztin, die bei ihm mit zwei Jahren ein Nierenproblem feststellte, sagte mir, ich solle mich darauf vorbereiten, dass er nicht zweistellig werden würde. Und umso mehr sich die 10 näherte, desto mehr bereitete ich die Kinder und mich auf das nahende Ableben des Katers vor. Gerade bei den jüngeren Kindern gehörte zur Vorstellung des Katers: „Das ist unser Kater Emma, aber er stirbt bald.“ (Ja, ich habe danach überlegt, ob ich eventuell die Krankheit zu sehr in den Vordergrund stelle.)
Der Kater allerdings baute immer über den Winter ab, um im Frühjahr mit großer Abenteuerlust nach draußen zu verschwinden. Jedoch bedeutete nach draußen in den letzten drei Jahren nur noch unter die Büsche am Haus zu gehen und dort mit der Sonne über das Grundstück zu wandeln.

Einschläfern

All diese Vorbereitung hat am Ende nur bedingt etwas gebracht. Denn im letzten Frühjahr war es mit fast 14 Jahren so weit: Emmi schaffte es nicht mehr zu springen und wollte nichts mehr fressen. Zusätzlich zeigte sich eine Beule im Leistenbereich. Ich sprach mit den Kindern darüber, dass ich mit ihm zur Ärztin gehe, aber konkreter benannte ich es in dem Moment nicht. Die Tierärztin sprach von einem Leistenbruch, der sich natürlich operieren ließe. Aber ohne Garantie, ob er die OP überstehen würde, weil er bereits so schwach und dünn war. Und so traf ich die Entscheidung, dass er einschlafen durfte. Kein Quälen mehr, weil man diese Entscheidung bei Tieren treffen darf und ich bei meinem ehemals 4,5 Kilo Kater schlucken musste, als die Waage gerade einmal knapp 3 Kilo anzeigte. Es war Zeit, ihn gehen zu lassen. Bereits nach der ersten Spritze hörte er auf zu atmen und ich habe Rotz und Wasser geheult.

Da es noch in der Coronaphase war, hatte sich nicht die Frage gestellt, ob die Kinder mit dabei sein wollten. Hätte ich sonst überlegt, ob es gemeinsam besser gewesen wäre? Ich weiß es nicht. Sein Einschläfern war für mich eine schwierige Entscheidung, die ich auch nicht auf den nächsten oder übernächsten Tag aufschieben wollte, wenn er Schmerzen hatte. Und trotz meiner langen Vorbereitungszeit war ich von der Plötzlichkeit überrascht: Ich wusste nicht, was richtig und was pädagogisch sinnvoll für meine Kinder war und war auch mit meinen eigenen Gefühlen überfordert. Mein Kater war – bei allem Pinkelärger und sonstigen Katzendrolligkeiten – überall mithingezogen, hatte neben mir geschlafen, geschnurrt und mich zärtlich geputzt.

„Kommt zurück“

Die Reaktionen bei den Kindern waren sehr verschieden. Meine beiden Söhne waren abgeklärt – der alte Kater war für beide aber auch weder Kuschel- noch Spielpartner gewesen. Er war eben einfach da. Die kleinste Tochter sagte mit ihren zwei Jahren immer wieder: „Kommt zurück.“, weil sie es ja auch kannte, dass er weg war. Ob dabei im Haus, in einem seiner Verstecke oder irgendwo draußen – der Kater war mit den Kindern nicht so gesellig. Tot schien schlicht ein anderes Wort für weg zu sein und dementsprechend war die Erfahrung: Wer weggeht, kommt zurück.

Am härtesten traf es ihre ältere Schwester, die fast fünf Jahre alt war. Als wir aus dem Kindergarten zu Hause waren und ich ihr erklärt habe, dass Emmi tot ist, hat sie nur noch geweint. Einige Tage war es sehr schlimm mit dem plötzlichen Weinen und noch immer spricht sie von Emma. Sie war allerdings auch das einzige Kind, was sich in jedem Versteck zu ihm legen durfte. Obwohl sie eher wild ist, war sie bei diesem Tier sehr sanft und vorsichtig. Unser Hund, der zu dem Zeitpunkt gerade ein Jahr alt war, hat ein halbes Jahr nicht mehr in seinem Hundekörbchen geschlafen, da sie hier gemeinsam geschlafen haben.

„Es zieht und drückt am Herzen“

Heute wird Kater Emma noch in Geschichten eingebunden und sein Name fällt regelmäßig. Auf Bildern der Familie wurde Emma lange noch mitgemalt und erscheint auch jetzt noch auf ihnen, weil er doch dazu gehört. In den letzten Sommerferien haben wir irgendwann am Abend noch einmal über den Tod gesprochen. „Glaubst du, dass Tote im Nichts verschwinden, Mama?“, hat meine Tochter traurig gefragt. „Ich glaube, dass niemand im Nichts verschwindet, solange wir von ihm sprechen und uns an ihn erinnern.“ Auch wenn das manchmal „am Herz zieht und drückt“, wie meine Tochter es ausdrückt.

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