Höher – schneller – weiter
Als zweites Kind ist es nicht immer ganz so einfach, glaube ich. Kaum hat man irgendwie begriffen, dass man ein eigenständiges Wesen ist, stellt man auch schon fest, dass der erstgeborene Knirps nicht nur ein ganzes Stück größer ist, sondern auch betont souverän durchs Leben schreitet – während man selbst es noch nicht einmal schafft, halbwegs stabil zu sitzen. Dass das für Unmut sorgt, scheint nachvollziehbar. Hat man dann endlich aufgeholt und ist stolz wie Oskar, muss man mit Entsetzen feststellen, dass der blutsverwandte Konkurrent schon wieder zwei Schritte voraus ist…
„Höher – schneller – weiter“ mag ja ein tolles Motto sein, aber auch nur dann, wenn man selbst nicht unbedingt derjenige ist, der sich ständig mit „niedriger – langsamer – gar nicht weit“ zufriedengeben muss. Töchterchen war also die ersten Lebensjahre zu Recht frustriert! Fahrradfahren, Schwimmen, Klettern, Uno spielen – gefühlt überall war ihr der Bruder eine Nasenlänge voraus. Noch dazu hat der Kerl selten einen Hehl daraus gemacht, wie großartig er sich findet. Da waren Tränen und Wutausbrüche vorprogrammiert! Und der Haussegen? Der hing öfter mal verdächtig schief!
Zugegeben, auch der Erstgeborene hatte es anfangs nicht leicht. Da stand die Eifersucht auf das neue Baby an erster Stelle.
Dabei haben wir wohl noch Glück gehabt. Ich habe mir sagen lassen, bei gleichgeschlechtlichen Geschwisterpaaren ist es noch viel schlimmer. Nun, nachdem ich einen Jungen und ein Mädchen habe, werde ich das in diesem Leben wohl nicht mehr herausfinden. Schlimmer geht es vermutlich immer, aber ehrlich gesagt, finde ich es bei uns schon teilweise hart an der Grenze.
: Die kindliche Wut
Von Sinn und Unsinn von Vergleichen
Was macht man also als pädagogisch wertvoller Elternteil? Genau, man vermittelt seinem Nachwuchs, dass Vergleiche und Konkurrenzdenken in manchen Fällen einfach sinnlos sind! Der Standardsatz, für den mich Töchterchen vermutlich immer noch hasst, war in diesen Zeiten:
„Du bist eben anderthalb Jahre jünger. In deinem Alter hat der das doch auch noch nicht gekonnt!“
Hilft dem Kind, das gerade JETZT Kummer wegen seines gefühlten Unvermögens hat, eben leider nicht weiter – so viel ist mir mittlerweile klar. Vor allem, weil sie früher oder später sowieso kommen: Neidfallen, die sich nicht mehr schönreden lassen! Gute Noten bei wenig Anstrengung, ein Maltalent oder die Fähigkeit, jedes Legoset in Sekundenschnelle zu kapieren zum Beispiel.
Spätestens dann steht sie unweigerlich an: Die Konfrontation mit der Tatsache, dass andere manche Dinge eben einfach besser können, egal wie sehr man sich anstrengt! Die ersten Menschen, die einem diesen Spiegel vorhalten und das Konkurrenzdenken entfachen, sind nun einmal die eigenen Geschwister, wenn man welche hat.
Ein bisschen Konkurrenz darf sein
An dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich das Vergleichen und Konkurrieren innerhalb geschützter Familienbande eigentlich gar nicht so schlecht finde, wenn ich ehrlich bin. Einerseits gewinnt man so einen ersten Eindruck über die eigenen Stärken und Schwächen, andererseits lernt man, auch mit Gefühlen wie Stolz, Triumph, Neid, Trauer oder Missgunst umzugehen. Die gehören schließlich zum Leben dazu, das lässt sich nicht wegdiskutieren.
Alle naturgegebenen motorischen „Defizite“ hat Töchterchen übrigens aufgeholt und steht ihrem Bruder beim Schwimmen, Radfahren oder Klettern heute in nichts mehr nach. Ansonsten haben sich die beiden die Gebiete, in denen sie glänzen können, recht gut untereinander aufgeteilt. Während Söhnchen analytisch und wortgewandt durch das Leben schreitet, punktet Töchterchen mit Kreativität und Empathie. Während er noch philosophiert, packt sie schon längst an und wo er mit einer Engelsgeduld gesegnet ist, sprüht sie vor Temperament.
Sie haben also ihren Platz gefunden, was viel Dynamik herausnimmt. Bleibt also noch genügend Energie übrig, um über die wirklich wichtigen Dinge im Leben Vergleiche anzustellen:
Wer bekommt mehr Süßes, warum ist das Taschengeld so ungleich verteilt und wer muss zuerst ins Bett?
Man sieht also: So ganz hört das mit den Vergleichen eben nie auf!