„Hast Du ein Lieblingskind?“
Vormittags, 10:30 Uhr. Ich sitze mit meiner Freundin C. in einem Café in der Stadt. Wir unterhalten uns über Neuigkeiten, unsere Jobs, Partner, die Kinder – und was zurzeit so alles los ist im heimischen Alltag, in der Schule, bei den Freizeitaktivitäten. Sie hat eine zehnjährige Tochter, ich habe zwei Söhne im Alter von knapp sieben und fast zehn. Manchmal fragt mich meine Freundin, wie das Mama-Leben denn so sei mit mehreren Kindern, und meist habe ich prompt eine passende Antwort. Doch heute fragt C. ganz direkt und unverblümt: „Mal ehrlich: Hast Du eigentlich ein Lieblingskind?“
„Ja, ich habe ein Lieblingskind“
Boah. Puh … fies. Und doch lautet meine Antwort nach einigem Zögern: Ja, ich habe ein Kind, das ich intensiver liebe als das andere. Welches das ist? Dazu komme ich später, denn ich muss ein bisschen ausholen. Also: Laut einer Studie der New Yorker Cornell University bevorzugt die Mehrheit der Mütter und der Väter (damals waren es immerhin über 65 Prozent) eines ihrer Kinder: Das las ich irgendwann einmal – zu diesem Zeitpunkt noch kinderlos – und fand das un-säg-lich. Man liebt doch seine Kinder alle gleich! Wo gibt es denn sowas, dass man eines „mehr liebt“ und das andere weniger!? Dachte ich damals – bis ich dann selbst mehrfache Mama wurde.
„Und manchmal ist es auch das andere Kind …“
Und nun sitze ich hier und muss meiner Freundin verklickern, dass ich meinen jüngeren Sohn K. „bevorzuge“. Ihre Augen weiten sich zwar. Wie immer hat sie aber Verständnis mit mir und kann es sich „gut vorstellen“. Ich berichte ihr davon, wie süß K. zurzeit ist, wie toll er schon lesen kann, wie sehr er sich für die Natur begeistert …
Und dann zwinge ich mich aber, auch an K.s „garstige“ Seiten zu denken: das Störrische und „Beharrliche“ (jaja, er hat einen starken Willen), wie „pflegeintensiv“ er als Baby bereits war, wenn er gefühlt dauernd an meiner Brust hing, tagsüber fast nur in meinen Armen schlafen konnte – und dann erst die Nächte mit dem andauernden Zahnen! (Alles normal, I know.) „Es ist temporär“, höre ich mich plötzlich zu C. sagen, „ein andermal habe ich auch P. lieber.“
„Da kommt er ganz nach mir“
Jetzt zieht meine Freundin die Augenbraue hoch. Ein riesiges „Hä?“ steht ihr ins Gesicht geschrieben. Und ich erkläre: Wenn P. am Klavier sitzt und etwas improvisiert, wenn seine langen, braunen Locken ihm mal wieder so tief im Gesicht hängen, dass ich seine Augen mit den schwungvollen, dichten Wimpern nicht mehr sehen kann. Wenn er sich an mich kuschelt oder ich sehe, wie er einen Arm um die Schultern eines Kumpels legt … Dann bin ich gerührt, dann liebe ich ihn gerade am meisten auf der ganzen Welt. Und kann sagen: Er kommt in diesen Bereichen nach mir. Und da liegt meiner Meinung auch schon der Grund für derartige Bevorzugungen.
Besonders „angetan“ vom „Gleich und gleich“
Wir sind egoistische Wesen – ja, in der Regel auch sehr soziale –, sehen gern Gemeinsamkeiten zu anderen Menschen (klar, Gegensätze können ebenso faszinierend, aber auch unangenehm sein – genau wie Ähnlichkeiten übrigens). Ob es nun positive oder eher negative Charaktereigenschaften oder Situationen sind: Wir sympathisieren mit Menschen, die uns ähneln. Mit Müttern oder Vätern, die ähnlich denken, ähnlich eingestellt und ähnlich eingespannt sind wie wir, sich auch mal so richtig von ihren Kindern genervt fühlen und so weiter. Schwestern im Geiste, Verbrüderung.
Genauso verhält es sich auch mit der Bindung zu unseren Kindern, denke ich. Und mit dieser Beobachtung stehe ich nicht allein da: Wissenschaftsjournalist J. Kluger bestätigt mir das, indem er sagt: Wir Eltern sind von einem Kind besonders angetan, wenn wir eigene Züge in ihm entdecken oder wiedererkennen.
Das Beste geben – und lieben
Was soll es, und was bringt diese Erkenntnis? Manchmal fühlen wir uns eben einem unserer Kinder näher, manchmal dem anderen.
Und wenn es dauerhaft das eine ist, fragst Du? Dann ist auch das eben so. Können wir das wirklich ändern? Können wir wider unserer Natur handeln? Sie ist einfach stärker.
Aber akzeptieren können wir und – wie immer – unsere Kiddies einfach lieben und in der „Erziehung“ unser Bestes geben.
Und ich glaube immer noch ganz felsenfest: Unsere Kinder haben sehr feine Antennen, sie erfühlen und bemerken sehr viel von dem, was wir gerade denken oder empfinden – aber eben auch nicht alles.