Eine Stunde meine Ruhe
Ab der Pubertät stand ich gerne eine Stunde früher auf, damit ich am Morgen meine Ruhe hatte. Diese Angewohnheit habe ich bis heute beibehalten. Früh aufzustehen, macht mir nichts aus, solange ich nicht sprechen muss. Meine Tage laufen anders, wenn ich noch nicht richtig wach bin und es losgeht mit: „Mama, ich brauche …“, „Mama, kannst du …“ oder einfach einem durchdringenden „Maaaaaammaaaa.“.
Anlaufzeit
Am Morgen brauche ich eine gute Stunde oder auch zwei, bis ich wirklich gesellschaftsfähig bin. Ich möchte mich nach dem Aufstehen nicht direkt unterhalten. In einer großen Familie kann dieses Bedürfnis zu einem Problem werden. Leider leben wir auch nicht in einem riesigen Haus, in welchem wir uns in den unterschiedlichen Flügeln aus dem Weg gehen könnten. Da muss die eigene Ruhe manchmal hart verteidigt werden.
Sohn 2 kommt hier nach mir und möchte am Morgen auch lieber ohne Gespräche frühstücken. Wir sind gut kompatibel, da er sich gewöhnlich einfach auf seinen Platz setzt und wir uns schweigend sortieren.
Sohn 1 ist mittlerweile ebenso eher schweigsam am Morgen, nachdem er längere Zeit ein adäquater Ersatz für ein Radio gewesen ist. Tochter 1 und 2 sind noch immer eher plapperig, wenn sie am Morgen aufstehen. Oder kreischig, wenn der Start in den Morgen nicht nach ihren Vorstellungen gelaufen ist. Während ich also eine Zeit brauche, um in den Tag hineinzufinden, sind Tochter 1 und 2 einfach sofort da. Und sie bringen zu jeder Uhrzeit alle ihre Töne und Frequenzen mit.
Im Gepäck haben sie ihre Fragen und Anliegen. Damit ich auf all das eingehen kann, brauche ich schlicht eine stille Runde an der frischen Luft mit dem Hund, einen Moment allein im Bad und einen schweigenden Kaffee am Tisch. Danach bin ich bereit für den Tanz im Alltagsring. Fehlt mir diese Vorbereitung, kann es schwierig sein für alle Beteiligten.
Wieviel Laune zeige ich?
In stressigen Phasen hakt es daher bei uns am meisten am Morgen. Plötzlich stehen alle früh auf und melden ihre sehr unterschiedlichen Bedürfnisse an (nach Unterhaltung, Ruhe und dem Gesehenwerden). Wenn ich selbst noch nicht auf der Höhe bin, bin ich bedauerlicherweise wenig diplomatisch und empathisch.
„Ich trinke jetzt erst meinen Kaffee.“, lautet der wohl in diesen Phasen am häufigsten gesprochene Satz vor sieben Uhr. So zwei Wochen vor den Ferien oder in den Endphasen größerer Arbeitsprojekte von mir wird dieser Satz häufiger.
Meine Nerven sind in diesen Zeiten runter und ich kann nicht mit sprechenden Milchkartons die Laune anheben oder mit kleinen Kniffen die Launen der Kinder in andere Bahnen lenken. Wenn ich die restliche Zeit des Tages meine Kinder mittlerweile gewöhnlich gekonnt durch ihre eigenen Launen begleite, kann ich das am Morgen noch nicht.
Krieg der Blicke
In dieser schlechten Grundstimmung kann es zu einem regelrechten Krieg zwischen den Kindern kommen. Sohn 2 kommt manchen Morgen nach unten, hat auf irgendwas an seinem Tag keine besondere Lust und daher schlechte Laune. Und dann geht es los.
Tochter 1 – die ihm schräg gegenübersitzt – guckt ihn an. „Du sollst mich nicht immer so angucken“, kommt von ihm. Tochter 1 – selbst noch nicht ganz wach – streckt ihm die Zunge raus und guckt extra übertrieben zu ihm.
Ich versuche zu vermitteln – je nach Kaffeestand eloquenter oder weniger eloquent. Mein Vermittlungsversuch scheitert in der Hälfte der Fälle und sie provozieren sich fröhlich weiter. Mit besonders viel Glück mischt sich noch Sohn 1 ein, der in seiner vorpubertären Stimmung sowieso von Tochter 1 genervt ist und sich dementsprechend mit Sohn 2 verbündet.
Jetzt beginnt entweder Tochter 1 zu weinen oder Tochter 2 zeigt sich solidarisch mit ihr und sagt etwas wie: „Jungs sind sowieso alles nur Dummrocker.“ (Sie erfindet gerne eigene Schimpfwörter.) Das findet dann Tochter 1 witzig und ruft nur noch Dummrocker. (Zu meinem Kaffee bräuchte ich dann eigentlich noch Oropax.)
So weit entwickelt sich die Situation nur, wenn ich zwischendrin den Raum verlasse, weil ich auf Toilette gehe oder etwas holen muss. Sonst beruhigen sich die Gemüter schneller wieder. Oder sie sind zumindest leise. Oder ich schicke früher zum Zähneputzen oder Sachen im Flur packen, um den Blickkontakt zu beenden. Aber ich bin auch schweißgebadet und gestresst, weil ich am Morgen dünnhäutiger bin.
Das gilt übrigens nicht nur für unsere Rasselbande. Wie stressig der Morgen mit zwei Kindern sein kann, berichtet Papa Markus hier.
Schlechte Laune an anderen auslassen
Es ist eine schlechte – und lediglich bei Kindern verzeihliche – Angewohnheit, die eigene Laune an anderen Menschen auszulassen. Natürlich passiert das beim Zusammenleben ab und an. Manchmal weiß man auch nicht, was gerade los ist und kommt sich selbst erst nach einigem Nachdenken auf die Schliche. Dieses Auf-die-Schliche-Kommen will allerdings geübt werden. Denn nichts ist schrecklicher als erwachsene Menschen, die ihr Umfeld terrorisieren, weil sie gerade mit dem eigenen Stress nicht umgehen können, und dieses Verhalten bei sich nicht verstehen. Weil sie vor einer Situation Angst haben und sich dadurch mit sich nicht wohlfühlen und deswegen eine andere Person anmachen.
Hier bin ich bemüht, mit gutem Beispiel voranzugehen und niemanden zu terrorisieren (auch wenn das meine Kinder mitunter sicher anders sehen, wenn ich Situationen in großer Detailtreue nachbespreche). Sollte ich in einer Situation doch einmal patzig sein oder laut werden, entschuldige ich mich hinterher und erkläre den Kindern, woran es gelegen hat. Sie sollen wissen, dass sie nicht für meine Launen und Stimmungen verantwortlich sind. Es ist das, was ich mir gewünscht hätte. Aber einfach ist das nicht immer. Und am wenigsten vor sieben Uhr und ohne Kaffee.