Immer funktionieren? Ein Plädoyer für mehr ehrliche Eltern

Mutter liegt mit dem Kopf auf dem Tisch
© Pexels / Valeria Ushakova

Mama Saskia ist genervt von den Eltern, bei denen angeblich immer alles perfekt läuft. Früher hat es sie unter Druck gesetzt, heute tun diese Leute ihr leid. Sie fordert: Bitte ehrlich sein und nicht immer funktionieren!

Gar nicht so bezaubernd

Bevor ich Kinder hatte, war ich überzeugt davon, Stress zu kennen. Was es jedoch bedeutet, immer funktionieren zu müssen, merkt man erst, wenn man selbst Fieber hat, das Baby ebenso und das ältere Kleinkind bespaßt werden möchte.

Als ich mit Kind 1 in der ersten (und einzigen) Krabbelgruppe war, ging die Eltern-Show los. Ich weiß noch, dass ich manches Mal kaum meine Augen offenhalten konnte und umgeben war von diesen perfekten Müttern. Gut angezogen, sauber und ganz bezaubert von ihrem Baby unterhielten sie sich über PekiP, Rückbildung und Biobrei. – Ich war nicht immer bezaubert von meinem Baby.

Oft genug fühlte ich mich müde wie ein Stein. Vielleicht habe ich zu wenig nachgefragt, denn der erste Eindruck muss ja nicht zwangsläufig stimmen. Aber die Fassaden saßen bei den anderen so perfekt und mein eigener Freundeskreis hatte noch keine Babys.

Wie ist es bei dir?

Während in der ersten Zeit noch vereinzelt im Familienkreis nachgefragt wurde, wie es mir denn ginge, ließen diese Fragen nach. Teilweise wird sich ausschließlich nach den Kindern erkundigt (was mir lieber ist als eine aufgesetzte Höflichkeitsfrage). Denke ich zurück, landeten auch die Nachfragen nach meinem Wohlbefinden beim Wohlbefinden der Kinder, weil das in der ersten Zeit so eng verknüpft ist.

Aber wenn das aufhört, fragen die meisten Menschen einen gar nicht mehr, wie es einem geht. Es ist dann eher „Wie es bei euch so?“ oder „Wie läuft es mit den Kindern?“ „Geht es den Kindern gut?“, „Was machen die Kleinen?“ oder – ganz witzig – „Wachsen die Kleinen genug?“

: Ich kann es nicht mehr hören

„Nice to have“

Auf einer Hochzeit mit unserem fast neugeborenen dritten Kind kam ich in die Verlegenheit eines Small Talks mit dem Bruder des Bräutigams, der gerade erfolglos auf der Suche nach einer Immobilie war und offensichtlich versuchte, sich fortzupflanzen. Bei ihm war alles von uns schlicht „nice to have“. Meine ehrliche Antwort auf seine Kommentare wären gewesen:

„Meine Brustwarzen schmerzen, ich erkenne mich nicht im Spiegel und die Jungs streiten sich so heftig, dass ich denke, ich habe an allen Stellen vollständig versagt. Meistens komme ich aber nicht einmal zu diesem Gedanken, weil ich einfach so müde bin, dass Narkolepsie nur einen Augenschlag weit entfernt scheint.“

Aber das sprengt möglicherweise den Small Talk-Rahmen am Tortenbuffet einer Hochzeit. Gut ein Jahr später konnte er sowohl hinter die Immobilienpläne als auch hinter die Frage nach der Fortpflanzung ein Häkchen machen. (Nach einem reinen nice to have, sah sein Gesichtsausdruck übrigens nicht mehr aus.)

Alles immer prima

Es gibt so viele von diesen Eltern, bei denen alles immer super läuft. Die Kinder schlafen durch. Krippe ist toll. Kindergarten ist super. Die Trotzphasen sind als Autonomiephasen so richtig wichtig und ein Zeichen für die Entwicklung des Kindes. Und die eigenen Kinder sind maximal die Mitläufer beim Mist-machen. Die Geschwister streiten sich kaum und alle in der Familie platzen vor Liebe. – Früher hat mich all das sehr beeindruckt. Heute lächle ich freundlich und empfinde ein bisschen Mitleid. Wer es so nötig hat, alles vor Bekannten schönzureden, hat garantiert viel Dreck unter dem Teppich.

Durchwachte Nächte

Natürlich schlafen 98 Prozent aller Kinder direkt nach der Geburt durch. Zumindest wenn man den Menschen glaubt, die mit Augenringen die Kinderwagen schieben. Trifft man sie Jahre später auf dem Spielplatz wieder, stöhnen sie und sagen: „Wie ich das überstanden habe, weiß ich heute auch nicht mehr.“ Ähnlich verhält es sich beim Badezimmer. Wer in dieser Phase steckt, in der das Baby/ Kind bei allem dabei ist, sagt selten, wie schrecklich er das eigentlich findet.

Erst später wird zugegeben, so schnuckelig ist das gar nicht, wenn die Kinder einen mit großen Augen anstarren, während man duscht, sich den Hintern abwischt oder Kontaktlinsen einsetzt.

Ich bin kein Fan von Jammern, aber man darf in der akuten Situation sagen, dass es schwierig ist und man gerne mehr als 1 Stunde am Stück schlafen würde und sich wieder so etwas wie eine Privatsphäre wünschen würde. Das würde den internen Druck geringer machen und – zumindest bei mir – für echte Sympathiepunkte sorgen.

Niemand funktioniert immer

Mit jedem weiteren Kind, jedem anstrengenden ersten Lebensjahr mit all seinen Aufs und Abs, jedem Wutanfall der Kinder in der Öffentlichkeit, jedem Heulen im Badezimmer, jedem eigenen hilflosen Brüllen und jedem kaugummiartigen Nachmittag allein mit den Kindern habe ich mich weiter entfernt von der Mutter meiner Wunschvorstellung.

Ich wäre nach wie vor gerne die immer ruhige Mutter, die spielerisch alle Situationen löst. Die über den Dingen schwebt, voller Unternehmungsgeist ist und jeden Nachmittag mit Freude bunte Tiere malt und knetet. Aber, das wird in diesem Leben nichts mehr.

Ich bin ehrlicher geworden mit mir und anderen. Die Fassaden von Übermüttern, die mir ihre pädagogischen Ideologien auseinandersetzen, während ihr Theodor-Friedrich eine Spielplatz-Gang gründet, beeindrucken mich heute nicht mehr. Ich weiß, dass hinter ihnen die gleiche Schlaflosigkeit, vergleichbare Fragen und Ängste wohnen. Hinter der neuen Funktion als Mama/Papa bleibt man ein individueller Mensch mit Stärken und Schwächen. Und keiner funktioniert immer und muss er auch nicht. Wer die eigenen Bedürfnisse beachtet und ehrlich ist, nimmt sich und den eigenen Kindern viel Druck. Und Druck haben wir alle sowieso genug, also: Bitte ehrlich sein und nicht immer funktionieren.