Note: geradeso ausreichend
Unsere Kinder besuchen eine Ganztagsschule. Bevor es so weit war, war ich komplett überzeugt vom Konzept der Ganztagsschule. Weil ich bei älteren Freunden bereits erlebt hatte, wie schwierig die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist, wenn um 13 Uhr die Schule vorbei ist. Mit zwei Kindern in der Ganztagsschule denke ich: Das Konzept ist noch ausbaufähig.
Vom persönlichen zum gesellschaftlichen Problem
Vereinfacht und verkürzt gesagt: Da an vielen Stellen qualifizierte Arbeitskräfte fehlten, fiel der Blick irgendwann auf die vielen qualifizierten Frauen, die traditionell in Westdeutschland eher lange bei ihren Kindern waren. Plötzlich war das nicht mehr ein Privatproblem der Frauen, sondern durch das wirtschaftliche Interesse ein gesellschaftliches Problem.
Damit die Frauen nicht mehr zuhause bleiben „mussten“, wurde die Betreuung der U3-Kinder ausgebaut und die Zeiten des Kindergartens und der Schule ausgebaut. Nachfrage und Angebot quasi – aber so halbgar fühlt es sich an vielen Stellen leider auch noch an. Da die deutsche Tradition mit einem starken Müttermythos eine andere Verteilung vorsieht, ist die Ganztagsschule oft eine eher kritisch beäugte Institution.
In diese Kerbe möchte ich gar nicht schlagen, denn ich bin generell dankbar für die Entscheidungsfreiheit, die Ganztagsschulen vielen Eltern bieten. An dieser Stelle möchte ich auch keine Debatte um die Ganztagsschule an sich oder Berufstätigkeit in Familien anstoßen. Mir sind lediglich in den letzten Jahren ein paar Dinge aufgefallen, die ich schwierig finde.
Keine Vernetzungen wie in Ländern mit längerer Tradition
Beispielsweise fehlen oft noch die guten Vernetzungen mit Sportvereinen und anderen Institutionen und die räumlichen Möglichkeiten, um den Kindern an den langen Tagen eventuell vielseitige Angebote machen zu können. Musikalische Angebote gibt es bei uns beispielsweise gar nicht. Hier merkt man, dass das System noch nicht ganz so alt ist.
Zudem ist zumindest bei uns der vorgegebene Stundensatz für externe Angebote ein Witz. Bei dem Satz sollte man ehrlich darum bitten, dass die Leute ihre Arbeitszeit ehrenamtlich verschenken.
Bei uns ist im Sportangebot durch den Verein oft Fußball (oder vielleicht noch etwas wie „Ran an den Ball“) zu finden.
Dadurch ist die Halle belegt und es kann nichts anderes angeboten werden. Was gleichzeitig bedeutet: Wenn ich mir für meine Kinder ein abweichendes Hobby wünsche, haben wir oder zumindest mein Kind einen zusätzlichen Termin nach 16.00 Uhr. Richtig gewinnt dabei niemand: Entweder hat das Kind sehr, sehr lange Tage oder keine Hobbys.
Individuelle Förderung?
Was in der Theorie so klingt, ist in der Praxis oft noch nicht so – die individuelle Förderung. An dieser Stelle hängt es – so glaube ich – sehr vom Engagement und der Erfahrung der Lehrkraft ab, im engen Rahmen dem Einzelnen individuelles Lernen zu ermöglichen. Wenn sich die Lehrkraft mit Mehrarbeit ins Geschehen schmeißt, ist das vielleicht teilweise möglich.
Aber auch das Unterfangen scheitert am Ende oft an zu großen Klassen mit vielen unterschiedlichen Wissensständen. Das ist ärgerlich für die Schüler und die engagierten Lehrkräfte, die an der Stelle verheizt werden.
Wie lange möchte jemand schließlich für etwas kritisiert werden, für das er selbst nichts kann und was er sich anders wünscht?
Rückzugsorte
Bei uns in der Schule gibt es für jede Klasse den sogenannten Differenzierungsraum. Durch ihn lässt sich das Geschehen etwas entzerren. Durch den Neubau der Schule hat die Klasse von Sohn 2 zehn Quadratmeter eingebüßt. Außerdem teilt sich nun ein dreizügiger Jahrgang eine Mädchen- und eine Jungen-Toilette (mit jeweils drei WCs). Der Bau wurde definitiv vor Corona geplant, denn wie sich dort eine „Kohortentrennung“ durchführen lassen soll, weiß kein Mensch.
Und – wie die Lehrer*innen ganz unabhängig von Corona anmerken – können bei frühen Ausflügen die Kinder vor Schulbeginn eine Toilettenschlange bilden.
Es ist ein wunderschöner und heller Bau, aber an den Bedürfnissen der Kinder und den Herausforderungen des Ganztags vorbeigeplant. Vielleicht wäre es an den Stellen gut, bevor so viel Geld angefasst wird, mit den Menschen zu sprechen, die am Ende in dem Gebäude arbeiten und meistens wissen, was ihnen und ihren Schützlingen den Alltag räumlich erleichtern würde.
Was wird vermittelt?
Jedes Projekt ist dem Engagement einzelner zu verdanken und einer Schulleitung, die mindestens mitzieht, wenn nicht initiiert. Auch beim Fächerangebot ist nicht so viel passiert, wenn ich das mit meiner Grundschul- und Schulzeit vergleiche. Da würde ich mir ein Anpassen an Studienergebnisse wünschen.
Studien zeigen, dass Kinder von Projektarbeiten deutlich mehr profitieren als vom rein theoretischen Unterricht. Gerade Kinder, die vielleicht praktischer veranlagt sind, fällt die theorielastige Arbeit im deutschen Schulsystem schwer.
Sie bräuchten eine andere Wissensvermittlung, bei der sie ihre Fähigkeiten ausschöpfen können. Um das zu ermöglichen, müssten Schulen personell und räumlich anders aufgestellt sein. Da fehlt es an Geldern und möglicherweise an der Bereitschaft an den entscheidenden Stellen, um die Ecke zu denken und etwas zu verändern.
Langzeitinvestment mit hohem Risiko
Jetzt übernimmt die FDP das Ressort Bildung. Die Sprüche aus dem Wahlkampf „Was Geld kostet, muss auch Geld abwerfen“ haben sich bei mir tief eingebrannt. Ich habe ein bisschen Sorge und bin wenig hoffnungsvoll, was das mit sich bringen wird.
Der notwendige Ausbau der Finanzierung für Bildung wird es vermutlich nicht sein, schließlich ist Bildung bei dieser Denkweise ein Langzeitinvestment mit hohem Risiko.
Allein das höhere Risiko ist eben, nichts zu ändern und immer wieder viele Kinder nicht in ihrem Potential zu bestärken, sondern sie zu entmutigen. In dem Fall ist im Übrigen nicht nur ein Tag in der Ganztagsschule für das Kind zu lang, sondern jeder Tag in jeder Schule.