Ich hätte es gleich nach der Geburt wissen müssen: Sie musste zehn Minuten lang schreien, bevor sie einen Tropfen trinken wollte. Komisch, habe ich mir gedacht, denn mein erstes Kind war nach der Geburt so erschöpft, dass es gleich nach dem Empfang gestillt werden wollte. Nicht so dieses Baby.
Ihre Geräusche klangen nach einem leidenden Tier
Nach ungefähr zwei Wochen Ruhe, fing ein bestimmtes Muster an. Nicht unbedingt zur gleichen Tageszeit, aber auf jeden Fall immer und jeden Tag: meine tägliche Dosis relativ kurzem, aber sehr kräftigem Schreiens. Weinen kann man das nicht nennen. Sie hat mehrmals am Tag Geräusche gemacht, die ich nur mit einem leidenden Tierchen vergleichen kann. Vielleicht hat sie auch gelitten: Mein winziger Säugling und später mein wachsendes Baby konnte mir nicht mitteilen, woran es lag. Da aus meiner Sicht alle wichtigen Lebensbedürfnisse gut abgedeckt waren, blieb es ein Geheimnis, und beruhigen ließ sich das Baby partout nicht.
Die Nächte waren ihre eigene Art von Terror
Auch wenn sie gerade nicht wütend war, war sie nie lange zufrieden. Wenn ich Pech hatte, konnte sie nur zwei Minuten alleine liegen, bevor ich sie wieder auf den Arm, auf den Schoß, oder ins Tragetuch nehmen musste. Tagsüber schlief sie nie länger als 30 Minuten am Stück. Die Nächte waren ihre eigene Art von Terror. Gerne hatte ich meine Kinder die ersten Monate bei mir im Beistellbett, damit ich sie schnell stillen und beruhigen konnte, ohne viel Schlaf zu versäumen. Meine Theorie ist auch, dass die Nähe den Kindern gut tut. Nr. 2 hat aber diese Theorie auf die Probe gestellt. Eine Stunde schlief sie friedlich auf meiner Brust, dann fing das Gebrüll an. Im Beistellbett schlafen wollte sie nicht, genau neben mir auch nicht, und in getrennten Zimmern war das Schreien nicht auszuhalten.
Die Lärm-Folter verwandelte mich in einen wütenden Zombie
Und so ging es das ganze erste Jahr weiter. Es wird niemanden überraschen, dass die Mischung aus täglicher Lärm-Folterung und viel zu wenig nächtlicher Ruhe einen sonst normalen Menschen in einen nervösen und wütenden Zombie verwandelt.
Was ist eigentlich an dem bisschen Schreien so schlimm? Dein Kind will dir etwas sagen und für mich ist es selbstverständlich, dass eine Mutter sichergehen sollte, dass es ihrem Kind gut geht. Dafür hat die Natur Babys ja das Werkzeug des Weinens geschenkt, um uns auf ein Problem des Nachwuchses aufmerksam zu machen. Fürchterlich lautes Kreischen sollten wir nicht einfach aushalten, es soll uns bewegen, soll uns das Leben richtig unangenehm machen damit wir darauf entsprechend reagieren. Aber wie eine Bekannte von mir sagte: nach einer bestimmten Tonhöhe, geht es an die Substanz. Ich würde es so ausdrücken: Das Schreien meines Babys hat mich und meine Familie ein Jahr lang terrorisiert.
Kein Arzt konnte mir helfen
Ich bin die ersten 12 Monate alle paar Wochen zum Kinderarzt gerannt, um sie noch mal untersuchen zu lassen oder in der Hoffnung, dass er mir irgendein Beruhigungsmittel verschreiben würde. „Gibt’s nichts Leichtes auf Naturbasis?“ Ich habe ihr zahllose Globuli reingeschoben, auf Milchprodukte verzichtet, meine Tagesroutine mehrmals geändert, sie zur Heilpraktikerin und Cranio-Sacral-Therapie gebracht. Ich selbst habe Progesteron-Tabletten genommen, um meine mögliche Depression zu behandeln.
Meine Therapeutin hat mir sehr geholfen
Am Ende war das Einzige, das geholfen hat, meine hohen Erwartungen an mich als mühelose Mutter und ihr als ruhiges Baby gehen zu lassen. Die Zeit war verdammt hart und ich durfte dementsprechend zappeln. Meine Therapeutin war auch sehr wichtig: Sie hat mich alles erzählen und weinen lassen. Sie hat mich durch das herausforderndste Jahr meines Lebens geführt und mir versichert, dass ich doch eine fähige Mutter bin.
Mein Kind wird dieses Jahr drei und ist immer noch anspruchsvoll. Ich weiß aber jetzt, dass ich in der Regel nichts Falsches mache und sie so akzeptieren muss, wie sie ist. Sie ist sehr emotional, wird schnell frustriert, weiß was sie will und will es sofort. Sie ist letztendlich ihrer Mutter sehr ähnlich. Ich hoffe, dass ich sie weiterhin auf ihren Weg zu einer starken, selbstbewussten Frau begleiten kann.
Wenn sie ihr eigenes lautes Kind kriegt, wird sie ihre Mutter mehr denn je brauchen. Ich habe vor, ihr auch durch diese Zeit hindurch beizustehen.