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„Mama, wo ist Omas Seele?“

Verwelkte Blumen und Tränen
Wenn Oma plötzlich nicht mehr da ist
© Unsplash/ Daria Shevtsova

Wenn ein geliebter Mensch von dieser Welt geht, ist das immer sehr schwer für alle Hinterbliebenen. Jeder von uns geht auf seine eigene Weise mit der Trauer, seinen Gedanken und Erinnerungen an die verstorbene Person um. Aber wie machen Kinder das eigentlich? Auch das ist natürlich unterschiedlich von Mensch und Mensch. Wie ihr sechsjähriger Sohn den Tod seiner Großmutter verarbeitet – davon berichtet heute Autorin Anja.

Die Tatsache

„Mama, sei nicht so traurig.“ Mein bald Sechsjähriger streicht mir mit seiner immer noch ziemlich kleinen Hand etwas unbeholfen und dennoch selbstsicher über die Wange. Oh Gott, mein Herz … Seine braun-grünen Augen spiegeln sein sanftes, mitfühlendes Wesen wider. Seine immer länger werdenden braunen Haare umfließen das feine Gesicht, in dem ich oft mich selbst und oft auch seinen Vater erkenne. Mein Sohn schaut jetzt ebenfalls traurig. „Mama, bitte mach‘ Dir keine Sorgen. Omas Seele ist doch hier bei uns.“ Ich horche auf. Was sagt er da? Ich schaue ihn mit großen Augen an, eine Fortführung seiner Gedanken abwartend. „Sie spielt jetzt mit uns. Jetzt gerade. Wirklich!“

Meine Augen werden feucht. Wie kann das sein? Es überkommt mich, ich weine los – und niemand hat etwas dagegen. Ist das schön, was mein kleiner Großer da sagt. Und wie standhaft, unerschütterlich, felsenfest er daran glaubt. Ich wünsche mir, dass er diesen Glauben niemals verlieren wird.

Was bleibt

Nicht meine eigene Mutter, sondern meine Schwiegermutter ist vor wenigen Monaten verstorben. Und doch fühlt es sich heute an, als wäre es erst gestern gewesen. Doch gestern war kalt, schnell und gierig. Unbarmherzig und dennoch gnädig. In einem „guten“ Alter war sie, so sagt man gern: Sie hatte Mitte Achtzig fast erreicht. Nicht jung, nicht zu alt, sie hat wohl jedenfalls nicht gelitten an ihrem Ende, behaupten die Ärzte.

Leider ist das nur ein schwacher Trost, denn sie fehlt. Uns allen. Das Beben ihres kleinen, im Alter rundlich gewordenen Körpers beim Lachen. Die spitzbübisch funkelnden Augen. Das bisweilen sehr energische Wesen, der halblange, graue Pagenschnitt. Ihr „Was soll’s!“ und ihr – wenn es doch einmal etwas schlimmer kam – „Scheiß drauf.“ Das Glas Sekt, nichts Süßes, eher trocken bitte. Oder auch mal zwei oder drei.

Die Mutter meines Mannes, die Großmutter meiner beiden kleinen Jungs und meiner Nichte. „Die mit den drei Überraschungseiern“, weiß P. und sagt er oft.

Wie lange mein älterer Sohn das wohl sagen wird? Immerhin wird er sich wahrscheinlich noch lange an sie erinnern können. Der kleine K. hat noch keine Ahnung, er ist noch keine drei Jahre alt. Irgendwie ist das auch gut so. Aber auch so traurig. Denn Oma war prima. Ich wünschte, sie würde auch ihm im Gedächtnis bleiben.

Was aber tatsächlich bleibt, ist sie. In K. und in P. In ihrem Sohn, ihrer Tochter, ihrer Enkelin. Und auch in mir, obwohl wir genetisch nichts teilen. Wir hatten etwa elf gemeinsame, geliebte und gelebte Jahre. Ich wollte und möchte immer noch, dass ihr Tod uns alle noch enger zusammenschweißt, uns in Liebe und Geborgenheit miteinander zurücklässt …

Die Aufbahrung

P. umfasst das Bein seines Papas. Der bis zuletzt bei Oma war. Genau, wie dessen Schwester und seine Nichte – eine tolle, einfühlsame, und so bodenständige Krankenschwester. Was für ein Team. Ich bin stolz. P. guckt skeptisch, aber nicht ängstlich. Ich habe ihn auf die – wie er es nennt – „Aufbewahrung“ vorbereitet. Soweit es denn ging. Geht so etwas überhaupt?

Oma wird dann anders aussehen, blass. Sie wird nicht schlafen. Nein, sie wird wirklich richtig tot sein. Sie ist tot. Ihre Augen werden nur deshalb geschlossen sein, weil man sie geschlossen hat. Aber sie schläft nicht. Ich möchte nicht, dass mein Sohn glaubt, seine Oma sei im Schlaf gestorben. Ich möchte nicht, dass er Ängste vor dem Einschlafen entwickelt. Verhindern werde ich wohl nichts dergleichen je können, denn Angst kommt. Und geht hoffentlich auch wieder.

Ich selbst verspüre jetzt gerade eine unbändige Angst.

Es ist soweit. Auf mich wirken alle soweit gefasst, als wir Oma sehen. Ich bilde mit meinem kleinen K. auf dem Arm das Schlusslicht, als wir eintreten. Ehrlich gesagt halte ich ihn auch so weit oben, weil ich so das Gefühl habe, mich hinter ihm verstecken zu können. Ich halte ihn gewissermaßen umklammert.

Und ich bin es dann auch, die nicht an sich halten kann und sehr laut und heftig weinen muss. Alle weinen natürlich, aber ich muss wirklich die Hand vor den Mund drücken. „Muss“ ich das wirklich? Ich glaube, ich muss. Es tut weh; und ich konnte mich nicht einmal richtig von ihr verabschieden.

Und P.? Sagt, als wir wieder zu Hause auf dem Bauteppich sind: „Sei nicht traurig, Mama. Sie ist mit Gott und tobt mit dem herum.“ Ja? „Ja! Und spielt mit uns Lego, jetzt gerade!“

Ja, das wäre wirklich schön.

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