Sieben Realitäten von Elternschaft
Es gibt Dinge, die Nicht-Eltern einfach nicht verstehen. Aus ihrem eigenen turbulenten Alltag mit vier Kindern erzählt Mama Saskia sieben Realitäten der Elternschaft, die für andere in weiter Ferne liegen.

Meine (höchst persönliche) Studie
Eltern zu werden ist eine der größten Umstellungen im Leben. Sowohl bei mir als auch bei vielen anderen Menschen und Neu-Eltern in meinem Umfeld zeigen sich dabei überraschende Realitäten. Egal, wie gut vorbereitet man sich vorab fühlte oder wie souverän Menschen als Nicht-Eltern durch ihr Leben gegangen sind – spätestens beim zweiten Kind zeigen sich nach meiner garantiert nicht vollständigen individuellen „Sozialstudie“ neue Persönlichkeitsmerkmale.

Realität 1: Was 24×7-Bereitschaft bedeutet
Vor meinen Kindern konnte ich mir nicht vorstellen, wie sich permanente Verantwortung anfühlt. Natürlich verändert sich das mit dem Alter der Kinder und es werden weniger Springkraft-Einsätze, aber im Hinterkopf sind sie präsent. Je nach Baby fällt dieser Bereitschaftsdienst unterschiedlich aus, aber permanente Verantwortung ist es in jedem Fall. Während sich das eine Baby für Momente auf einer Decke oder in einem Bettchen ablegen lässt, braucht das andere Baby permanent körperliche Nähe.

Bye bye Bedürfnisse
Um die eigenen Bedürfnisse geht es dabei gerade in der ersten Phase wenig und mit etwas Glück lässt sich die Verantwortung kurz abgeben. Der Großteil der Tag- und Nachtschichten liegt bei den Eltern und oft bei einem davon. Auch mit der Betreuung bleibt der Bereitschaftsdienst: Ist ein kleines Kind krank, verändert das die Planung zwangsläufig und diese Verantwortung tragen Eltern. Gut, wenn sie sich diese Verantwortung von Beginn an teilen. Trotzdem schmerzen Absagen von Jobs oder Verabredungen manches Mal sehr.

Realität 2: Woran man merkt, dass man wirklich müde ist
Wer jahrelang keine Nacht mehr durchschläft, ist anders müde. Obendrauf zum normalen Nicht-Durchschlafen kommen Zahnen, Fieber und die Verarbeitungs-Nächte nach aufregenden Tagen. All das hat so schöne Nebeneffekte, dass es schwerfällt, Gesprächen konzentriert zu folgen oder manches Mal eine Art Kurzschlaf einsetzt, um das System neu hochzufahren.
Bei Sohn 2 waren die Nächte in stündliche Wachfenster eingeteilt durch Neurodermitis und eine Hausstaubmilbenallergie und allgemeine Unruhe – wer weiß am Ende die Gründe wirklich? Auch hier stimmt jedoch ein Elternspruch: „Es ist nur eine Phase.“ Das macht die Nächte nicht länger, aber es schenkt eine Perspektive in all der Müdigkeit.

Realität 3: Was mit einem Mal alles unwichtig ist … und was dafür ganz wichtig
Bevor das Baby da ist, erklingt immer wieder dieser Satz: „Die Prioritäten verschieben sich.“ Den habe ich so oft gehört, dass sich meine Nackenhaare bei ihm aufgestellt haben. Tatsächlich muss ich anerkennen: Es stimmt. Im Leben hätte ich mir nicht träumen lassen, dass der Stuhlgang eines Lebewesens einen solchen Stellenwert in meinem Leben bekommen würde. Dass ich den Zustand von Haut überprüfe, mir den Schleim aus der Nase anschaue und wie schnell ich wach sein kann, wenn eines meiner Kinder weint. Bequeme Schlafpositionen werden unwichtig, wenn das Baby oder Kind im aufrechten Sitzen keine Hustenanfälle hat und man so zumindest ein bisschen dösen kann.

Realität 4: Warum aus allen möglichen Gründen Tränen fließen
Vor der Geburt meines ersten Kindes habe ich nie in der Öffentlichkeit geweint. Generell bin ich zwar nah am Wasser gebaut, aber sie flossen erst in den eigenen Vier-Wänden. Mit der Geburt brachen all meine Dämme.
Auch wenn ich die Mechanismen von Werbung oder kitschigen Filmen verstehe, kann ich mich ihnen emotional nicht mehr entziehen – die Tränen fließen einfach. Ein trauriges Lied, ein sentimentaler Film, eine Ungerechtigkeit im Alltag gegen andere, ein anderer weinender Mensch – all das bringt mich zum Weinen. Oh, und natürlich Freude, Glück und Bilder von Welpen – bei all dem lässt sich das Weinen nicht aufhalten.

Realität 5: Wie verschieden das Lebenstempo sein kann
Natürlich wusste ich, dass ich ungeduldig bin. Aber bei erwachsenen Menschen wird die Geduld nur in besonderen Situationen auf die Probe gestellt – beim Warten auf ein Ergebnis, vielleicht beim Einkaufen oder beim Warten auf Rückrufe möglicherweise.
Kinder haben ein anderes Tempo, weil sie viel mehr entdecken möchten und ihr Blick aus einer anderen Perspektive geschieht. Das lässt sich verstehen, aber die Langsamkeit auszuhalten, treibt mir den inneren Schweiß auf die Stirn.

Realität 6: Welche Rollenbilder in einem selbst (und dem Umfeld) schlummern
Vor dem Elternwerden habe ich mich als emanzipierte und selbstbestimmte Frau verstanden und war mir sicher, dass die Gesellschaft offen ist. Wie schwer mir das Loslassen fallen würde und wie sehr ich es über den Kopf steuern muss, war mir nicht klar. Und wie sehr das Umfeld gegen ein Abweichen vom Mythos der aufopferungsvollen Mutter ist, auch nicht. In welchen Momenten einen die Sprüche erreichen, die verdeutlichen, dass der einzige Fokus im Leben einer liebenden Mutter das Kind sein muss – das hätte ich vorher nicht geglaubt.

Bewertung Non-Stop
Auch nicht wie sehr mich die Bewertungen verletzen und verunsichern. Ob es Sprüche von Bekannten, Freunden, der Familie oder Wertungen unter Texten sind wie „Die Mutter klingt nach einer anstrengenden Person.“ oder „Sie sollte sich mal entspannen.“ – Nie wieder wird so viel über erwachsene Menschen gewertet wie in ihrer Rolle als Eltern, speziell als Mutter.

Realität 7: Es gibt keinen Plan
Viele Erkenntnisse aus dem Leben mit einem Kind werden beim zweiten Kind komplett über Bord geworfen. (Bei jedem danach auch – aber da schockt es einen nicht mehr so.)
Was beim ersten Kind funktioniert, scheint ein perfekter Plan. Man hat den Dreh raus … bis das zweite Kind kommt und zeigt, gar nichts hat man raus.
Menschen auf nächste Nähe sind immer eine Herausforderung und brauchen individuelle Fürsorge. Nichts da mit Plan A, B oder C – genau hinschauen, mit Zeit beobachten und mit Ruhe ausprobieren. Und in all dem Stress und Schlafmangel zuversichtlich bleiben, dass alles gut wird – das ist der Spagat von Elternschaft.