Ich weiß, ich war selbst nicht besser
In meiner Kindheit gab es einen kleinen Laden um die Ecke mit einer schier unendlichen Auswahl an Lackbilderbögen. Meine Lieblinge waren die Lackbilder mit Glitzer und für diese habe ich viel Taschengeld geopfert. An Kommentare meiner Mutter diesbezüglich kann ich mich nicht erinnern. Als wir Taschengeld bei unseren Kindern eingeführt haben, lautete das Credo: Über das Taschengeld entscheiden die Kinder vollständig selbst. Dahinter stehe ich noch immer, aber die Pokémon-Sammelkarten erschweren mir diesen Grundsatz sehr.
Für das Taschengeld meiner Kinder orientiere ich mich an der Taschengeldtabelle – abgestuft nach ihrem Alter. Zu Beginn haben meine älteren Kinder vor allem spontan damit eingekauft. Es wurde eine Zeit gespart und dann ging es ins inhabergeführte Spielzeuggeschäft bei uns im Stadtteil, was mit viel Liebe ausgestattet wird. Zunächst gab es beim Gang dorthin nur selten eine Idee, was „gebraucht“ wurde. Manchmal wurde die wichtige Elefantenfigur zum Spielen gekauft. Manches andere Mal wurde irgendetwas gekauft und hinterher lag es nur in der Ecke rum.
Mit der Zeit und der Erfahrung wurde das Geld dann eher gezielt gespart und miteinander beraten, was jetzt sinnvoll wäre. Ich erinnere mich daran, dass meine Schwestern und ich durchaus Süßigkeiten und Zeitschriften beim Kiosk um die Ecke gekauft haben. Für Süßigkeiten oder ähnliches haben meine Kinder ihr Taschengeld tatsächlich bisher selten ausgegeben. Nur Sohn 1 beginnt allmählich sein Geld beim Schulkiosk zu lassen, weil das scheinbar zu irgendeinem Ritual gehört.
Keine Ratschläge
Bei der Frage nach dem Taschengeld und dem Umgang damit mussten wir uns als Eltern abstimmen: Wenn die Kinder uns bei ihren Käufen um Rat fragen, wie verhalten wir uns? – Ich möchte vorsichtig sein mit Ratschlägen, weil ich aufrichtig glaube, dass Kinder lernen müssen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Nur wer das oft und viel übt, wird sich irgendwann zuverlässig auf sein Bauchgefühl verlassen können. Es nützt ihnen nichts, wenn sie für ihre Entscheidungen immer auf die Meinung von außen angewiesen sind. Gleichzeitig brauchen Kinder Eltern als Orientierung.
Also bin ich vorsichtig in meinen Formulierungen und wäge ab. Ich stelle eher Fragen, wie beispielsweise: Wie lange wirst du dich hiermit beschäftigen? Wird es dir lange Freude machen? Was sind deine Pläne damit? Wie lange wünschst du es dir schon und steht das im Verhältnis zum Ersparten und deiner Sparzeit? – Denn meine Meinung ist ja gar nicht relevant. Ich muss mit dem Spielzeug nicht spielen und mich auch nicht drüber freuen. Es ist nicht mein Geld, was ausgegeben wird, sondern das Geld meines Kindes.
Bühne frei für Pokémon
Soweit die Theorie. Aber dann begann das Sammeln der Pokémon-Karten und damit ein ganz neuer Abschnitt in unserer Familie mit diesem Thema. Mit einem Mal waren wir mitten im Sammelkartenwahn und in einem Haus voller goldener Karten, Karten mit Effekten und einfacher Karten mit lauter Werten, die – da bin ich fast sicher – niemand so ganz versteht. Die Ästhetik der Pokémon leuchtet mir nicht ein und warum das bei irgendwem Begeisterung auslöst (wobei ich ehrlicherweise auch mit leichtem Grusel an meine Elfenlackbilder denken muss).
Dann müssen die Werte zudem noch digital überprüft werden, weil das Sammeln und die Werte der Karten munter diskutiert werden. Zu Beginn sind Sohn 1 und 2 auf dem Spielplatz ausgetrickst worden, weil sie keine Ahnung hatten. Daraus haben sie gelernt und überprüfen die Informationen ihrer Tauschpartner lieber, statt sie einfach zu glauben. Was mit Sicherheit eine sinnvolle Lektion ist. Auch zu lernen, wie sie verhandeln und Bluffs erkennen, ist bestimmt etwas Sinnvolles. Eine Karte wurde ihnen einfach gestohlen – auch das eine Erfahrung, die sie wohl kaum vergessen werden. (Zumindest habe ich nie mein mit neun Jahren im Kino gestohlenes, rotes Portemonnaie vergessen, was mein erspartes Taschengeld enthalten hat.)
Keine Meinung zu haben, ist eine schwere Übung
Es fällt mir schwer, die Begeisterung meiner Kinder über die Sammelkarten zu teilen oder auch nur nachzuvollziehen. Und um all das viele teils lang ersparte Taschengeld tut es mir hier deutlich mehr leid als bei einem Legoset. Aber pädagogisch kann ich Sammelkarten zumindest von der wirtschaftlichen Seite einen Zweck abringen. Als alte Lackbildersammlerin sollte ich Verständnis für die Goldkarten haben. Aber das ganze Tauschen und diese fiktiven Werte der Karten sind irgendwie anders. Für mich ging es bei den Lackbildern um meine eigene Freude an den Bildern. Ich habe stundenlang mit ihnen Geschichten erfunden und gespielt. Bei den Karten geht es ums Tauschen, was bei dem Namen keine Überraschung ist, ich weiß.
Aber mit einem Mal steht hier schon ein ökonomisches Interesse im Raum und es wird gehandelt, über den Tisch gezogen und gestohlen. Das erschreckt mich etwas, auch wenn all das gelernt werden will. (Wobei beim über den Tisch ziehen und dem Stehlen wohl eher im Vordergrund steht, dass man lernt, dass das existiert und Vorsicht sinnvoll ist.)
Aber warum muss alles einen Wert jenseits von dem haben, den wir ihm geben? Und dürften all diese Lektionen nicht auch einen Moment später kommen als bereits um den zehnten Geburtstag herum?
Und dann erinnere ich mich an meinen Grundsatz und denke: Puh, keine Meinung zu haben, ist wirklich die schwerste Übung. Vielleicht reicht es manches Mal aus, wenn man die Meinung nicht äußert und ihr nicht den höchsten Stellenwert einräumt.