„Mama, was ist ein Dummkopf?“ – Umgang mit Schimpfwörtern

Mädchen lacht und hält die Hände zusammen
© Unsplash / Nathan Dumlao

Seit die Kinder von Mama Saskia in die Grundschule gehen, bringen sie regelmäßig neue Schimpfwörter mit nach Hause. Wie sie damit umgeht, verrät sie hier.

Damit habe ich nicht gerechnet

„Mama, was ist eigentlich ein ‚Hurensohn‘? Und was bedeutet ‚ficken‘?“ – Es sind Momente, wie diese, die mir klar machen, wie wenig ich mich auf das Abenteuer Elternschaft vorbereitet habe.

Und wie wenig das allgemein möglich ist. Denn mit diesen Fragen habe ich in meiner hoffnungsvollen Naivität nie und mit meinem realistischeren Geist doch nicht mit 9 Jahren gerechnet. Doch auf den deutschen Schulhöfen der Grundschule wird sich fleißig beschimpft.

Weil es ihr mit den Beleidigungen zu sehr aus dem Ruder lief, lud die Klassenlehrerin von Sohn 1 kurz vor den Sommerferien die Kontaktpolizistin in ihre dritte Klasse ein. Die Polizistin kam in Uniform und mit ihren Waffen. (Bei meinem Sohn blieben vor allem die Waffen eindrucksvoll im Gedächtnis.) Von der Lehrerin erfuhren wir, dass die Polizistin erklärt hatte, dass Eltern Mitschüler ihrer Kinder wegen Beleidigung anzeigen können.

Das hätte zwar zunächst wegen des Alters keine strafrechtlichen Konsequenzen, bliebe aber 10 Jahre im polizeilichen Führungszeugnis stehen. Was bei 9- bis 10-jährigen durchaus ärgerlich sein kann. Ob das gerechtfertigt ist und eine Anzeige hilft, mag ich nicht beurteilen.

Verbales Ärgern fängt früh an

Sobald Kinder sprechen, probieren sie aus, wie sie mit Sprache Wirkung erzielen. Wir hatten von Pipi-Kacka-Mama bis zur Scheiß-Mama alles schon mal – je nach Alter. Während es mich zu Beginn noch sehr getroffen hat, reagiere ich jetzt ruhiger und weniger emotional.

Tochter 2 hatte eine Phase lang eine große Vorliebe für das Wort „doof“. Es war doof in der Krippe und „Du bist doof.“ war die häufigste Phrase des Tages. Tochter 1 ärgerte sich so sehr über die Frechheit der Kleinen, dass sie ihr regelmäßig einen vor den Latz schlug.

Irgendwann wurde ich schneller und Tochter 1 brüllte nur noch zurück: „Du bist selbst Pipi-Kackawurst-Scheiße.“ Kreativ, aber nur bedingt schön.

Wörter tun im Herzen weh

Ob mit Wörtern oder mit der Hand – dem anderen wehtun ist nicht in Ordnung. Dass Kinder es ausprobieren, ist aber normal. Das verbale Verletzen beginnt lange vor den eigentlichen Schimpfwörtern. Den anderen abwerten, ausgrenzen oder beleidigen – all das gehört zusammen. Es ist wichtig, dass wir Erwachsenen hinhören und Aussagen früh einordnen.

Tochter 2 ruft ihren liebsten Menschen gerne beim Abschied hinterher: „Du bist der/die Beste.“ Wenn sie das nun plötzlich ergänzt mit „und besser als …“ ist bei uns ein Gespräch fällig. Durch diese Abwertung einer anderen Person wird für mich die ganze ‚Liebeserklärung‘ abgewertet. Es darf nie darum gehen, den einen verbal auf Kosten des anderen zu erheben.

Etwas doof finden und meckern ist ok

Vor dem Elternsein habe ich selten geflucht. Seitdem ich Mutter bin, rutscht mir der ein oder andere Fluch raus. Das finde ich nicht schön, aber es ist wohl menschlich. Fluchen soll tatsächlich eine erleichternde Wirkung haben und helfen, Situationen besser aushalten zu können. Allerdings braucht sich der Nutzen von Flüchen ab. Also: Nicht aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen, ist und bleibt selbst beim Fluchen wichtig.

Meinen Kindern versuche ich einen wichtigen Unterschied klarzumachen: Ich kann einen Umstand oder eine Handlung doof und ungerecht finden, aber es gibt mir nicht das Recht, einen anderen Menschen zu beleidigen.

Tue ich das, reduziere ich die Person auf diese eine Handlung. Das ist mindestens ebenso ungerecht, wie das, was mich wahrscheinlich geärgert hat. Und nein, das schaffe ich nicht durchgehend. Manchmal ärgere ich mich zu sehr, aber es fällt mir auf und ich entschuldige mich dafür. Wir sind vermutlich in angespannten Situationen verbale Seiltänzer. Manchmal treten wir daneben und verletzen.

Welche Funktion haben Beleidigungen?

Beleidigungen, das zeigt eine interessante Arbeit der Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler an der TU Dresden, dienen dem Festigen von gesellschaftlichen Strukturen. Wir beschämen den anderen mit unserer Beleidigung, um ihn zu entwerten und unsere Macht zu verfestigen.

Gegen die Erniedrigung von Beleidigungen können Menschen nicht gänzlich immun werden, das macht sie in jedem Alter so wirkungsvoll.

In der Wissenschaft gibt es drei Kategorien des Beleidigens: Gotteslästereien, Familienbeleidigungen und die Prüden. In unserer Kultur überwiegen die körperlichen bis sexuellen Beleidigungen wie Hurensohn, Arschloch, Fuck you und so weiter.

Benutz Wörter, die du kennst und verstehst

Eine Regel, die ich meinen Kindern versuche zu vermitteln, ist simpel: Du benutzt nur Worte, bei denen du weißt, was sie bedeuten. Das gilt nicht nur für Schimpfwörter, aber eben auch für sie.

: Ausnahmen

Im Umkehrschluss gilt nicht, dass ein Schimpfwort ok wird, weil ich den Hintergrund beleuchtet habe, Stichwort Hurensohn. Denn wer weiß, was es bedeutet, trägt auch die volle Verantwortung für jedes Wort.

„Ich mach mir meine Welt, wie sie mir gefällt“

Bei Untersuchungen unter Jugendlichen zeigt sich, dass sie viele Schimpfwörter und Beleidigungen nachplappern. Das macht unsere Rolle als aufmerksame Gesprächspartner so wichtig. Eltern und Lehrer müssen Begriffe einordnen und den Jugendlichen damit zeigen, was sie eigentlich sagen und wie sie in dem Moment ihre Welt mit Sprache gestalten. Denn Sprache gestaltet immer unsere Wirklichkeit.

Ob wir sie bewusst benutzen oder nicht, spielt weder für die Diskriminierten noch für uns eine Rolle. Und unsere Worte können zu Taten werden.

Hier sind unsere Kinder auf uns Erwachsene angewiesen, dass wir ihnen die schönen Worte nahebringen und die anderen so erklären, dass ihnen die Konsequenzen klarer werden. Das Lippenbekenntnis in einer toleranten Welt leben zu wollen, reicht nicht. Wir müssen aktiv und bewusst unsere Welt tolerant gestalten.