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Was wir mit dem zweiten Kind verloren haben

Kind versteckt sich hinter einem Vorhang
Ein zweites Kind kann auch zur Belastung für das Erstgeborene werden.
© Unsplash / Silvan Mahler

Wie fühlt es sich an, das Leben mit zwei kleinen Kindern? Unsere Autorin Jenn Knott erlebte die Erweiterung ihrer Familie nicht ausschließlich als pure Freude, sondern als eine komplizierte und überhaupt nicht selbstverständliche Veränderung, die auch von Schmerzen und einigen Verlusten begleitet war.

Das kann doch nicht so schwer sein

Bevor ich mehrfache Mutter wurde, habe ich die Themen Familie und Kinderkriegen so gesehen, wie alle bisherigen verrückten und selbstbestimmten Lebensänderungen: als lustige Herausforderung, als Abenteuer, worauf man als Mensch nicht verzichten darf, als möglichen Fehler, den man aber durch eine positive Haltung, Mut, und Entschlossenheit ins Positive verwandeln kann.

Wenn ich schon den passenden Lebenspartner gefunden habe, den Umzug von Amerika und die Umstellung auf Wien und dann Bayern durchgezogen und diese verdammt komplizierte Sprache ausreichend gemeistert habe, kann ich ja auch eine kleine Person erschaffen und erziehen. Vielleicht sogar zwei.

Entspannung pur sind fünf Minuten unter der Dusche

Jede Mutter weiß, wie das Leben sich auf einmal mit einem Baby ändert: Selbstständigkeit bedeutet nun, mit zwei Händen essen zu dürfen, weil gerade kein Baby gefüttert oder getröstet werden muss; Entspannung pur sind fünf Minuten unter der Dusche ohne Kindergeschrei; Freizeit bedeutet alleine aufs Klo gehen. Nach dem ersten Jahr aber – vor allem wenn man ein pflegeleichtes Baby wie mein erstes, bekommen hat – glaubt man trotzdem, dass man das Ganze noch einmal wiederholen könnte.

Dass meine zweite Tochter dann ein sehr herausfordernder kleiner Windelträger werden würde, konnte ich natürlich im Vorhinein nicht wissen. Vielleicht hätte es mir geholfen, den unvermeidbaren Stress besser zu akzeptieren.

Was mit dem zweiten Kind verloren geht

Doch ganz gleich, wie die Natur des zweiten Kindes ist, es gibt einfach schöne Momente, die mit mehreren Kindern aus verschiedenen Gründen wegfallen – und zwar für Mutter und das Erstgeborene:

  • Die kleinen goldenen Momente, die Mama und Baby ganz alleine genießen. Wie oft durfte ich meiner ersten Tochter etwas vorlesen, mit ihr auf dem Sofa kuscheln, auf dem Boden liegen und spielen. Als ihre Schwester plötzlich da war, musste die Erstgeborene lernen, wie man sich selbst beschäftigt.
  • Die vielen hundert Küsse und Umarmungen für meine erste Tochter am Tag. Nun durch zwei geteilt.
  • Die gute Laune und ausreichende Energie der Mama. Die Doppel-Herausforderung aus schreiendem Baby und trotzigem Kleinkind ist schwer zu verkraften.
  • Die Möglichkeit, ein wenig auszuschlafen. Ein älteres Kind, das entweder in den Kindergarten geht oder zu Hause bleibt, lässt eine Mutter morgens nicht lange im Bett liegen – egal wie schlecht die Nacht mit Baby Nummer zwei war.
  • Der Segen des Nachmittagsschläfchens. Weg sind die Tage, wo man sich mit dem Baby hinlegen konnte.
  • Ein akzeptables Niveau von Stress. Das erste Jahr mit zwei Kindern hat mich, meinen Mann und die Ehe fast gebrochen. Ein Kind spürt das natürlich auch.

Diese Liste ist natürlich nicht vollständig. In den schwersten Zeiten – mit einer Mischung aus Babygeschrei, Schlaflosigkeit und daraus resultierendem Verlust meiner Kapazitäten an Geduld und Herzlichkeit – habe ich die Entscheidung, ein zweites Kind zu bekommen mehr als ein kleines bisschen bereut.

Geschwister: eine Verbindung fürs Leben

Eine weise Frau – nämliche meine Therapeutin – hat mir aber ein Goldstück von Ratschlag gegeben: „Bereue es nie, dass du deiner Tochter das Größte geschenkt hast: eine Schwester. Das ist eine Beziehung, die länger als die von Mutter und Kind hält und wird möglicherweise eine der längsten und bedeutendsten Beziehungen des Lebens.“

Wenn ich an diese Worte zurückdenke, muss ich nach fast drei Jahren immer noch weinen. Die Zeit der Umstellung ist schon bitter und die Verluste sind real. Aber trotzdem und gleichzeitig ist ein Geschwisterkind ein wahrer Schatz, den wir nicht unterschätzen sollten.

Ich finde das Geburtstagslied von Rolf Zuckowski, das im Kindergarten immer gesungen wird, ähnlich rührend. „Wie schön, dass du geboren bist. Wir hätten dich sonst sehr vermisst.“ Das trifft genau das Glück von Familie und erinnert mich an die Tatsache, dass ich und meine Familie jeden Tag doch so viel zu feiern haben.

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