Wir und die anderen: Was macht Menschen zur Familie?

Symbolbild: Unterschiedliche Menschen am Strand
Wir sind mehr als Mama, Papa, Kind.
© Pexels / Bayu Jefri

Für Mama Saskia war es nicht leicht, ihre eigene Vorstellung von Familie aufzubrechen. Aber hinter der Komfortzone warteten jede Menge toller Menschen, die sie heute als ihre Wahl-Familie bezeichnen darf und andere, die sie guten Gewissens nicht mehr zu ihrer Familie zählt.

Auf die eigene Weise unglücklich

„Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ Vielleicht gleichen sich auch glückliche Familien heute weniger als noch zu Tolstois Zeiten, da sich unsere Vorstellungen doch gewandelt haben. Mit den beweglicheren Lebensläufen, den flexibleren Identitäten ist auch in das Bild von Familie Bewegung gekommen. Oder?

Mehr Wahlverwandtschaft bitte

Familie soll eine „aus einem Elternpaar oder einem Elternteil und mindestens einem Kind bestehende (Lebens-) Gemeinschaft“ oder eine „Gruppe aller miteinander (bluts)verwandten Personen; Sippe“ sein. Was hier fehlt und für mich in der modernen Gesellschaft zunehmend wichtig wird, ist die „Wahlverwandtschaft“. Gerade die seelische Unterstützung bekommen wir heute oft mehr von Menschen aus unserem gewählten Umfeld. Freundschaften sind intensiv und retten über die ein oder andere Lebenskrise. Zumindest ist das in meinem Leben so und ich erlebe es auch in meinem Umfeld so.

Unterstützung ohne Urteil

In der Rush Hour des Lebens bleibt jedoch für diese Beziehungen oft wenig bis keine Zeit. Viele Lebensläufe bringen es auch mit sich, dass die liebsten Freunde nicht in der gleichen Stadt leben. Partnerschaften, Jobs und dann auch eventuell die Gründung einer Familie nimmt viel Raum und Zeit in dieser Lebensphase ein. Beim Wort Familie haben wir alle Bilder im Kopf und viele Emotionen, die mitschwingen. Dann stürzen noch blitzschnell die Vorstellungen von außen auf uns ein und wir stehen mitten im Chaos aus Fremd- und Selbstanspruch.

Hier schreibe ich darüber, wie schwierig Freundschaften mit kinderlosen Freunden sein können.

Was ist Familie wirklich? – Zu Beginn waren wir eine klassische Kleinfamilie und ich kann ehrlich sagen, das Modell hat für mich nicht funktioniert. Leider wird der Spruch mit dem Dorf, was es bräuchte, um Kinder zu erziehen, häufig genutzt, um seine persönliche Meinung auf die übermüdeten und überforderten Neu-Eltern zu klatschen. Ich habe selten Unterstützung ohne Urteil kennengelernt. Hilfen waren versehen mit guten Ratschlägen, was ich ändern könne, damit es einfach besser laufen würde. Dabei ging es nicht um meine Situation und mein Problem, sondern in der Regel um das Ego meines Gegenübers.

Heute sehe ich viele „Erstkind-Eltern“ und achte sehr genau darauf, wie ich denke. Ja, vieles ist drollig aus der Perspektive mit Abstand. Aber ich weiß noch so genau, wie viel Angst ich hatte und wie perfekt ich alles machen wollte. Bestimmt gibt es in jedem Fall Verbesserungsmöglichkeiten, aber Entwicklung kann nur von innen stattfinden und niemand hat von außen daran herumzupfuschen.

Kernfamilien sind beweglich

Eine kinderlose Freundin von mir ärgert sich seit Jahren darüber, dass sie und ihr Mann nicht als vollwertige Familie angesehen werden würden. „Dabei ist ein glückliches Paar doch immer der Kern jeder Familie.“, äußerte sie. Aus meiner getrennten Perspektive möchte ich sagen, selbst das braucht eine Familie nicht unbedingt. Meine Kinder und ich (und unser Hund) – das ist meine Kernfamilie zum jetzigen Zeitpunkt. Wir haben ein Netzwerk aus Menschen um uns, die Anteil nehmen und mit denen ich mich eng verbunden fühle. Vielleicht braucht eine Familie authentische Menschen, die sich umeinander sorgen und die jeweilige Entwicklung begleiten. Das Festhalten an Strukturen, die von außen richtig aussehen und sich von innen verkehrt anfühlen, zerstört ganz viel.

Wir sind alle schnell mit unseren Urteilen, wenn Konstrukte abweichen und uns vielleicht in eigenen Ängsten berühren. Familien können Wohngemeinschaften sein, in denen Alleinerziehende gemeinsam ihre Kinder aufziehen. Familie kann einfach eine langjährige Wohngemeinschaft sein. Ein Paar ist auch ohne Kinder eine Familie. Liebste Freunde können Familie sein. Sobald ich meine Vorstellung hier erweitert hatte, fiel auch viel Druck ab. Plötzlich mussten einige Beziehungen gar nicht mehr so viel tragen, weil andere da sein durften, die mich seelisch viel mehr berühren.

Familie lässt sich nicht erzwingen

Ich hatte zu Beginn als Mutter eine klare Vorstellung und wollte nach allen Seiten gleich und offen sein. Alle Seiten wurden per Nachrichten über Fortschritte im Bauch informiert. Heute würde ich mir diesen Stress nicht mehr machen. Ich habe mich zu verantwortlich für all die Geflechte gesehen und wollte mit viel Dünger alles besonders schön machen. Um es mit einem der Lieblingssprüche meines ältesten Sohnes zu sagen: „Das hat jetzt nicht funktioniert.“ – Das Leben ist kein Gewächshaus. Familie muss wachsen dürfen. Und wer diesen Prozess mit einer grundsätzlichen Offenheit geschehen lässt, ist am Ende vielleicht überrascht, wer alles zur Wahl-Familie gehört.

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Bewegliches Netzwerk

Mich haben in meiner Kindheit viele Menschen seelisch berührt und inspiriert. Es gab beispielsweise die Nachbarn meiner Oma – ein älteres Ehepaar, was enkellos war und die ich immer besucht habe. Mit ihm habe ich über Pflanzen gesprochen, mit ihr über alles mögliche andere und sie haben mir irgendwann ihre Lebensgeschichte erzählt. Die große Liebe zwischen den beiden, die Neugier aufs Leben unabhängig von ihrem Alter haben mir etwas gegeben. Klassisch waren sie nicht meine Familie, aber sie waren für einige Jahre für mich wichtige Bezugspersonen, die mir bis heute etwas mitgegeben haben.

Dann gab es die Vermieterin, die über uns lebte und auch eine Art von Oma für mich war. Für mich als Kind waren diese ein bisschen aus der Zeit gefallenen Orte wichtig. Sie haben mir Sicherheit und Orientierung gegeben. Mich hat nicht die klassische Familie getragen, sondern ein sich veränderndes Netzwerk aus Menschen, die mir mit Interesse und Zuneigung begegnet sind und sich mir offen gezeigt haben. Was bis heute so ist.

Eine wichtige Erkenntnis aus meinen Versuchen am Konstrukt Familie: Es lässt sich nicht erzwingen.

Manches kann so schön von außen aussehen und vielleicht auch praktisch sein und trotzdem wird es nie zum Leben erwachen. Klare Vorstellungen, Pläne und Wertungen halten uns manchmal von etwas zurück, was sonst wunderschön sein könnte.