Es trifft immer nur die anderen, oder?
Klar wusste ich von der Möglichkeit einer Fehlgeburt. Manchmal hörte man die ein oder andere Geschichte – selbst meine eigene Mutter hatte einen Abort. Aber irgendwie dachte ich immer, das kann mir doch nicht passieren. All diese Horrorgeschichten sind doch irgendwem irgendwann passiert. Ich hob mich selbst auf ein Podest, von dem ich sehr tief fiel.
Ich bin 28 Jahre alt und bereits Mutter einer kleinen Tochter. Als ich nun den zweiten positiven Schwangerschaftstest in der Hand hielt, war ich einfach nur glücklich. Ich malte mir aus, wie es wohl ist mit einem zweiten Kind. Meine Tochter war so wundervoll gelungen und bereicherte mein Leben so sehr. Doch soweit sollte es nicht kommen.
Von großer Freude zur bitteren Erkenntnis
Ich war in der 9. Schwangerschaftswoche und hatte einen Frauenarzttermin. Meine Ärztin meinte, mein Baby sei klein, sehr klein – zu klein. Sie schickte mich ins Krankenhaus zur Kontrolle. Noch bevor ich das Krankenhaus betrat, wusste ich es. Ich konnte es fühlen. Mein Kopf redete auf mein Herz ein, doch die Hoffnung schien so stark: Vielleicht war ja doch alles gut und ich müsste nur stark sein und positiv bleiben, dann passt bestimmt wieder alles. Ich bin wahrlich nicht religiös, aber selbst ich habe in dieser Situation zu Gott gebetet und so sehr gehofft, dass ich erhört werde.
Im Behandlungszimmer lag ich dann auf diesem kalten, unbequemen Sessel. Mein Herz schlug schnell und laut. Die Ärztin schaute kurz auf den Ultraschall und meinte nur trocken, dass es sich wohl tatsächlich um eine gestörte Schwangerschaft handelt. Meine Ohren wurden taub und es brannte in meinem Körper, ganz tief in mir. Ich konnte es nicht fassen und biss mir auf meine Hand um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Aber es war einfach zu viel. Erst diese immense Freude über ein neues Leben in mir und dann diese bittere Erkenntnis, dass mein Körper mein Kind absorbierte und ich es leblos in meinem Bauch herumtrug.
Verdiene ich dieses Glück nicht?
Meine Tochter schaute entsetzt zwischen mir und meinen Mann hin und her und verstand unsere Traurigkeit nicht. Wie könnte sie auch? Es brach mir das Herz und ich versuchte krampfhaft mich zusammenzureißen. Draußen auf dem Flur umarmte ich stumm meinen Mann. Er sackte einfach zusammen, in meine Arme. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und küsste meine kleine Tochter. Ich hatte es doch bereits geahnt, warum tut es dann bloß so weh?
Dieser Schmerz ist unbeschreiblich. Es schnürt einem den Hals zu und man glaubt, an den Tränen zu ersticken und dieses Meer an Selbsthass ertränkt jede Freude. Das Herz setzt aus und diese dunkle Traurigkeit droht sich an seinem Schmerz vollzufressen und immer wieder diese verdammten Vorwürfe. War mein Körper so schwach, verdiene ich dieses Glück nicht?
Diese Fehlgeburt nahm mir so viel, sie veränderte alles, veränderte mich. Nach der Geburt meiner Tochter war ich voller Hoffnung, fast glückselig. Jetzt sitzt da dieser tiefe Schmerz. Ich musste mich Stück für Stück ins normale Leben zurück kämpfen, dabei durfte meine Tochter nichts mitbekommen. Sie sollte nicht wissen, wie kalt das Leben sein kann.
Ich war nie ein Mensch, der Angst hat, sondern viel mehr mutig und stark Hindernisse meistert. Jemand, der sich ein Leben aufgebaut, eine Familie hat, die er über alles liebt. Jetzt ist alles anders. Ich habe Angst, nicht mehr schwanger werden zu können und ja ich habe auch Angst, wieder schwanger zu werden. Ich habe Angst, dass es wieder passiert. Ich habe Angst, dass mein Körper wieder versagt. „So ist nun einmal die Natur“ ist keine Antwort. Sondern nur grausam und schmerzvoll. Grausam und unfair.
Das Schlimmste ist das Tabu nach der Fehlgeburt
Es reicht oft aus, eine schwangere Frau zu sehen und es zerbricht wieder ein kleines Stück meiner Realität. Filme, Serien oder auch nur einzelne Szenen über Babys, Geburt oder Schwangerschaft treffen mich mit einem kleinen Stich in mein Herz, mit einer langen, spitzen Nadel. Ich denke daran, wie mein Baby wohl ausgesehen hätte. War es ein Junge oder ein Mädchen? Hätte es meine Nase oder die Augen vom Papa bekommen? Ich werde es nie erfahren und ich kann daran absolut nichts ändern. Ich hätte nie gedacht, wie ohnmächtig man sich fühlen kann, so hilflos und machtlos. Und das Schlimmste: Niemand will etwas wissen oder hören, niemand will es verstehen.
Meine Erfahrung zeigt mir, dass es anscheinend nicht „gilt“, wenn das Baby noch nicht auf der Welt war oder man bereits Mutter ist. „Du bist noch jung, du kannst noch so viele Kinder haben“ oder „Du hast doch schon ein Kind, freu dich lieber darüber“. Ich war so wütend und verletzt. Jetzt weiß ich, dass diese Sätze nicht nur aus Antipathie fielen, sondern auch aus Unwissen, Dummheit und Unsicherheit.
Du hattest auch eine Fehlgeburt? Du bist nicht allein!
Warum also erzähle ich das alles? Meine Geschichte soll keine Angst oder Panik machen, sie soll helfen: Ihr seid nicht alleine. Es gibt so viel mehr Frauen da draußen, die ihr Baby verloren haben. Sie wissen, wie sehr das Herz bricht. Macht den Mund auf und tretet für euch ein, es macht sonst keiner. Unsere Erfahrungen machen uns zu dem Menschen, der wir sind und sein werden. Und irgendwann wird der Schmerz weniger – ganz bestimmt. Nur die Erinnerung bleibt. Ich werde mein verlorenes Kind nie vergessen. Ein Sternchen, für immer in meinem Herzen, tief eingebrannt in meiner Seele.