Wenn Eltern unter sich sind, werden alle möglichen Familiengeheimnisse besprochen: Welches Kind noch in welchem Alter ins Bett gemacht hat, wie das mit dem Sex in Anwesenheit der Kind eigentlich ist, wie man mit der bleiernen Müdigkeit am besten umgeht…
Ein Thema sparen wir aber trotzdem gern aus: dass wir auch mal wütende Eltern sein können und Strafen verhängen.
„Wenn du nicht bis zum Abendessen aufräumst, musst du allein ins Bett.“
„Wenn du dich nicht anziehst, bleibst du allein daheim.“
Die Super-Nanny gibt Ratschläge
Solche Beispiele kennt auch Katharina Saalfrank aus ihrer langjährigen Arbeit als Familientherapeutin. Saalfrank ist bekannt als Super-Nanny aus der gleichnamigen Doku-Serie, die bis 2011 sieben Jahre lang bei RTL lief. (Nanny meint Kindermädchen, und das war sie gar nicht, daher mal wieder ein Begriff, der auf Deutsch falsch aus einer Fremdsprache eingeführt wurde.)
Daher war ich vor der Lektüre des neuen Buches von Saalfrank, „Kindheit ohne Strafen“, durchaus skeptisch. Ich wusste nicht, dass die Therapeutin Saalfrank schon mehrere beliebte Bücher zum Thema geschrieben hat. Diese Skepsis hat sich durch die Lektüre gelegt, und ich habe mehrere Ratschläge aus dem Buch mit in die elterliche Praxis übernommen. Was kann man mehr von einem Sachbuch wollen?
Der wichtigste Ratschlag ist: Kinder wollen kooperieren. Wenn sie mal nicht das tun, was wir gern wollen, müssen wir uns erst in ihre Denkweise hineinversetzen, bevor wir strafend eingreifen.
Dafür greift sie auf anonymisierte Beispiele aus ihrer Praxis zurück. Gleich in der Einleitung schafft sie es, mich zu packen. Mit einem Erziehungsratgeber!
»Nein«, sagt der Vater von Leon. Ärgerlich schaut er den Vierjährigen an. »Neeeeein«, wiederholt er noch einmal bewusst mit tiefer Stimme, um seinem Nein noch mehr Gewicht zu verleihen. »Nein, Leon, jetzt reicht’s mir aber!«, stößt er ungeduldig aus. »Mein lieber Freund! Wenn du jetzt nicht von der Fensterbank herunterkommst, dann spiele ich nicht mehr mit dir, und zur Oma gehen wir nachher auch nicht!«
Kommt Ihnen das bekannt vor? Sie bitten Ihre Kinder mehrmals, etwas zu tun oder zu unterlassen. Sie haben als Eltern gute Gründe für Ihre Bitten, Sie haben es erklärt, mehrfach. Sie versuchen es freundlich, Sie sagen es noch und noch einmal! Doch Sie haben einfach das Gefühl, überhört zu werden oder »gegen eine Wand« zu reden. Oder gar, dass Ihr Kind Sie bewusst ärgern möchte! Wenn Sie dann irgendwann glauben, die komplette Bandbreite Ihrer Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben, beginnen Sie, mit Konsequenzen zu drohen, oder verhängen Strafen(.)
Vorbild sein statt Strafen verhängen
Kommen wir noch mal zu dem Beispiel mit dem Aufräumen zurück. Saalfrank erklärt anschaulich und indem sie auf aktuelle Forschung zur Kinderpsychologie verweist, was diese Forderung im Kind auslöst. Aufräumen ist für kleine Kinder ein zu abstraktes Konstrukt. Eltern müssen vorleben, was sie mit einem Status „So ist es aufgeräumt“ eigentlich meinen. Die Bücher ins Regal, die Töpfe in der Kinderküche, die Schuhe ins Schuhregal und so weiter. Allein mit dem Appell ist es nicht getan.
Und sie stellt an die Aufräumen-Forderung auch die Sinnfrage: Warum will ich als Elternteil das jetzt überhaupt? Befriedigt das nur eins meiner Bedürfnisse? Und wenn ja, woher kommt das? Entsteht das vielleicht aus meinem stressigen Bürotag, der nicht gut war, und jetzt will ich einfach daheim auch Ergebnisse sehen, die ich selbst tagsüber nicht erreichen konnte? Denkpause. Mich hat das jedenfalls stark berührt.
Erziehen ohne Strafen – es ist möglich!
Saalfrank macht Alternativvorschläge, und die sind der Schlüssel zum Verständnis ihrer Theorien: Statt die Zeit mit Streiten und Nicht-Aufräumen zu vertun, sollten wir einfach mit dem Kind spielen. Davon profitieren beide und die Bindung wird gestärkt. Auch Spiegel.de hat entdeckt, dass Eltern konkrete Beispiele für Erziehungstipps brauchen und hat rund um den Veröffentlichungstermin des Buches mehrere Frage-Antwort-Kolumnen veröffentlicht.
Was ist bei mir hängen geblieben? Oft sind Strafen einfach unbewusst übernommene Verhaltensmuster von unseren Eltern. Auch wenn wir einer Generation angehören, in der man nicht mehr geschlagen wurde: gestraft wurde noch. Das sitzt tiefer, als wir denken würden. Und Saalfranks Strafen-Buch steht jetzt auf unserem Elternbuch-Regal direkt neben „Oje, ich wachse“, „Babyjahre“ und Büchern von Jesper Juul. Größer kann mein Lob nicht ausfallen. Kaufen könnt ihr das Buch hier.