Erziehung in Gefahr
Manchmal stelle ich mir Corona als stacheliges Monster vor, das meinem Nachwuchs ordentlich Flausen in den Kopf setzt.
Da treibt es nun seit Frühjahr 2020 sein Unwesen und bringt gut erzogene und eigentlich folgsame Kinder dazu, heimlich durchs Internet zu surfen, sehr viel mehr online zu spielen, als jemals ausgemacht war, sich tierisch ungesund zu ernähren und bis mittags im Pyjama herumzugammeln.
An manchen Tagen überredet Corona die beiden sogar, den einen oder anderen Arbeitsauftrag für die Schule einfach nicht abzugeben („Merkt doch eh keiner!“). Und ich? Ich schaue ziemlich blöd aus der Wäsche, wenn sich diverse Lehrer dann bei mir melden.
Meine Wenigkeit ist nämlich für „Homeschooling“ zuständig – und nein, ich bin KEIN ausgebildeter Pädagoge.
Wenn ich ebendiesen dann entschuldigend:
„Tut mir leid, wir werden das jetzt im Blick behalten. Das ist alles nur wegen Corona…“ ins Telefon jammere, ernte ich (meistens) sogar Verständnis. Corona betrifft uns eben alle!
Das stachelige Monster geht jedem tierisch auf die Nerven, raubt sämtliche Energien und ruiniert Erziehungsbemühungen wie Schulnoten. Doch alles der Reihe nach…
Früher war alles besser…
Vor-Corona-Zeiten mögen zwar etwas starr und strukturiert gewesen sein, aber das Leben war so herrlich einfach und vorhersehbar. Kinder verbrachten ihre Tage in der Schule oder im Kindergarten, Eltern in der Arbeit und zwischendurch machte man sich gemeinsam eine schöne Zeit. Kino, Schwimmbadbesuche, Sportvereine, Urlaube,… Vielleicht könnt ihr euch ja noch dunkel erinnern?
Erziehung hatte da bequem Platz. Bildschirmzeit in Dauerschleife? Gab es nicht, man hatte schließlich ein Outdoor-Programm! Bis in die Puppen aufbleiben? Ging nicht, wenn man am nächsten Tag spätestens um 7:15 Uhr das Haus verlassen muss! Ständig nur Ungesundes in sich hineinstopfen? Ging nicht, wenn man den ganzen Tag unterwegs ist und das Zeug nicht verfügbar! Den ganzen Tag im Pyjama herumlungern? War früher nur bei Krankheit mit Körpertemperatur über 38 Grad Celsius der Fall!
Kurz gesagt: Früher war alles besser! Dann kam Corona und hat es geschafft, sämtliche Erziehung über den Haufen zu werfen.
Was in mühevoller Kleinstarbeit über die Jahre gewachsen ist, liegt jetzt also in Trümmern am Boden! Vielen Dank auch, lieber Virus!
Am Anfang, da war noch Motivation…
Dabei ging doch der Großteil von uns anfangs (also März 2020) mit Elan, Energie und einer Extraportion Fantasie an die Sache heran. Zuhause bleiben? Kein Problem! Da wurde gebacken, gekocht, gegärtnert, gebastelt und danach noch die XXL-Spielesammlung aus dem Regal geholt. Die paar Wochen Lockdown? Ach, kein Problem! Endlich war da mal ein bisschen Zeit für all das, was ewig lange liegengeblieben ist.
Dazwischen mutierten Mama und Papa auch noch fröhlich lächelnd zu Lehrern. Multitasking? Kein Problem! Erziehung? Haben wir im Griff! Wer braucht schon Handys, Tablets oder Laptops, wenn er Familienzeit haben kann? Und der Pyjama? Der wurde morgens natürlich ausgezogen – wie sich das gehört!
… doch davon ist wenig übrig!
Heute – knapp 13 Monate später – sieht die Sache freilich ein bisschen anderes aus. Die Familien, in denen es rund läuft, kann man wahrscheinlich an einer Hand abzählen und ist rasch damit fertig. Wie eine bleierne Decke hat sich Coronamüdigkeit über uns alle gebreitet. In Familien mit minderjährigen Kindern kann man Erziehungsbemühungen mittlerweile mit der Lupe suchen.
Erziehen? Das war gestern! Überleben ist das neue Erziehen in der Pandemie!
Ich – hauptverantwortlich für Homeschooling und Co. – bin mittlerweile der Ansicht: So lange niemand psychisch oder physisch zu Schaden kommt, ist alles gut. Es werden auch wieder bessere Zeiten kommen (man muss ja optimistisch bleiben) und da findet Erziehung dann ihren üblichen Platz.
Wie wir mittlerweile wissen, sind Kinder ja zum Glück überaus flexibel und anpassungsfähig. Bis es aber soweit ist, gilt im Hause Kirschbaum:
- Pyjama bis mittags? Tut doch niemandem weh!
- Öfter mal Pizza bestellen? Erleichtert den Alltag ungemein – und schmeckt immer!
- Fernsehen und Zocken rund um die Uhr? Tut niemandem gut, also: nein! Aber „etwas mehr“ darf es schon sein. An manchen Tagen sogar etwas mehr als „etwas mehr“. Das schont Papas Nerven nämlich nachhaltig!
- Schule? Ist wichtig, aber keine Tränen und Nervenzusammenbrüche wert. Und nein, es ist kein Beinbruch, wenn das Bild in Kunst zu spät abgegeben wird, die Noten ein wenig absacken oder die Verbindung beim Videocall schlecht ist. Man darf, muss und soll die Erwartungen jetzt ruhig ein bisschen runterschrauben!
Erziehung ist eben doch mehr
Was man bei all dem Wahnsinn nämlich nicht aus dem Blick verlieren sollte: Erziehung ist Beziehung! Deshalb passiert sie in schönen Situationen oft wie von alleine.
Neben Endlosdiskussionen um Bildschirmzeit, Homeschooling, Ernährung, Pyjamas und Co., dürfen also gerade jetzt Ausflüge ins Grüne, die eine oder andere Partie Federball oder coole Radtouren nicht fehlen!