Väter sind längst mittendrin statt nur dabei
„Der Väterreport beschreibt auf Basis amtlicher Statistiken, wissenschaftlicher Studien und repräsentativer Bevölkerungsbefragungen die Lebenslagen, Werte und Einstellungen von Vätern in Deutschland.“ So heißt es im Begleittext zu der neuen Studie, die Bundesfamilienministerin Lisa Paus nun vorgestellt hat.
Und tatsächlich finden sich interessante und, ja, auch erfreuliche Statistiken im Väterreport. Zum Beispiel lässt sich mit Zahlen belegen, dass Erziehungsarbeit heutzutage deutlich partnerschaftlicher aufgeteilt wird als noch vor einigen Jahren – weil die Väter das so wünschen. Immer mehr Papas nehmen Elternzeit (wenn auch meist nur zwei Monate), sie verbringen pro Tag im Schnitt mehr Zeit mit ihren Kindern und wollen in ihrem Leben präsenter sein. Umgekehrt sind sie seltener der Meinung, dass es Erziehungsthemen gibt, die nur Frauen- oder nur Männersache sind. Das ist gut! Aber für mich als Vater zweier Kinder ebenso selbstverständlich.
Ich lese auch, dass Unternehmen sich immer stärker darauf einstellen, dass auch Väter mal Elternzeit nehmen. Klar, ein Fortschritt – mein Vater ging ein paar Tage nach meiner Geburt wieder ganz normal arbeiten. Die drei Kinder waren ja bei der Mama, bei wem auch sonst? Etwas anderes war damals undenkbar. Für mich hingegen war es undenkbar, nach der Geburt meiner Kinder keine Elternzeit zu nehmen. So ändern sich – zum Glück – die Zeiten.
Warum der Väterreport (auch) ein großes Ärgernis ist
Und doch stellen sich bei mir die Nackenhaare auf, je länger ich mich mit dem Väterreport beschäftige. Indem man Vätern ganze Studien widmet und ihre Empfindungen derart überhöht, zementiert man meiner Meinung nach althergebrachte Rollenbilder innerhalb einer Familie, die eigentlich längst überholt sind. Also: der Vater als Bestimmer und alleiniger Geldverdiener. Als mächtiger Patriarch, den man nach einem langen Arbeitstag bloß nicht abends beim Fernsehen stören darf. Hat unsere Gesellschaft das nicht schon lange hinter sich gelassen?
Trotzdem werden jetzt völlige Banalitäten und Selbstverständlichkeiten im familiären Zusammenleben per Statistik aufgebläht – nur weil der pater familias sie geäußert hat.
Zum Beispiel erfährt man im Väterreport, dass mittlerweile zwei Drittel der Papas es befürworten, wenn beide Elternteile gleiche berufliche Chancen haben und finanziell unabhängig sind. Ach, wie nett von den Vätern, da ihren Segen zu geben. Solche Aussagen wären 1973 sicher progressiv gewesen – aber 2023? Ich fühle mich dabei an Loriots legendären Sketch mit dem Jodeldiplom erinnert, in dem ein Mann seiner Frau erlaubt, das Jodeln zu lernen. Denn: „Dann hat sie was in der Hand“, falls ihm mal was passiert.
Das ist genauso sinnbefreit, wie Väter für simpelste Erziehungs-Tätigkeiten extra zu loben. So als wäre es überraschend, dass sie dazu in der Lage sind. Du hast deinem Baby die Windeln gewechselt? Die Kinder zur Schule gebracht? Wow! Du hast sogar mit deinem Nachwuchs zusammen ein Bild gemalt? Hut ab!
Der Vater, das unbekannte Wesen
Fast schon erstaunlich, dass in dem Report nicht erwähnt wird, wie viele Prozent der Väter sich nach dem Toilettengang ordentlich den Hintern abwischen und die Hände waschen. Oder – um beim Männerklischee zu bleiben – wie ihr Lieblingsbier heißt. Offenbar ist ja alles interessant, was man über diese faszinierende Gattung in Erfahrung bringen kann.
Laut Report gibt es Väter übrigens nur in fünf Kategorien, als wären sie ein Ameisenvolk:
- da gibt es den überzeugten Engagierten,
- den urbanen Mitgestalter,
- den zufriedenen Pragmatiker,
- den etablierten Konventionellen und
- den überzeugten Rollen-Bewahrer.
Das hat etwas von Tier-Dokumentation über das seltsame Verhalten einer exotischen Spezies. Frei nach dem Motto: „Der Vater, das unbekannte Wesen“.
Es fehlt nur noch die sonore Erzählerstimme:
„Früh morgens erhebt sich der Stammesvater aus seinem Bett. Er spielt ein wenig mit seinen Jungtieren im Bau, ehe er sich auf die Jagd begibt. Doch kommt es auch vor, dass das Weibchen diese Pflicht erfüllen darf. Denn er ist ein zufriedener Pragmatiker…“
Völlig abgesehen davon, was diese Etiketten auch bedeuten mögen: es wäre undenkbar, das selbe Prinzip in einer Studie über Mütter zu finden. „Die fleißige Super-Mama“, „Die engagierte Essensköchin“, „die bescheidene Teilzeit-Arbeitnehmerin“ und so weiter. Ein veritabler Shitstorm wäre die Folge, die Öffentlichkeit würde veraltete Stereotype anprangern. Und das völlig zu Recht. Bei Vätern ist das aber scheinbar kein Problem.
Warum braucht es überhaupt einen Väterreport?
In unserer Zeit wird viel über Geschlechtergerechtigkeit gesprochen. Große Teile unserer Gesellschaft sehen keine Unterschiede mehr zwischen Frauen und Männern. Frauen können genauso gut Handwerks-Jobs ausüben oder als Schiedsrichterinnen in der Fußball-Bundesliga pfeifen. Über männliche Erzieher im Kindergarten wundert sich längst niemand mehr. Warum braucht es dann trotzdem einen Väterreport? Oder wer braucht ihn?
Offenbar haben die politischen Entscheider so schwammige Vorstellungen davon, was Vater sein heutzutage bedeutet, dass sie eine (sicherlich nicht billige) Studie benötigen, um zu Erkenntnissen wie dieser zu gelangen: „Eine familienfreundliche Unternehmenskultur mit aktiver Unterstützung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Väter wird so zum Standortvorteil.“
Wem soll das im Jahr 2023 noch die Augen öffnen? Niemand, der noch alle Sinne beisammen hat, arbeitet gerne für Leute, die einem das Gefühl geben, seine Kinder wären eine Last. Vereinbarkeit von Familie und Beruf sollte schon seit Jahren eine Selbstverständlichkeit sein. Niemand muss das heutzutage extra betonen.
Lasst Familien doch einfach Familien sein
Der Väterreport passt jedenfalls gut in die heutige Zeit, in der unglaublich viel psychologisiert und analysiert wird. Das sei auch jedem unbenommen.
Aber muss man wirklich Menschen in Raster pressen und ihr Verhalten wissenschaftlich analysieren? Reicht es nicht, Familien nach ihrem individuellen Ermessen leben zu lassen? Die beruflichen und persönlichen Hintergründe von Eltern im ganzen Land sind so unterschiedlich wie ihre Vorstellungen vom perfekten Familienleben.
Keine Familie ist wie die andere, und kein Vater entspricht einem genormten Idealbild. Jeder von uns hat Stärken und Schwächen. Der eine mag öfter die Wäsche aufhängen, die Spülmaschine einräumen und die Pausenbrote für die Kinder schmieren als der andere. Es gibt Väter, die Vollzeit arbeiten, um ihre Familie zu ernähren und andere, die bewusst im Job zurückstecken und daheim bleiben. Keiner von ihnen ist ein besserer Mensch als der andere.
Ich persönlich brauche keine Studie, um zu wissen, dass es nur zwei Kategorien von Vätern gibt: gute Väter und schlechte. Übrigens ganz genauso wie vor 50 Jahren.