Amira Gorski ist Lust-Coach und Lustgeburts-Doula®️. Seit der lustvollen Geburt ihrer eigenen Tochter möchte sie allen Frauen diese Erfahrung ermöglichen. Auf ihrer Website Lustgeburt.de kannst du mehr über Amira erfahren.
Hallo:Eltern: Viele, die zum ersten Mal von einer orgasmischen Geburt hören, können sich das überhaupt nicht vorstellen. Einige haben vielleicht selbst schon eine schmerzvolle Geburt hinter sich. Kannst du uns kurz beschreiben, inwiefern die Geburt deiner Tochter lustvoll war?
Amira: Auch ich hätte es mir davor nicht vorstellen können. Ich hatte auch nur Menschen im Bekanntenkreis, die eher negative Geburtserfahrungen hatten. Deshalb war ich dann selber total erstaunt, dass es auch anders und sogar lustvoll möglich ist. Tatsächlich habe ich mich erst kurz vor knapp noch für eine Hausgeburt entschieden und hatte dann eine Hebamme und eine geburtserfahrene Doula dabei, was ich unbedingt empfehlen würde.
Am Anfang meiner Geburtsreise hat es etwas gedauert, bis ich in die Wellen hineingefunden habe. Nach einiger Zeit habe ich sie dann bereits nicht mehr als Schmerz wahrgenommen. Also es fühlte sich krass intensiv an und es war sehr kraftvoll, aber es war einfach kein Schmerz mehr in dem Sinne. Und dann, kurz vor der letzten Geburtsphase, in der das Köpfchen in den Geburtskanal rutscht, erlebte ich quasi einen doppelten Höhepunkt: Es war der Höhepunkt von „Das kann ich noch/nicht mehr aushalten“ und gleichzeitig ist es umgeswitcht in ein sehr lustvolles Gefühl, ein Gefühl der Ekstase, es ist schwer in Worte zu fassen.
Wie beim Hypnobirthing wird bei der Lustgeburt nicht von Wehen gesprochen, weil diese schon vom Wortklang her weh tun. Stattdessen werden Begriffe wie „Wellen“ verwendet.
Hallo:Eltern: Gibt es einen Moment, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Amira: Ich weiß noch, dass ich ganz viel gelacht habe. Es hat sich so ein bisschen „high“ angefühlt, ähnlich wie wenn man gekifft hätte. Ich erinnere mich noch an einen sehr verrückten Moment: Meine Hebamme meinte, sie müsse eine Muttermundslippe in mir zur Seite schieben, die sich gebildet hatte, und dass das schmerzhaft werden würde. Ich stimmte zu. Aber anstatt schmerzhaft fühlte es sich unglaublich lustvoll an, sowohl das Wegschieben, als auch das Herunterrutschen des Köpfchens.
Hallo:Eltern: Heißt das, du hattest während der Geburt einen Orgasmus?
Amira: Schwer zu sagen, es hat sich einfach sehr sexuell und lustvoll angefühlt.
Ich weiß noch, dass ich dabei lachend zu meinem Partner gesagt habe: „Das fühlt sich ja an wie Sex, wie komisch“, weil ich so überrascht war.
Aber es war kein Orgasmus, wie ich ihn bisher kannte. Das Wort Orgasmus trifft es also irgendwie und irgendwie auch nicht, weil es noch viel krasser war als das, was ich sonst von der Sexualität kannte. Auf jeden Fall hatte es keine Ähnlichkeit mehr mit dem, was wir von Geburt sonst kennen. Es war einfach wirklich sehr lustvoll.
Hallo:Eltern: Dich haben deine lustvollen Gefühle bei der Geburt also zunächst auch überrascht. Wie hast du dich damals auf deine Geburt vorbereitet?
Amira: Ich war zufällig gut vorbereitet. Zum einen kam ich gerade frisch aus meiner Tanzausbildung. Zum anderen war ich zu dieser Zeit sehr oft in einer spirituellen Meditationsgruppe. Deswegen war ich einfach sehr gut darin, mich recht schnell über Meditations- und Atemtechniken in jenen Trance-Zustand zu bringen, den wir auch unter der Geburt brauchen.
Darüber hinaus habe ich eben auch zu den Frauen gehört, die durch die Schwangerschaft eher noch mehr Lust bekommen und deshalb viel partnerschaftliche Sexualität leben können. Das war natürlich von Vorteil. Denn Lust ist ja auch nichts, das wir unter der Geburt mal eben wie einen Schalter umlegen können.
Ich glaube, es geht in einer lustvollen Schwangerschaft auch genau darum, dass ich mich selbst richtig gut kennenlerne und herausfinde, was ich brauche, damit ich mich fallen lassen kann und meine Sexualität leicht und frei leben kann.
Hallo:Eltern: Lustvolle Gefühle bei der Geburt des Kindes sind für viele Frauen sicher auch mit Scham behaftet. Wie hast du das damals erlebt?
Amira: Es ist immer eine Gratwanderung, darüber ehrlich zu erzählen, weil die meisten Frauen es natürlich anders – oftmals traumatisch – erlebt haben und sich dann eventuell angegriffen fühlen. Wir sind nun mal eine Gesellschaft, in der Sexualität noch immer das Stigma von Schmutz, Scham und Sünde trägt. So etwas dann mit dem heiligen Baby, das geboren wird, in Verbindung zu bringen, bedarf ganz schön viel Mut. Kein Wunder also, dass es viel mehr lustvoll erlebte Geburten gibt, als darüber gesprochen wird.
Hallo:Eltern: Was sagst du deinen Gebärenden, um dieses Stigma loszuwerden?
Amira: Es ist schon ein großes Stück „Bewusstseins-Arbeit“, das die Schwangere da vor sich hat. Bei mir im Lustgeburts-Schwangerenkurs üben wir zum Beispiel mit mehreren gemeinsam laut zu stöhnen. Allein das ist bei uns schon so schambehaftet. Wir dürfen diese Schamgrenze wirklich überwinden, denn wir brauchen all das unter der Geburt.
Hallo:Eltern: Wie genau meinst du das?
Amira: Ich höre von Erstgebärenden immer wieder die Frage: “Wie soll ich atmen?” Und ich antworte ihnen mit der Gegenfrage: “Wie würdest du atmen, wenn du guten Sex hast? Probiere es aus, dann weißt du es.”
Lustvoll zu atmen, sich zu bewegen oder zu stöhnen, all das kann natürlich eine große Herausforderung sein, wenn andere Menschen zuhören. Aber alles davon können wir im Vorfeld üben. Wir können an unsere Schamgrenze immer wieder rangehen und sie ausweiten.
Hallo:Eltern: Das setzt natürlich eine gewisse Bereitschaft voraus, sich diesen Dingen zu stellen. Ist das überhaupt für jede Frau etwas?
Amira: Mir ist klar, dass nicht jeder Mensch Lust hat, so tief zu gehen. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, für sich selbst zu klären, warum will ich das überhaupt tun? Die lustvolle Geburt kann eine wunderschöne Initiation für uns als Mann und Frau sein, der Höhepunkt unserer Paarsexualität. Entsprechend erschaffen wir uns damit ein wundervolles Erlebnis, mit dem wir ins Elternsein starten. Bestimmt uns dabei hingegen Stress oder Angst, kann die Geburt zu einem total traumatischen Erlebnis werden, das auch meinen Partner so oft für Jahre mit traumatisiert.
Auch für das Baby macht es einen riesigen Unterschied, welche Hormone während der Geburt durch die Frau fließen. Natürlich sind gewisse Hormone immer dabei, aber wenn die Geburt hauptsächlich Angst-geprägt ist, ergibt dies natürlich einen anderen Hormon-Cocktail, als wenn ich als Gebärende in Ekstasen vor mich hin schwebe.
Hallo:Eltern: Hast du diese Auswirkungen bei deinem Baby auch gemerkt?
Amira: Ich weiß noch, dass meine Tochter die ersten 3 bis 4 Monate nur geschlafen und gelächelt hat und andere teilweise nicht gemerkt haben, dass sie da ist, weil sie so ruhig war. Ich bin davon überzeugt, dass ich als Frau die Möglichkeit habe, an mir zu arbeiten und die Weichen, so gut es mir möglich ist, zu stellen, damit unser Geburtserlebnis für mein ganzes Familiensystem einen entscheidenden und positiven Unterschied macht.
Hallo:Eltern: Die meisten Frauen, rund 98 Prozent, gebären in einem Krankenhaus oder zumindest in einem klinischen Setting. Ist eine lustvolle Geburt so überhaupt möglich?
Amira: Ich würde sagen, es ist nicht gerade das einfachste Setting, aber es ist überall möglich. Sobald wir einfach verstanden haben, dass Geburt Teil unserer Sexualität ist und damit die gleichen Parameter erfüllt sein müssten, kann jede Frau sich selber fragen: Wie leicht würde es mit fallen in der Klinik Sex zu haben?
Man muss dazu sagen, dass wir, wenn wir einen natürlichen Geburtsverlauf erleben, immer mehr unser analytisches Gehirn verlassen und vermehrt unser Stammhirn nutzen, in dem es nur noch um Grundbedürfnisse geht. Das heißt, mir wird es immer mehr gleichgültig, was um mich herum geschieht. Ich befinde mich immer mehr in einer Art Trance-Zustand, sodass meine Schamgrenze tatsächlich sinkt. Man kann es ein bisschen vergleichen mit dem sexuellen Akt in dem Moment, in dem ich bereits am Höhepunkt bin. Dann ist mir irgendwann auch alles egal, selbst wenn ich merken würde, jemand schaut mir zu. Aber um in diesen Trance-Zustand hineinzufinden, begegnen uns in der Klinik natürlich mehr Herausforderungen als in unserem vertrauten Umfeld.
Hallo:Eltern: Was empfiehlst du für eine Geburt im Krankenhaus?
Amira: Ich empfehle erst relativ knapp hinzugehen. Das heißt, nicht schon ab dem ersten Gefühl von „Es könnte eine Wehe sein“ in die Klinik gehen und dann den gesamten und oftmals sehr langen Geburtsbeginn dort verbringen.
Gut und lustvoll zu gebären ist natürlich viel einfacher zu Hause, wo ich mich fallen lassen kann. Hier kann ich meiner Lust nachkommen, hier ist Intimität, Liebe und Berührung und Masturbation schamfrei möglich – mit meinem Partner oder alleine. Gerade bei Erstgebärenden dauert die sogenannte Eröffnungsphase oft 6 – 12 Stunden, das heißt, es besteht viel Zeit und Raum für Intimität zu Hause. Den richtigen Zeitpunkt für den Wechsel in die Klinik zu finden ist beim ersten Kind schwierig zu erkennen, weshalb ich dafür unbedingt empfehle eine geburtserfahrene Doula bei der Geburt und auch schon davor dabei zu haben.
Hallo:Eltern: Wie kann denn der/die Partner:in die Gebärende unterstützen und die Geburt lustvoller gestalten?
Amira: Ich arbeite mit meinen Paaren und speziell mit dem werdenden Vater oft mit folgendem Bild: Stell dir vor, du würdest als erfahrener Mann mit einer Frau, für die es das erste Mal sein wird, eine Liebesnacht vor dir haben. Wie schön würdest du alles für sie vorbereiten? Wie würdest du mit ihr umgehen?
Du würdest sie vergöttern, Blumen und Kerzen aufstellen, ihr alle Zeit der Welt lassen und ihr 1000-mal sagen, wie wunderschön sie ist und wie gut und richtig sie alles macht. Genau diese Haltung braucht es, denn für die Frau (insbesondere bei der ersten Geburt) ist die folgende Geburtserfahrung ähnlich neu, verunsichernd und herausfordernd wie das erste Mal Sex. Deshalb braucht die Gebärende genau soviel Schutz, Ermutigung und liebevolle Aufmerksamkeit und Bestätigung.
Wenn du als Mann zum Beispiel weißt, sie wird an dieser oder jener Stelle gerne gestreichelt, dann probiere es einfach mal vorsichtig aus und achte auf ihre Reaktionen. Entweder sie schlägt deine Hand weg, oder sie fängt an zu stöhnen und es sichtlich zu genießen und dann mache weiter.

© Lissy Routil
Hallo:Eltern: Amira, du hast jetzt schon einige Geburten begleitet. Wie viele Frauen erleben denn tatsächlich einen „Birthgasm“?
Amira: Um das zu beantworten, müssen wir den Begriff genauer definieren und dazu die Geburtserfahrung wieder mithilfe unseres Wissens über Sexualität übersetzen. Dabei erkennen wir: Aufgrund unserer Vielfalt kann es DEN Birthgasm nicht geben. Genauso wie bei sexuellen Orgasmen wird dieser so unterschiedlich definiert, wie er erlebt wird. Einige Frauen beschreiben ihren Geburtsorgasmus als sehr physisch, ähnlich einem Sexual- oder Ganzkörperorgasmus. Bei anderen Frauen wird der Höhepunkt sehr energetisch wahrgenommen, zusammen mit dem Gefühl von Ekstase oder Verschmelzung.
Erkennen wir also unsere Geburtserfahrung als Teil unserer weiblichen Sexualität an, geht es wie bei einer ersten Liebesnacht ja auch nicht nur um den Orgasmus. Eigentlich geht es doch darum, dass wir ein lustvolles Erlebnis voller Liebe erleben können, voller Hingabe und Zustimmung. Deshalb ziehe ich den Begriff „Lustgeburt“ inzwischen dem Ausdruck der „orgasmischen Geburt“ vor. Weil Lustgeburt für mich einfach viel mehr mit einschließt und mir als Frau nicht den Druck macht von: „Ich MUSS einen Orgasmus haben“. Darauf kommt es eigentlich nicht wirklich an.
Hallo:Eltern: Dann formulieren wir die Frage gerne um: Wie viele Frauen erleben deiner Erfahrung nach eine lustvolle Geburt?
Amira: Natürlich wird der Prozentsatz von lustvoll erlebten Geburten sehr klein, wenn wir nur Krankenhaus-Geburten vergleichen. Leider gibt es derzeit noch keine Studien zu Lustgeburten im außerklinischen Setting.
Meine persönliche Erfahrung als Doula zeigt, dass jede Frau eine lustvolle und jede zweite auch eine ekstatisch-orgasmische Geburt erleben kann.
Voraussetzung ist, dass sie sich im Vorfeld intensiv vorbereitet hat und sich im, für sie intimen Umfeld, mit den von ihr gewählten vertrauten Menschen, ohne Störung dem natürlichen Geburtsverlauf hingeben kann.
In ihrem Buch „Lustgeburt – wir gebären wieder orgasmisch!“ hat Amira die Geschichten von 20 Frauen gesammelt, die selbst lustvoll geboren haben – ob Zuhause, im Geburtshaus, im Krankenhaus oder im Alleingang. Hier kannst du ihr Buch vorbestellen.